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Update

Nach Anschlagsserie: Deutsche Bahn setzt 100.000 Euro Belohnung aus

Nach der Anschlagserie auf die Anlagen der Deutschen Bahn hat das Unternehmen eine Belohnung in Höhe von 100.000 Euro ausgesetzt. Die Polizei verstärkt die Kontrollen.

Die Deutsche Bahn will 100.000 Euro für Hinweise zahlen, die im Fall der Brandanschlagserie zur Ergreifung der Täter führen. Das teilte das Unternehmen am Mittwochabend mit. Das ist eine ungewöhnlich hohe Summe. Für Hilfe bei Mordfällen setzen die Behörden meist etwa 5000 Euro aus. Seit Montag wurden mehrere Brandanschläge auf die Anlagen der Bahn in und um Berlin verübt.

Am Mittwoch sind in Berlin und Brandenburg weitere Brandsätze an Gleisen entdeckt worden. Es waren wieder Plastikflaschen, die Unbekannte in Kabelschächten deponiert hatten und die bei einer Zündung die Signale der Bahnen lahmlegen sollten. Solche Brandsätze wurden westlich von Staaken gefunden, außerdem am S-Bahn-Ring nahe Gesundbrunnen und Südkreuz.

Der Brandsatz bei Staaken war wohl am Montag, als ein Anschlag bei Brieselang die dortigen Signalkabel zerstört hatte, unbemerkt entflammt, ohne große Schaden anzurichten. Die anderen am Mittwoch entdeckten Brandsätze wurden gefunden, ohne dass sie sich entzündet hätten.

Den dritten Tag in Folge kam es dadurch zu Störungen im Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr.

Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen. „Wir gehen vor allem dem Verdacht der verfassungsfeindlichen Sabotage nach“, sagte ein Sprecher der Behörde in Karlsruhe, die bei erheblicher Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik, meist bei Spionage- und Terrorismusverdacht, ermittelt.

Die Berliner Polizei bekommt nun Unterstützung vom Bundeskriminalamt. In den vergangenen Tagen waren mindestens 15 Brandsätze an Bahnstrecken in und bei Berlin gefunden worden. Die Zahl variierte in den Behördenangaben jedoch - je nach Zählweise der Bestandteile eines Paketes.

Ebenfalls seit Montag können nach einem Brandanschlag auf einen Kabelschacht bei Brieselang zahlreiche Züge zwischen Hamburg und Berlin nicht fahren. Die Reparaturen dort werden frühestens an diesem Donnerstag abgeschlossen sein. So lange werden die Züge zwischen Hamburg und Berlin weiter über Stendal umgeleitet.

Zu dem Anschlag bekannte sich eine linksradikale Gruppe. In einem im Internet veröffentlichten Bekennerschreiben hieß es, mit dem Brandanschlag werde gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan protestiert. Vermutet wird, dass die Gruppe auch für die nicht gezündeten Brandsätze am Hauptbahnhof in Berlin und in den Stadtteilen Grünau und Prenzlauer Berg verantwortlich ist. Die Polizei schloss nicht aus, dass es noch weitere, unentdeckte Brandsätze gibt. Eine Gefahr für Menschen sehen Experten jedoch nicht, auch weil bei technischen Defekten die Züge automatisch stoppen würden.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bezeichnete die Anschläge als „verbrecherische, terroristische Ansätze einer neuen Dimension“. Er lobte zugleich die Sicherheitsbehörden, weil sie die meisten Anschläge vereiteln konnten. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erklärte, es sei ein „furchtbarer Zustand“, wenn Menschen durch solche Anschläge gefährdet würden. Er gehe nicht von einem neuen Linksterrorismus aus. Auch das Bundesinnenministerium sieht noch keinen neuen Linksterrorismus in Deutschland. Verfassungsschützer lehnen es bislang ebenfalls ab, die Vorfälle so zu bezeichnen, da es bei den aktuellen Anschlägen nicht gezielt darum ging, Personen zu verletzen. Auch den Vergleich zu den Anschlägen der „RAF“ ab den 70er Jahren teilen Verfassungsschützer und Terrorexperten nicht.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bezeichnete die Brandanschläge als „dramatischen Weckruf“ für die Demokratie. „Seit Jahren wird der Linksextremismus von vielen verharmlost“, sagte Gröhe dem Tagesspiegel. Die Berliner CDU kündigte an, in den am Mittwoch begonnenen Koalitionsverhandlungen mit der SPD zu fordern, dass Verfassungsschutz und Polizei in der Hauptstadt sich stärker als bisher der Bekämpfung linksextremer Aktivitäten zuwenden sollen. Das sei von Rot-Rot vernachlässigt worden, sagte der CDU-Innenpolitiker Andreas Gram.

Von den Tätern fehlt jede Spur. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Wie in den vergangenen Tagen gab es auch am Mittwoch Verkehrsbehinderungen. Die Gleise der Schnellfahrstrecke bei Staaken waren von 11.30 Uhr bis 14 Uhr gesperrt; die Fernzüge fuhren über die Gleise der parallelen Stammbahn, auf der kein hohes Tempo möglich ist. In Schöneberg sperrten Beamte am Mittwoch die Torgauer Straße/Ecke Gotenstraße, der Verkehr wurde umgeleitet. Die S-Bahnen zwischen Südkreuz und Schöneberg wurden angehalten. Insgesamt sollen sich seit Montag 2000 Züge in und um Berlin verspätet haben.

Wie die Brandsätze funktionieren, war auch am Mittwoch nicht zu erfahren. Brennbare Flüssigkeiten in den Flaschen sollten wohl mithilfe eines Zeitzünders entflammt werden. Offenbar handelt es sich nicht um technisch ausgefeilte, gar militärische Konstruktionen. Diese hätte der Regen der vergangenen Tage kaum funktionsunfähig machen können.

Die Deutsche Bahn, zu der auch die Berliner S-Bahn gehört, prüft nach eigenen Angaben nun, die eigenen Sicherheitskräfte aufzustocken. Seit dem Anschlag bei Brieselang auf die Gleise nach Hamburg am Montag hat schon die für Bahnstrecken zuständige Bundespolizei ihre Kräfte verstärkt. Es seien Einheiten zur Überwachung von Gleisen und Bahnhöfen herangezogen worden, sagte ein Sprecher. Die Beamten arbeiteten sowohl in Uniform als auch in zivil. Wie viele zusätzliche Bundespolizisten im Einsatz sind, wurde aus taktischen Gründen nicht mitgeteilt. Die nun eingesetzten Beamten würden nicht aus dem Kontingent abgezogen, das seit Wochen in Berlin nachts nach Autobrandstiftern sucht. Diese 400 Polizisten gingen ihrer Aufgabe nach wie vor nach, sagte der Sprecher. Allerdings werde der Hubschrauber mit Wärmebildkamera, der zur Suche nach mutmaßlichen Autobrandlegern genutzt wird, nun auch für die Schienenkontrolle herangezogen. Die Bundespolizei betonte, dass das Schienennetz der Bahn in Berlin und Brandenburg mehr als 6400 Bahnkilometer umfasse, so dass „eine lückenlose Überwachung nicht möglich“ sei. Der Chef der Bundespolizeidirektion, Klaus Kandt, bezeichnete das Sicherheitskonzept von Bundespolizei und Deutscher Bahn als Erfolg. Dies zeige sich daran, dass die meisten Brandsätze gefunden worden seien, bevor sie zündeten. Allerdings waren viele der 14 Brandsätze in dieser Woche wohl eher zufällig entdeckt worden. Am Mittwoch etwa hatte ein S-Bahn-Fahrer aus dem Zug heraus etwas Verdächtiges gesehen, am Dienstag wurden durch Routinearbeiten bei Grünau Brandsätze entdeckt. Und auf den Fund bei Staaken war man gestoßen, weil es bei den Reparaturen an der Strecke nach Hamburg offenbar Hinweise darauf gegeben hatte, dass es auch auf den Gleisen nach Hannover neue Schäden geben könnte.

Nicht mit den Anschlagsversuchen zusammenhängen sollen die am Mittwoch auf einem Gehweg am Ostbahnhof gefundenen Benzinkanister. Die Polizei geht in diesem Fall von „Nachahmungstätern“ aus. (mit bib,lvt,ses,kt)

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