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Berlin: Nach dem Spiel ist nach dem Spiel

Er hat immer erwartet, dass ihn einer auf der Straße beschimpft. Jetzt geht Robert Hoyzer mit sichselbst ins Gericht

Robert Hoyzer saß an diesem Abend allein in seiner Wohnung. Er studierte Akten, er blickte nur gelegentlich zum Fernseher. Das Fußball-Länderspiel Deutschland – China lief, Deutschland spielte schlecht, und der Moderator mäkelte an der Chancenverwertung, an der Abwehr und am Sturm herum. Das Spiel war Hoyzer ziemlich egal, ihm ging es um einen Hinweis. Er wollte wissen, ob der Moderator sagt: „Dieses Spiel findet deshalb in Hamburg statt, weil damit der Hamburger SV entschädigt wird. Wie Sie sicher wissen, ist das Pokalspiel des HSV gegen Paderborn von Skandalschiedsrichter Robert Hoyzer manipuliert worden. Der HSV schied damals unberechtigt aus.“ Aber der Satz kam nicht. „Das hat mich wirklich beruhigt und erleichtert“, sagt Hoyzer. Der Abend ließ ihm die Illusion, dass man nicht auf ihn schaut, wenigstens für den Moment.

Hoyzer sitzt in einem Café in Berlin-Spandau, trinkt Apfelsaftschorle, die Haare sind nach oben gegelt. Es ist der Donnerstag vergangener Woche, am Vorabend lief das Länderspiel. Sein weißes T-Shirt mit dem roten Schriftzug ist hauteng. Einen Rest Eitelkeit scheint sich Robert Hoyzer bewahrt zu haben. Aber der Zwei-Meter-Mann ist massiger geworden. „Ich habe ein paar Kilogramm zugenommen“, sagt er.

Morgen beginnt sein Prozess. Robert Hoyzer, 26 Jahre alt, einst hochtalentierter Zweitliga-Schiedsrichter, Hauptfigur im größten deutschen Fußball-Skandal seit 1971, ist der Wettmanipulation angeklagt. Er hat für verpfiffene Spiele von dem Kroaten Ante S. aus Berlin mehr als 50000 Euro und einen Plasma-Fernseher erhalten. Ante S. gilt als Drahtzieher, er soll durch die Manipulationen zwei Millionen Euro Wettgewinn kassiert haben. Seine Brüder Milan und Filip stehen auch vor Gericht. Hoyzer hat sie verraten. Vorher hatte er selbst gestanden.

„Ich merke, dass ich jetzt angespannter werde“, sagt Hoyzer, im letzten Moment hatte er dem Gespräch zugestimmt. Das Café ist fast leer, kein Stimmengewirr, irgendwann zündet eine Bedienung eine Kerze auf dem Tisch an, der richtige Ort für eine Selbstbesinnung. Beim Prozess wird Hoyzer die Brüder auf der Anklagebank wiedersehen, das erste Mal seit dem Skandal. „Wir hatten viel Spaß, aber ich war für sie auch der kleine Junge, der bei Laune gehalten werden musste“, sagt Hoyzer. „Es ist ein seltsames Gefühl, sie wiederzusehen. Ich habe denen eingeschenkt, die können ja das gleiche tun.“

Seit Juni ist es etwas ruhiger um ihn geworden. „Bis dahin“, sagt er, „war ich ja quasi auf der Flucht.“ Er hatte bei seiner Tante in Dallgow in der Nähe von Berlin gewohnt oder in einem Hotel in Teltow. Die Adressen kannten nur enge Freunde. Doch seit Juni hat er eine eigene Wohnung in Spandau, wo er aufgewachsen ist. Wenn er in die Kneipe um die Ecke gehe, lasse man ihn in Ruhe. Er geht auch zu Aldi, seit März lebt er von Arbeitslosengeld II. Auf der Straße oder beim Einkaufen starren ihn die Leute an, er hasst das. „Nichts ist unangenehmer“, sagt er. Irgendwann hatte er das Gefühl, dass jeder nur ihn anschaue, er spricht sogar von Verfolgungswahn. Manchmal sprechen ihn auch Leute an. „Sie durchbrechen die Barriere“, nennt Hoyzer das. Es ist ihm lieber so. „Dann weiß ich, was sie denken. Wenn es sich ergibt, breite ich meine Geschichte aus.“ Er sagt, nie habe ihn jemand beschimpft. „Ich habe immer gewartet, dass etwas passiert. Aber es passierte nichts.“ Es gibt aber auch andere Gerüchte – etwa, dass er in einer Berliner Discothek mit Bier überschüttet worden sei.

Einmal fuhr er mit Freunden an die Ostsee, einmal ins Ruhrgebiet. Er muss sich drei Mal wöchentlich bei der Polizei melden, aber er kann die Termine so legen, dass er ein paar Tage weg kann. Ansonsten beschäftigt er sich mit seinem Prozess.

Er zündet sich eine rote Gauloise an, dann sagt er: „Ich fühle mich wie ein Baum, an den man die Kettensäge angesetzt hat. Manchmal denke ich, dass der Baum einen Zentimeter gewachsen ist. Manchmal aber stehe ich mit der Gießkanne davor.“

Vor allem hat er bei anderen die Kettensäge angesetzt. Freunde, Bekannte, Schiedsrichter-Kollegen, seine frühere Freundin, er hat sie getäuscht und belogen. Hoyzer erzählt vom Leid, das er anderen zugefügt hat, von denen, die er enttäuscht hat und die wegen ihm leiden. Er sagt, er könne verstehen, wenn sie sich abwenden. Er bewegt sich dabei kaum, meist liegen seine Arme auf dem Tisch, oder er spielt mit seinem Glas. Seine Stimme klingt nüchtern, fast geschäftsmäßig. Das muss nichts bedeuten. Das kann damit zu tun haben, dass Hoyzer gerade sein Leben aufarbeitet. Und je länger er redet, umso stärker wird der Eindruck, dass da einer über Nacht erwachsen werden musste.

Hoyzer beschreibt sich als extrovertierten Showman, der eine Fassade benötigte, um seine Unsicherheit zu verbergen. „Ich dachte, das erwartet man von einem Zwei-Meter-Mann. Ich war zu stolz, um Fehler zuzugeben.“ Erst in einem Hotel in Magdeburg, einen Tag nach dem ersten öffentlichen Dementi, „da habe ich diesen Druck zu lügen nicht mehr ausgehalten“. Da gestand er seiner damaligen Freundin alles. Die war geschockt, „aber reagierte zum Glück sehr kontrolliert“, sagt er. Wenn er von ihr redet, wird sein Blick weicher und die Stimme sanfter. Sie haben sich kurz nach seinem Geständnis getrennt. „Sie war mit allem überfordert.“ Auch vor ihr leugnete er seine Manipulationen und versprach ihr „110-prozentige Treue“. Dann erfuhr sie, dass er in der Nähe von Frankfurt in ein Bordell gegangen war. „Ich habe sie wahnsinnig enttäuscht“, sagt er. Die Beziehung haben sie in einem Telefonat beendet, „total emotionsarm, so als würden wir über den Kauf eines Sofas reden“, sagt Hoyzer. Er hat ihr einen Brief geschrieben, sie schrieb zurück. Die Post kam über ihren Anwalt.

„Ich hinterfrage mich jetzt viel mehr und weiche Problemen nicht mehr aus“, sagt Hoyzer. Aber jene, die er betrogen und getäuscht hat, wollen davon nichts wissen. „Ich wüsste nicht, was ich mit ihm bereden sollte“, sagte Gerhard Müller kurz vor dem China-Länderspiel. Müller hatte Hoyzer jahrelang ausgebildet. „Er war eine Art Vaterfigur für mich“, sagt Hoyzer.

Müllers Kommentar nimmt er mit einem Nicken hin. Er weiß, dass er Jahre brauchen wird, um wieder Vertrauen zu schaffen. Überrascht hätte ihn wohl nur, wenn Müller zu einem Treffen bereit gewesen wäre. Hoyzer hat nach dem Prozess, unter dem Eindruck des Schocks, viel von seinen Lernphasen erzählt. Aber offensichtlich hat ihm erst die Ruhe der letzten Monate die Dimension seines Falls deutlich gemacht. „Ich habe sehr lange gebraucht, bis mir vieles klar war“, sagt er. „Der Ballast wird vielleicht nie ganz abfallen.“ Vor kurzem geriet ein Regionalliga-Schiedsrichter nach fragwürdigen Pfiffen prompt unter Manipulationsverdacht. „Siehst du, das hast du angerichtet“, habe er sich gesagt. „Ich stoße jeden Tag auf neue Dinge.“

Nur seine engsten Vertrauten haben sich nie abgewandt, Oliver Kelm, sein bester Freund, und seine Mutter haben zu ihm gehalten. Die Mutter soll auch nicht ins Gericht kommen, sagt er. „Ich möchte ihr das nicht zumuten. Ich muss den schlimmsten Weg allein gehen.“

Wegen der Mutter hat er zum letzten Mal geweint. Sie besuchte ihn mit seinem Vater in der U-Haft, Hoyzer wollte bei ihrem Treffen die Fassung bewahren, also hockte er sich kurz vor dem Termin hin und heulte. Er hat ihr nicht gesagt, dass er in seiner Einzelzelle vor dem dreifach vergitterten Fenster stand und dachte: „Warum müssen elf Jahre Schiedsrichterei so enden?“

Manchmal träumt er, dass er wieder Schiedsrichter ist, „aber nicht auf dem Platz in einem Stadion, wo ich manipuliert habe, sondern im lockeren Gespräch mit Kollegen“. Dann ist der Traum zu Ende und Hoyzer wieder in der Realität. „Fußball ist für mich zu Ende.“ Ein kurzer, harter Satz.

Bei den Vereinen, die er betrogen hat, will er sich entschuldigen. „Aber erst nach dem Prozess“, sagt er. „Wenn jemand den Brief öffentlich macht, würde sonst jeder denken, ich wolle für den Prozess noch Vorteile für mich herausschlagen.“

Er habe die Zufriedenheit als Wert entdeckt, sagt Hoyzer. „Warum war ich nicht zufrieden mit dem, was ich hatte? Es war doch genug, ich hatte mehr als viele andere.“ Job, Partnerin, Freunde, „das würde mir jetzt reichen. Früher genügte das nicht“.

Aber wo soll einer wie Hoyzer, gebrandmarkt auf Jahre, Arbeit finden? Vorausgesetzt, er erhält Bewährung. Als Höchststrafe drohen mehrere Jahre Haft. Hoyzer hat Sportmarketing studiert, auch das hat er abgehakt. „Im März habe ich mich exmatrikuliert. Banker oder Polizist oder sonst etwas Rechtschaffenes kann ich auch vergessen.“ Etwas mit Medien wäre nicht schlecht, sagt er. Ein Volontariat bei einem Fernsehsender zum Beispiel.

Aber erst einmal muss er den Prozess überstehen. Ein Mann schrieb ihm in die U-Haft eine Karte mit nur einem Satz: „Herr Hoyzer, ich wünsche Ihnen eine angemessene Strafe.“ Hoyzer verstand das so: Gefängnis.

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