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Nach Attacke auf dem U-Bahnhof: Angst nach dem Angriff

Ärzte warnen vor Folgeschäden für das Opfer der Attacke im U-Bahnhof. Die Familie lehnt eine Entschuldigung des Schlägers ab.

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Das Opfer Markus P. möchte derzeit nicht allein sein. Seitdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, befinde sich der 29-Jährige im Kreise seiner Familie, sagte seine Mutter Carmen P. (50) dem Tagesspiegel. Erst am Mittwoch sei sie mit ihm bei einer weiteren Untersuchung beim Neurologen gewesen. „Er hat ein Schädelhirntrauma dritten Grades“, sagt die Mutter. „Er spricht langsam, manchmal etwas wirr, seine Motorik ist noch eingeschränkt und natürlich hat er durch die gebrochene Nase und die Verletzungen am Kopf starke Schmerzen.“ Zwar möge es in der Öffentlichkeit so wirken, als wenn mit ihrem Sohn wieder alles okay sei, weil er bereits nach drei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wurde, „doch es kann immer noch zu Folgeschäden kommen. Mal ganz abgesehen von den psychischen Schäden“. Die Familie befindet sich im Ausnahmezustand.

Die Mutter leidet mit: „Ich habe seit drei Tagen nichts gegessen, kaum geschlafen. Das Video, auf dem die Tat zu sehen ist, läuft in meinem Kopf wie eine Endlosschleife.“ Ihr Sohn habe die Bilder in einem Fernsehbeitrag, der auf dem Bildschirm im Krankenzimmer lief, gesehen und könne bis jetzt nicht wirklich begreifen, dass er es ist, der dort zusammengetreten wird. „Er fragt uns sogar: Hab’ ich etwa was falsch gemacht? Was ist denn dort nur passiert?“ Für die angekündigte Entschuldigung des Tatverdächtigen hat Carmen P. kein Verständnis. „Dafür gibt es keine Entschuldigung“, sagte sie. „Ich hätte fast meinen Sohn verloren, wäre der Zeuge aus Bayern nicht eingeschritten.“ Sie habe sich telefonisch bereits ausführlich bei ihm bedankt. „Wir sind so verblieben, dass wir uns spätestens zum Prozess hier in Berlin mal treffen“, sagt sie.

„Hier geht es nicht um Streitlust, sondern um Vernichtungslust“

Auch der Opferbeistand von Markus P., Thomas Kämmer, lehnt „jedwede Entschuldigung im gegenwärtigen Verfahrensstadium ab“. Zunächst wolle Kämmer Akteneinsicht nehmen. Er kritisierte zudem heftig, dass die Begründung des Beschuldigten, er habe die Tat aus „Streitlust“ begangen, kritiklos von den Behörden übernommen worden war. „Hier geht es nicht um Streitlust, sondern um Vernichtungslust“, sagte Kämmer. „Wie kann es sein, dass die Sprache des Beschuldigten hier bei der öffentlichen Auseinandersetzung zugrunde gelegt wird?“

Dies ist für die öffentliche Auseinandersetzung durchaus typisch. Auch das deutsche Strafrecht konzentriert sich üblicherweise auf die Rolle des Täters – das Opfer spielte jahrelang kaum eine Rolle. Im Prozess blieb die Rolle eines Geschädigten lange auf die des Zeugen reduziert. Oft genug mussten Opfer auf dem Flur warten, bis sie als Zeugen aufgerufen wurden, während nur ein paar Meter weiter die Kumpel des Angeklagten herumstanden.

Häufig komme es zu posttraumatischen Belastungsstörungen

Seit Ende der Achtziger wurde der Opferschutz ständig verbessert. Das Opfer darf als Nebenkläger in der Verhandlung anwesend sein, auch wenn es später als Zeuge vernommen werden soll. Es bekommt bei schwereren Taten auf Staatskosten einen Rechtsbeistand und kann auch Anträge stellen. Der Kreis der Nebenklageberechtigten wurde ständig erweitert, zuletzt um Opfer von Stalking und von Zwangsverheiratungen.

Gegen einen jugendlichen Angeklagten ist die Nebenklage nicht möglich; Torben P. ist mit seinen 18 Jahren aber schon Heranwachsender. Markus P. kann also als Nebenkläger auftreten.

„Die Opfer stellen sich immer dieselbe Frage: Warum wurde gerade ich zum Opfer?“, sagt Veit Schiemann von der Beratungsstelle Weisser Ring. Dabei liege die Schuld immer beim Täter. Häufig komme es erst Wochen nach einem Angriff zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Dann sei es ratsam, psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen. Auch hier gab es Verbesserungen durch die Gesetzesnovellen: Betroffene müssen von Polizei und Staatsanwaltschaft schon bei der Anzeigeerstattung über Hilfsangebote aufgeklärt werden. jra, fk, tabu

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