zum Hauptinhalt
Trauer in Eichwalde. Alyssa liebte Mangas und teilte diese Begeisterung mit dem sechs Jahre älteren Maurice M. aus Nordrhein-Westfalen. Als dieser mehr wollte, wandte sie sich ab und musste deshalb sterben. Am Tatort brannten damals wochenlang die Kerzen.

© IMAGO

Update

Nach dem grausamen Tod der 14-jährigen Alyssa: 13 1/2 Jahre Gefängnis im "Manga-Mordprozess"

Ein Bekannter aus dem Netz tötete die 14-jährige Alyssa aus Eichwalde mit 78 Messerstichen. Heute ist das Urteil gefallen. Das Gericht sieht die Mordmerkmale Heimtücke und niedere Beweggründe erfüllt und bleibt nur knapp unter der Jugendhöchststrafe.

Von Sandra Dassler

„Die Tat ist heute noch genauso unfassbar wie vor eineinhalb Jahren“, sagt eine Lehrerin der Ludwig-Witthöft-Oberschule in Wildau. Hier ging die 14-jährige Alyssa in eine der 9. Klassen – bis zum 18. November 2013, als sie auf dem Nachhauseweg von der Schule auf unfassbar grausame Weise sterben musste. Jetzt hat das Landgericht Cottbus ein Urteil gefällt: Maurice M. ist des Mordes und der gefährlichen Körperverletzung schuldig erklärt und zu einer Jugendstrafe von 13 1/2 Jahren verurteilt worden.

Das Gericht sah die Mordmerkmale der Heimtücke und niederen Beweggründe erfüllt, da Melissa zum Zeitpunkt der Tat arg- und wehrlos war. Maurice M. habe nicht ertragen, dass sie nicht mehr mit ihm zu tun haben wollte. Es blieb mit dem Urteil nur knapp unter von der Staatsanwaltschaft geforderten Jugendhöchststrafe von 15 Jahren.

Mit 78 Messerstichen soll der heute 21-jährige Maurice M. aus Lohmar in Nordrhein-Westfalen das Mädchen getötet haben. Alyssa starb auf einer Wiese in der Nähe des S-Bahnhofs Eichwalde, nur wenige hunderte Meter von ihrem Elternhaus entfernt. Der Richter sagte zu den Eltern des Mädchens gewandt: "Das war eine grausige Tat, die schlimmste, die mir in meinen langen Richterleben untergekommen ist."

Alyssas Mutter weinte oft im Gerichtssaal

20 Prozesstage lang hatten die Richter Zeit, sich ein Bild über die Tat zu machen. Sechs Tage waren ursprünglich eingeplant – dass sich das im August letzten Jahres eröffnete Verfahren so lange hinzog, hat Alyssas Eltern schwer belastet. Mehrfach war die Mutter im Gerichtssaal weinend zusammengebrochen – etwa als Rettungskräfte schilderten, wie sie das Mädchen fanden oder als der Gerichtsmediziner über die Verletzungen berichtete.

Dabei hatten die Eltern eigentlich alles richtig gemacht: Als sie erfuhren, dass ihre 14-jährige Tochter, die sich für japanische Comics, so genannte Mangas begeisterte, Kontakt mit einem Jungen im Internet aufgenommen hatte, reagierten sie nicht ablehnend. Als Alyssa, die wochenlang mit Maurice M. gechattet hatte, erzählte, dass dieser sie treffen wolle, luden sie ihn zu sich nach Hause ein. So konnten sie sich selbst ein Bild machen.

Für Alyssa verlief das erste persönliche Treffen mit dem sechs Jahre Älteren eher enttäuschend. Auch die Eltern rieten zur Zurückhaltung, doch als Alyssa den Kontakt einschränkte, wurde Maurice M., der sich angeblich unsterblich in sie verliebt hatte, aufdringlich. Er drohte, sich umzubringen, wenn sie ihn „verlasse“.

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Ein psychiatrischer Gutachter bescheinigte dem jungen Mann während der Verhandlung am Cottbuser Landgericht eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Auch empfinde er keine Empathie, könne sich also nicht in die Gedanken oder Gefühle anderer hineinversetzen. Alyssa hingegen wurde von ihren Eltern, Freunden und Lehrern als sehr mitfühlendes, freundliches Mädchen beschrieben. Wahrscheinlich tat ihr Maurice leid. Womöglich spielte auch eine Rolle, dass sich ihr älterer Bruder einige Jahre zuvor das Leben genommen hatte – jedenfalls willigte sie in ein weiteres Treffen ein.

Wieder kam Maurice M. nach Eichwalde, diesmal sagte ihm Alyssa, dass sie die Beziehung beenden wolle. Alyssas Mutter brachte ihn noch zum Berliner Busbahnhof. „Sie macht sich immer noch Vorwürfe, dass sie nicht gewartet hat, bis er eingestiegen und losgefahren war“, sagt Rechtsanwalt Sven Peitzner, der die als Nebenkläger auftretenden Eltern vertritt. Denn Maurice fuhr nicht zurück, sondern nahm ein Zimmer in Grünau und lauerte Alyssa in Eichwalde auf.

Staatsanwaltschaft spricht von Mord

Im Prozess wurde klar, dass sich die beiden zunächst unterhielten, irgendwann wandte Alyssa dem Angeklagten den Rücken zu, worauf dieser ihr dreimal mit einer Bierflasche auf den Kopf schlug. Als sie benommen am Boden lag, stach er zunächst mit einem kleinen, dann mit einem großen Messer auf sie ein. Möglicherweise, so erklärten Gerichtsgutachter, waren schon die ersten Messerstiche tödlich, weil sie die Bauchaorta des Mädchens durchtrennten. Einen Schulkamerad Alyssas, der ihr helfen wollte, verletzte Maurice M. mit dem Messer an der Hand. Das Gericht verhandelte auch diese Körperverletzung.

Auf die Tötung Alyssas traf schon vor dem Urteil nach Ansicht der Staatsanwaltschaft das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe als auch der Heimtücke zu – sie rechnete überhaupt nicht mit einer körperlichen Attacke und konnte sich daher nicht wehren. Da Maurice M. einem Gutachten zufolge seinem geistigen Entwicklungsstand nach eher einem 16-Jährigen gleicht, wurde er nach Jugendstrafrecht verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft hatte die Jugendhöchststrafe gefordert. Diese liegt normalerweise bei zehn Jahren, in besonders schweren Fällen wie Mord kann sie auf 15 Jahre erhöht werden. Die Staatsanwaltschaft hatte dies beantragt und auch die Nebenkläger hielten das für angemessen.

Verteidigung plädiert auf Totschlag

Die Verteidiger von Maurice M. hatten hingegen auf Totschlag und eine Haftstrafe nicht über neun Jahren plädiert. „Wir dürfen die Tat nicht moralisch, sondern müssen sie nach streng juristischen Kriterien beurteilen“, sagte der Cottbuser Anwalt Michael Sinapius. Und da sei das Merkmal der Heimtücke nicht erfüllt, weil die Schläge mit der Flasche nicht tödlich gewesen seien. Und statt niedriger Beweggründe attestierte er seinem Mandanten aufgrund der narzisstischen Persönlichkeitsstörung eine tiefe Kränkung, weswegen er sich nicht mehr habe steuern können.

Vor Gericht hatte Maurice M. geschwiegen und selten eine Regung gezeigt. Die zu Beginn des Prozesses von seinem Rechtsanwalt verlesene Entschuldigung klang für die Eltern von Alyssa nicht ehrlich. „Das war so beschrieben als habe der junge Mann mal eben Papas Auto an einen Baum gesetzt“, sagt Sven Peitzner, „aber nicht, als habe er ein ganzes Leben ausgelöscht.“

Der Abschiedsbrief

Trotz der Persönlichkeitsstörung gilt Maurice M. nicht als schuldunfähig. Auch eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik des Maßregelvollzuges, wovor der Angeklagte wohl am meisten Angst hatte, kommt nicht in Frage. Für Alyssas Eltern wird das Urteil – ob neun oder fünfzehn Jahre – kein Trost sein. Wie Hohn liest sich für sie, was im Abschiedsbrief steht, den Maurice M. vor der Tat an seine Eltern verfasste. Er hatte einen Stoffpinguin daneben gelegt und geschrieben: „In ihm leben wir weiter.“ Nach der Tat war er auf die S-Bahn-Gleise gelaufen, doch der Triebfahrzeugführer konnte bremsen. Alyssa war da schon verblutet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false