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Berlin: Mutter-Kind-Plätze im Gefängnis: Einmal pro Woche ist Spielstunde mit Mama

Der kleine Benjamin R. ist 14 Monate alt.

Der kleine Benjamin R. ist 14 Monate alt. Seine Mutter kennt er nur von mehr oder weniger regelmäßigen, kurzen Besuchen. Zur Zeit kommt er montags zu ihr, zur "Spielstunde". Vor einiger Zeit hat er "Papa" zu seiner Mutter gesagt. "Mama" ist für ihn eine andere: seine Pflegemutter, bei der er lebt. Die leibliche Mutter musste das Kind gegen ihren Willen drei Tage nach der Geburt aus ihrer Obhut geben. Denn Gjulzade R. sitzt im Gefängnis. Fünf Tage, bevor sie ihren Sohn zur Welt brachte, kam sie in U-Haft. Inzwischen wurde die 36-Jährige wegen Sozialhilfebetrugs zu drei Jahren Haft verurteilt, die sie in der Justizvollzugsanstalt Pankow absitzt.

Nach Verbüßung der Strafe muss sie damit rechnen, nach Mazedonien abgeschoben zu werden. Dorthin musste auch ihr Mann ausreisen - allerdings von den Niederlanden aus. Die Roma-Familie ist jetzt auseinander gerissen. Der Vater und der älteste, 21-jährige Sohn sind in Mazedonien; ein Sohn (19 Jahre) hat in den Niederlanden Asyl beantragt. Zwei fünf und zwölf Jahre alte Jungen leben dort in einem Heim.

"Die ganze Situation macht der Frau schwer zu schaffen. Und sie leidet fürchterlich unter der Trennung von ihrem jüngsten Sohn", sagt Anwältin Sylvia Frommhold. Die Entfremdung sei nur schwer für sie zu ertragen: "Es ist ein tragischer Fall." Sämtliche Eingaben der Rechstanwältin an die Justiz, Mutter und Kind wieder zusammenzubringen, wurden bislang negativ beschieden.

Jetzt hat sich Gjulzade R. an den Berliner Verfassungsgerichtshof gewandt und einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt sowie Verfassungsbeschwerde eingereicht. Zuvor hatte sie sich schon an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses gewandt. Auch sie hatte von der inhaftierten 17-jährigen Vietnamesin gehört, die wenige Stunden nach der Geburt von ihrem Baby getrennt wurde, es dann aber später nach einer Entscheidung der Justizverwaltung doch mit in die Haftanstalt nehmen durfte.

Die Angelegenheit hatte sowohl die Vereinigung Berliner Strafverteidiger als auch den Vollzugsbeirat mit der Forderung auf den Plan gerufen, wieder Mutter-Kind-Plätze in den Justizvollzugsanstalten einzurichten. Eine entsprechende Abteilung in der Haftanstalt Plötzensee war im März 1998 wegen mangelnder Auslastung abgeschafft worden. Seitdem besteht jedoch nach Aussage von Justizsprecherin Anja Teschner die Möglichkeit, in Einzelfallentscheidung und nach Prüfung aller Umstände Mutter und Kind in Haftanstalten unterzubringen. Von 1998 bis 2000 habe es insgesamt sieben Fälle gegeben. Warum das aber bei Gjulzade R. und ihrem Baby nicht möglich war, dazu mochte sich Anja Teschner nicht äußern. Sie wollte zu diesem konkreten Fall überhaupt nicht Stellung nehmen.

Mit dem Fall der Vietnamesin hatte sich vor gut zwei Wochen sogar der Verfassungsgerichtshof befasst und entschieden, dass Mutter und Kind gemeinsam untergebracht werden müssen. "Das Grundrecht der Mutter auf Pflege ihres Kindes gebietet es, der Mutter grundsätzlich die Möglichkeit zu geben, vor allem während der ersten Monate nach der Geburt und in der Stillzeit, mit ihrem Kind zusammenzusein", urteilten die Verfassungsrichter. Gjulzade R. wurde das Stillen ihres Säuglings im vorigen Jahr nicht gestattet; sie wurde mit Spritzen behandelt, um den Milchfluss zu stoppen. "Es war unmenschlich", schreibt sie in ihrer Verfassungsbeschwerde. Sie habe ihre vier älteren Kinder immer sehr lange gestillt.

Nach Angaben von Anwältin Frommhold befürwortet auch das Jugendamt Treptow, dass das Kind in einer Pflegefamilie untergebracht hat, eine Zusammensein mit der Mutter, da die Entfremdung des Kindes sonst schon zu groß ist und ein späteres Herausreißen aus seiner gewohnten Umgebung größere psychische Schäden hinterlassen kann.

Sorgen bereitet ihr zudem, dass der Junge derzeit in einer christlichen Familie lebt, sie ihr Kind aber im muslimischen Glauben erziehen möchte. Die Mutter befürchtet ohnehin, dass ihr das nicht an sie gewöhnte Kleinkind erst bei der Abschiebung aus Deutschland gegeben wird. Benjamin wird dann nicht einmal die Sprache seiner Mutter verstehen.

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