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Na los, hopphopp!: Über den Herbst und die guten Vorsätze

Hatice Akyün rennt, so schnell sie kann. Aber das ist nicht schnell genug. Jetzt im Herbst steigt in ihr das Verlangen danach, wieder mehr Sport zu treiben. Doch wie das immer so ist mit den guten Vorsätzen ...

Ich laufe wieder. Nicht von A nach B. Auch nicht vor etwas weg. Nein, ich laufe und es ist leider überhaupt nicht sinnvoll. Es brach aus mir heraus, als ich am Marathon-Wochenende S-Bahn gefahren bin. Hunderte Menschen, die gerade mal eben so 42 Kilometer hinter sich gebracht hatten, fuhren völlig selbstverständlich mit der S-Bahn nach Hause. In dieser Stadt scheint jeder und jede eine Dauerläuferkondition zu haben, nur ich hole mir beim Couchsurfen gleich eine Sehnenscheidenentzündung und bin schon atemlos beim Benutzen der Rolltreppe.

Also riss ich mich zusammen, holte die Joggingschuhe heraus und begann meinen langen Lauf zu mir selbst. Wenn die gedachten Wörter („Ich muss Sport machen“) Kalorien verbrennen würden, könnte ich mir die ganze Mühe sparen. Aber intensives Denken senkt bei mir den Blutzuckerspiegel so sehr, dass ich Schokolade, Börek, Käsekuchen und Knoblauchwurst essen muss. In dieser Reihenfolge. Leider landen die Abbauprodukte des Verzehrzwangs sofort auf meinen Hüften, was sofort das schlechte Gewissen aktiviert, so dass ich wieder laufen muss. Ein nicht enden wollender Kreislauf.

Eigentlich ist Berlin ein Läuferparadies und es mangelt wahrlich nicht an Möglichkeiten. Wenn ich zum Beispiel aus meiner Haustüre herauskomme und links herum laufe, lande ich schon nach kurzer Zeit im Tiergarten. Wenn ich rechts abbiege, stehe ich schon fast im Schlossgarten Charlottenburg. Aber nicht gleich übertreiben, dachte ich mir und lief schräg geradeaus zum Lietzensee, der Krummen Lanke für Sportmuffel. Schon nach zehn Minuten kam es mir vor, als ob jemand Betonplatten auf meine Oberschenkel geschnallt hätte. Meine Lungen fühlten sich an, als ob ich, die Nichtraucherin, ausschließlich filterlose Maisblattzigaretten aus Frankreich rauchen würde. Als ich mich gerade im eigenen Elend suhlte, zog eine Rentnerin mit ihren Nordic-Walking-Stöcken an mir vorbei. Nach Duran Adam, dem stehenden Mann vom Taksim-Platz, nun also Duran Hatice im Lietzensee-Park.

Also stoppte ich und dachte nach. Lief ich für meine Gesundheit, für meine Figur, für mein Wohlbefinden, für mein gutes Gewissen oder rannte ich gar gegen mich selbst an? Es ist schon seltsam, was Menschen tun, um die Gegenwart für die Zukunft zu konservieren. Meine türkischen Hüften wollen, dass meine Kleidergrößen analog zu den Lebensjahren mitwachsen. Mein deutsches Empfinden für Ästhetik und Körpergefühl weigert sich aber, das kampflos hinzunehmen.

Wieder zu Hause, telefonierte ich entmutigt mit einem Läuferfreund. Er erzählte mir eine Geschichte: „Als der Leopard an das Zelt kam, zog der eine Mann die Sportschuhe an. Der andere fragte ihn, ob er ernsthaft vorhätte, vor dem Leoparden wegzurennen? Da entgegnete der erste: ,Das brauche ich gar nicht. Es reicht völlig aus, schneller als du zu sein.‘“ Also lautet das Motto meines Sportprogramms für diesen Herbst, die eigene Mitte zu finden. Oder wie mein Vater sagen würde: „Sen ise nasil bakarsan, is de sana öyle bakar.“ Wie man die Arbeit ansieht, so schaut sie auch zurück.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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