zum Hauptinhalt

Nach Bau-Chaos in Kreuzberg: Graefe-Schule: Boris Becker soll Turnhalle retten

Kreuzbergs Baustadträtin ist unter Druck, weil die Graefe-Schule zum Ferienende nicht fertig war. Während die Schüler notdürftig an einem Ausweichstandort lernen, hofft man nun bei der Sanierung auf die Hilfe eines Privatsenders.

Wer sehen will, wie man eine Schule zugrunde richten kann, ist zurzeit in der Kreuzberger Wilhelmstraße 117 an der richtigen Adresse. Hier wurde die neu gegründete Sekundarschule Graefekiez notdürftig einquartiert, weil ihr eigenes Gebäude noch nicht bezugsfertig war. Jetzt musste auch noch die Turnhalle gesperrt werden. Im grün regierten Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain wächst unterdessen die Unzufriedenheit mit der Amtsführung von Baustadträtin Jutta Kalepky.

Die parteilose, von den Grünen nominierte Stadträtin musste sich in der letzten Bezirksamtssitzung einiges an Kritik anhören, wie ihre Kollegen unverhohlen berichten. Obwohl die Sitzungen als vertraulich gelten, wurde anschließend erzählt, es habe „die Luft gebrannt“ – und zwar „ohne Parteisolidarität“. Bildungsstadträtin Monika Herrmann (Grüne) und Finanzstadtrat Jan Stöß (SPD) berichteten übereinstimmend, dass Kalepky aufgefordert wurde, zur nächsten Sitzung einen „umfangreichen Sachbericht“ über die aktuellen Bauvorhaben im Bezirk vorzulegen. Er soll darüber Aufschluss geben, wo weitere Verzögerungen oder Kostensteigerungen zu erwarten sind.

Nach dem Desaster an der Graefestraße sind die anderen Ressortchefs misstrauisch geworden. Schließlich hat Kalepkys Behörde zurzeit rund drei Dutzend Bauvorhaben zu betreuen. Allein aus Mitteln des Konjunkturpakets II des Bundes werden 54 Millionen Euro investiert. Stöß hat sich inzwischen die zwei Bibliotheksbaustellen, die zu seinem Ressort gehören, angesehen, um sicherzugehen, dass ihm nicht Ähnliches passiert wie Bildungsstadträtin Herrmann, die von einem empörten Personalrat auf die Zustände in der Graefestraße hingewiesen werden musste.

Wie berichtet, hatten Bauleitung und Bauamt die Schule für den Betrieb nach den Ferien am 23. August freigegeben, bevor Stadträtin Herrmann angesichts der Baustelle und auf Druck der Lehrer die Notbremse zog: Die frisch eingeschulten Siebtklässler wurden drei Wochen lang provisorisch an einer Grundschule untergebracht, bevor sie jetzt in die Wilhelmstraße in das gerade erst geräumte Gebäude der Zelter-Hauptschule umzogen. Hier sollen sie mit den höheren Klassen bleiben, bis „vielleicht nach den Herbstferien“ das Gebäude in der Graefestraße fertig ist.

Die Situation der Schule wirkt trostlos: Im Lehrerzimmer stehen Kisten herum, die keiner auspacken mag, weil es sich eigentlich nicht lohnt. Die neuen Siebtklässler lernen in schäbigen, ungemütlichen Räumen: Dass die Eltern nicht protestieren, wird damit erklärt, dass es sich großenteils um Kinder von bildungsfernen Migranten handelt. Wie unter diesen Startbedingungen Aufbruchstimmung in Richtung „Sekundarschule“ aufkommen soll, weiß keiner.

Nicht viel besser ergeht es den Neunt- und Zehntklässlern: Sie kommen aus der praxisorientierten „Stadt als Schule“, die in der neuen Sekundarschule aufgehen soll. Zusammen mit ihren Lehrern mussten sie ihr schön renoviertes, aber kleines Gebäude am Fraenkelufer verlassen, weil Senat und Bezirk den Neubeginn in einem größeren Gebäude verlangten. Nicht wenigen geht es wie der 18-jährigen Aylin, die jetzt eigentlich ihren Mittleren Schulabschluss nachmachen wollte, aber angesichts des Fehlstarts der Schule ihren Mut schwinden sieht. Zurzeit weiß sie nicht einmal, ob sich der Karton mit ihren Schulunterlagen noch am Fraenkelufer, in der Graefestraße oder schon in der Wilhelmstraße befindet.

„Wir leisten uns den Immobilienservice doch extra, damit so etwas nicht passiert“, empört sich Finanzstadtrat Stöß. Er erinnert daran, dass die Graefestraße nicht das einzige Baudilemma ist: Ungleich größere Probleme macht das Jugendamt am Halleschen Ufer, dessen Sanierung statt geplanter 90 000 Euro jetzt 1,5 Millionen Euro kosten soll, weil die Decken sich als nicht tragfähig erwiesen.

Baudtadträtin Kalepky zeigte sich auf Anfrage überrascht über die harsche Kritik aus dem Bezirksamt. Ihrer Meinung nach habe es bei „alle Beteiligten Fehleinschätzungen gegeben“. Jetzt werde man „in aller Gelassenheit und Ruhe“ sehen, dass man fertig wird. Im Übrigen sei es ja auch Aufgabe der anderen Ressorts, auf ihren jeweiligen Baustellen nach dem Rechten zu sehen. Wie berichtet, waren nicht nur Kalepky, sondern auch Herrmann sowie ihre Schulamtsleiterin vor Schulbeginn in Urlaub, so dass die Schulen zeitweise keine Ansprechpartner hatten.

Die Leiterin der neuen Graefe-Schule, Dagmar Jenssen, hat unterdessen einen neuen Dämpfer bekommen: Die überraschende Sperrung der Turnhalle macht ihr große Sorgen, „denn eine Schule ohne Turnhalle ist wie ein Fahrrad ohne Sattel“. Offenbar wurde die Baufälligkeit des Sanitär- und Umkleidetrakts erst im Zuge der Sanierung am Schulgebäude bemerkt. „Ohne Sport geht gar nichts“, steht für Jenssen fest, denn er ist notwendiger Bestandteil des Ganztagsprogramms für die Siebtklässler.

Nun gibt es allerdings neue Hoffnung: Sie stützt sich auf Boris Becker. Ein großer Privatfernsehsender plane gemeinsam mit dem Ex-Tennisstar eine neue Sendereihe mit dem Titel „Boris macht Schule“ und habe im Bezirk angefragt, ob es eine dringend sanierungsbedürftige Schule mit Turnhalle gebe, berichtet Finanzstadträt Stöß. Ihm sei spontan die Graefe-Schule eingefallen. Schon am Montag wolle das Fernsehteam anrücken, um Probeaufnahmen in der Graefe- und Wilhelmstraße zu machen. Sollten eine eigens dafür berufene Jury zu dem Schluss kommen, dass die Not groß genug sei, würden laut Herrmann „innerhalb von zwölf Tagen“ Handwerker anrücken – begleitet von Fernsehkameras.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false