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Berlin: Musik der Zukunft

Mit dem Stück „Bach“ will das Kindertheater Atze auch die Großen gewinnen

Matthias Wittings Publikum kennt keine Gnade. Sobald eine seiner Inszenierungen Längen hat, der Rhythmus zwischen Ruhe und Spannung nicht stimmt, wird es laut. Auch Papierkügelchen fliegen dann schon mal. Ganz schön mutig also, sich nun ausgerechnet an „Bach“ zu versuchen – einem Theaterstück über das Leben des Komponisten Johann Sebastian Bach, untermalt von Kammermusik, einem Chor und einer Opernsolistin. Leicht hätte Witting seine Zielgruppe verfehlen können: Der Regisseur arbeitet seit mehr als zwei Jahren für das Berliner Kindertheater „Atze“, bei dem Erwachsene für Kinder spielen.

Doch am Premierenabend flogen keine Papierkügelchen, und Lärm gab es erst nach der Aufführung: Der Applaus habe gar nicht mehr abebben wollen, erzählt Witting stolz. „Das Stück läuft super.“

Das Experiment sei geglückt, bestätigt Theaterchef Thomas Sutter zufrieden: Zum ersten Mal in seiner 20-jährigen Geschichte wendet sich „Atze“ mit einer Inszenierung ausdrücklich auch an die Großen, denn „Bach“ wird in zwei Versionen aufgeführt. Für Viertklässler und ältere Kinder gibt es das 90-minütige Stück „Bach I“, in dem die Geschichte des Komponisten (1685 bis 1750) bis zu seiner ersten Hochzeit erzählt wird. Die lange Ausführung, „Bach II“, dauert zwei Stunden, ist für Jugendliche ab der 7. Klasse gedacht – und für Erwachsene. Drei Teile handeln darin vom Leben Bachs, seiner Arbeit und den Problemen, die er mit der Obrigkeit, der Gesellschaft und der Kirche hatte.

Geplant habe er die verschiedenen Versionen nicht, sagt Sutter, der das Buch zu „Bach“ schrieb und in den meisten Stücken auch mitspielt, aber je mehr er sich mit der Geschichte des Komponisten beschäftigt habe, desto faszinierter sei er gewesen. Desto schwerer sei es ihm gefallen, wegzulassen, zu stark zu vereinfachen. Das Konzept geht auf: Bei den bisherigen „Bach“-Aufführungen im Max- Beckmann-Saal an der Luxemburger Straße in Wedding, wo „Atze“ seit knapp zwei Jahren fest spielt, war der Große Saal fast voll. Immerhin mehr als 500 Zuschauer haben dort Platz. Mit gut 300 Zuschauern pro Aufführung sei „Atze“ Berlins, wenn nicht gar Deutschlands größtes Kindertheater und schlage überdies so manches „Erwachsenentheater“, sagt Sutter. Doch seine Miene verdunkelt sich: „Trotzdem reicht die Förderung vorn und hinten nicht.“

Ungefähr 40 Leute arbeiten bei „Atze“. Im Idealfall können die Schauspieler hier spielen (auch mehrere Rollen pro Stück) und singen, beherrschen mindestens ein Instrument und schieben die Kulissen selbst. Weniger gehe nicht, sagt Sutter, wolle „Atze“ sein Niveau halten: Im vergangenen Jahr gab es den Berliner Jugendtheaterpreis „Ikarus“ für „Alle Kühe fliegen hoch“. In diesem Jahr waren mit „Ben liebt Anna“, „SMS von Wolke 7“ und „Die kleine Meerjungfrau“ gleich drei Stücke aus dem aktuellen Spielplan für die Auszeichnung nominiert. Dennoch rechnet Sutter spätestens 2007 mit dem Aus für „Atze“, sollte sich an der öffentlichen Förderung nichts ändern.

Das zweigleisige Konzept von „Bach“ könnte deshalb die Zukunft für das Theater bedeuten – je breiter das Programm, desto mehr Zuschauer. An dem Stück hängt Sutter auch aus einem anderen Grund: „Bach ist als Kind kilometerweit gelaufen, um einen Organisten spielen zu hören. Er hatte einen Traum, und den wollte er verwirklichen.“ Sutter war unter anderem Obst- und Gemüsehändler, bis er Anfang der 80er Jahre mit zwei Kinderliedern, die er für seine Tochter geschrieben hatte, einen Wettbewerb gewann. Da sei etwas losgetreten worden, sagt er. Er gründete „Atze“, mit einem Liederprogramm für Kinder, woraus in den 90er Jahren ein Theater mit Live-Musik wurde. Also kämpft Sutter mit „Bach“ auch um seinen Traum.

Nähere Informationen für die Aufführungen in der Luxemburger Straße 20 in Wedding unter www.atzeberlin.de. Kartenreservierungen unter Tel. 8179 9188.

Nicole Diekmann

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