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Unsicherheitsfaktor? Der Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums am Wannsee.

© dpa

Nach dem Flugrouten-Urteil: Der Reaktor mit dem Rest von Risiko

Die Flugrouten-Entscheidung vom Mittwoch hat den Streit um die Sicherheit des Forschungsreaktors am Wannsee wieder angefacht. Die Betreiber halten einen Katastrophenfall für sehr unwahrscheinlich - doch die Kritiker überzeugt das nicht.

Was geschieht, wenn ein Flugzeug auf den Forschungsreaktor in Wannsee stürzt? Dieser Frage ist das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung nicht ausreichend nachgegangen, als es die Flugrouten für den neuen Airport festlegte – sagt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und erklärt die Routen für rechtswidrig. Diese Entscheidung vom Mittwoch hat den Streit um die Sicherheit der Einrichtung wieder angefacht.

Die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie (HZB) erforschen dort unter anderem die Mikrostruktur von Werkstoffen. Solche Erkenntnisse können helfen, Solarzellen oder Brennstoffzellen zu verbessern. Dafür ist jedoch Neutronenstrahlung nötig, die beim radioaktiven Zerfall von Uran entsteht, das sich im Innern des Reaktors befindet. Im Vergleich zu den Atomkraftwerken, die Strom erzeugen sollen, ist die Anlage in Wannsee deutlich kleiner.

Doch gibt es Befürchtungen, dass im Katastrophenfall radioaktive Strahlung freigesetzt werden könnte. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 wurde deshalb ein „Stresstest“ in Wannsee veranlasst. Dabei wurden verschiedene Szenarien untersucht, von Erdbeben über Hochwasser bis zu Bränden. Nach Ansicht der Gutachter ist der Forschungsreaktor ausreichend gegen diese Gefahren gesichert.

Anders verhält es sich beim Absturz eines Passagierflugzeugs. Trifft es in einem bestimmten Winkel auf den Reaktor, könnte dieser so weit zerstört werden, dass Radioaktivität frei wird. „Dieser Fall ist sehr unwahrscheinlich, aber er lässt sich rein rechnerisch nicht völlig ausschließen“, sagt Ina Helms, Sprecherin des HZB. Kritiker des Forschungsreaktors entgegnen, dass auch die Katastrophe von Fukushima im Vorfeld als extrem unwahrscheinlich galt.

Die Schwachstelle des Reaktors ist ein Loch in der zwei Meter dicken Betonwand: Darin verläuft das Strahlrohr, durch das die Neutronen zu den Experimenten der Forscher geleitet werden. In dem Strahlrohr befinden sich – vor und hinter der Mauer – zwei „Fingerhutrohre“, die wie Stöpsel wirken und verhindern, dass das Kühlwasser aus dem Reaktor herausfließt. „Nur wenn beide Fingerhutrohre zerstört werden, kann das Wasser entweichen, so dass eine Kernschmelze möglich ist“, sagt Helms. Dann können radioaktive Partikel über die Luft in die Umgebung gelangen.

Für diesen Fall gibt es einen Notfallplan. Je nach Ausmaß des Schadens würden Jodtabletten an die Anwohner verteilt, im Umkreis von 2,5 Kilometern seien auch Evakuierungen möglich, sagt Helms. „Im schlimmsten Fall können die Bewohner erst nach drei Monaten wieder zurück in ihre Häuser.“ Dann sei die Radioaktivität genügend abgeklungen.

„Aber dieser worst case ist sehr unwahrscheinlich, schließlich steht der Reaktor nicht auf freiem Feld, sondern ist von mehreren Gebäuden umgeben.“ Daher sei fraglich, ob ein abstürzendes Flugzeug überhaupt im entsprechenden Winkel dem ebenerdigen Reaktor nahekommen könnte.

Sollte eine solche Katastrophe eintreten, wäre zuerst die Betriebsfeuerwehr zur Stelle. Sie ist tagsüber laut Helms mit mindestens neun Rettungskräften besetzt, nachts mit einer Person sowie einer weiteren in Rufbereitschaft. „Nach acht bis zehn Minuten ist auch die Berliner Feuerwehr da, das zeigen Katastrophenübungen.“ Der Reaktor selbst hat eine Abschaltautomatik: Von Elektromagneten gehaltene Steuerstäbe fallen zwischen die Brennstäbe und stoppen die Kettenreaktion. Eine Kernschmelze ist dann nicht mehr möglich. Doch auch dann wäre der Absturz eines vollbesetzten Passagierflugzeugs eine Katastrophe, die Rettungskräfte und Anwohner bis aufs Letzte fordern würde und die, so hoffen alle, nie eintritt.

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