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Berlin: Mythen und Riten: Die Polterhochzeit

"Je mehr Pölte, desto mehr Glück", sagt eine alte Volksweisheit. "Pölte", eine alte Form des heutigen "poltern", bedeutet nichts anderes als Lärm und Geschrei zu machen, um die bösen Geister zu vertreiben, die das junge Eheglück stören wollen.

"Je mehr Pölte, desto mehr Glück", sagt eine alte Volksweisheit. "Pölte", eine alte Form des heutigen "poltern", bedeutet nichts anderes als Lärm und Geschrei zu machen, um die bösen Geister zu vertreiben, die das junge Eheglück stören wollen. Zahlreiche Hochzeits-Bräuche basieren auf diesem (Aber-)Glauben, der bekannteste davon heutzutage ist wohl der Polterabend. Es gibt aber auch eine Polterhochzeit.

Die ist etwas ganz anderes, ist aber sicherlich auch auf Grund dieses Gedankens zu ihrem Namen gekommen. Ansonsten aber meint sie eher eine modernere Möglichkeit, die Eheschließung zu feiern. Denn die christliche Hochzeit, die schon im 14. Jahrhundert vor der Kirchentür begann und dann einem recht strengen Ablauf folgte, wird immer seltener auf ursprüngliche Art und Weise begangen. Während es damals unumstößlich war, innerhalb des Verwandtschaftskreises zu feiern und es in der Regel an der Familie der Braut lag, die Gäste zu bewirten, entscheiden sich viele Paare heute für ein üppiges Essen in einem schicken Restaurant. Andere wiederum geben im Saal eines Hotels einen eleganten Empfang mit Tanz oder begehen den großen Tag nur im allerengsten Familienkreis. Die Polterhochzeit stellt eine weitere Variante jenseits aller Konventionen dar. Wer zu ihr einlädt, lädt im Prinzip zu einer "normalen", fröhlichen Feier ein - und wohl gerade wegen dieser Unkompliziertheit für Gastgeber wie Gäste ist die Polterhochzeit inzwischen sehr beliebt. Kein gestelzter Empfang im Nobelrestaurant, sondern ein herzliches Willkommen im eigenen Garten oder gemieteten Zirkuszelt, kein steifes Fünf-Gänge-Menü, sondern ein Selbstbedienungs-Buffet oder ein offener Grill, kaum Walzermusik, sondern flotte Klänge eines Discjockeys oder einer Band kennzeichnen diese Art zu feiern. Natürlich gelten für eine Polterhochzeit auch keine strengen Kleidervorschriften: Ob Anzug oder nur Jackett, ob Fliege oder offener Hemdskragen, ob Ballkleid oder Hosenanzug - zwar ist eine gewisse Eleganz auch hier meist gewünscht, der Zweireiher aber keineswegs Pflicht. Einige Elemente der traditionelleren Feier-Rituale haben allerdings auch bei der Polterhochzeit einen festen Platz. So gehören zu ihrem Höhepunkt neckische, von Freunden vorbereitete Spiele für die Frischvermählten. Und auch bei der Polterhochzeit wird in aller Regel um Mitternacht die Hochzeitstorte angeschnitten und Kaffee serviert. Um noch einmal auf den Namen zurückzukommen: Wer zu einer Polterhochzeit eingeladen ist, darf natürlich keine ruhige Party erwarten. Nicht wenige, die eine solche Feier bereits erlebt haben, vermuten, dass die Polterhochzeit zu ihrer Bezeichnung auf Grund der oft lauten Disco-Klänge gekommen ist. Und noch mehr, munkelt man, haben eine solche Feierlichkeit ob allzu nerviger Techno-Musik bereits vorzeitig verlassen.

Holger Müller-Hillebrand

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