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Der Neptunbrunnen in Berlin.

© dpa

Nach dem tödlichen Schuss im Neptunbrunnen in Berlin: Polizeipräsident Kandt: „ Dann würde ich die Waffe nehmen“

Ein tödlicher Einsatz am Neptunbrunnen, scharfe Kritik von Kollegen: Polizeipräsident Klaus Kandt über Notwehr, Experimente mit Tasern und einen Leserbrief im Tagesspiegel.

Von Sabine Beikler

Herr Kandt, am Freitag wurde ein verwirrter Mann im Neptunbrunnen erschossen. Hätte der 31-Jährige nicht anders gestoppt werden können?

Hinterher stellt man sich die Fragen, was man eventuell anders hätte machen können. Der Kollege hat meines Erachtens den richtigen Versuch gemacht, dem Mann das Messer abzunehmen und ihm zu helfen. Die Situation entwickelte sich wohl auch für den Beamten überraschend. Wenn so eine Situation eskaliert, besteht kaum die Möglichkeit mehr, anders zu reagieren. Soweit ich auf dem Video erkennen kann und dem ersten Anschein, spricht viel für eine Notwehrsituation. Die Bewertung liegt allerdings bei der Staatsanwaltschaft.

Warum stieg der Beamte in den Brunnen, obwohl der Mann ein langes Messer hatte?

Kollegen standen um den Brunnen herum. Der Beamte wollte die Distanz verkürzen und an den Mann herankommen, um ihm das Messer wegzunehmen. Das sage ich vorbehaltlich der Einsatzauswertung, die noch nicht beendet ist.

Können Sie sagen, warum der Beamte mit seiner Pistole auf den Oberkörper des Mannes und nicht auf dessen Beine gezielt hat?

Diese Diskussion habe ich mit Erstaunen wahrgenommen. Das Messer ist in der Nahdistanz eine äußerst gefährliche Waffe. Sie können schnell tödliche Verletzungen erleiden. Wenn Sie das Bein treffen, heißt das nicht, dass derjenige angriffsunfähig ist. Stehen Sie wie in diesem Fall vielleicht zwei Meter vor demjenigen, der das Messer hält, kann derjenige auch noch mit einem Beinschuss diese Distanz überwinden und zustechen. Geht es um Ihr Leben oder sind Sie in einer Notwehrsituation, muss man auch in den Oberkörper schießen können.

Warum wurde nicht der Schlagstock oder Reizstoff eingesetzt?

Nach meinem Kenntnisstand hatte der Beamte eine Zeitlang den Schlagstock in der Hand, ihn dann weggesteckt, als die Situation bedrohlicher wurde. Ich möchte noch einmal sehr deutlich sagen: Das Messer ist eine wirklich sehr gefährliche Waffe. Um einen Messerangriff effektiv abzuwenden, muss ich hundertprozentig sichergehen. Ich kann keine Experimente mit dem Schlagstock oder anderen Sachen machen. Da ist die Gefahrenschwelle überschritten.

Warum wurde nicht das SEK gerufen?

Die Einsatzauswertung ist noch nicht abgeschlossen. Nach meinem Kenntnisstand war es eine Situation, in der man unverzüglich handeln musste. Der Mann hatte sich ja schon mit dem Messer Verletzungen zugefügt und bereits geblutet. Das Eintreffen des Spezialeinsatzkommandos hätte man meines Erachtens nicht abwarten können. Es war notwendig, in dieser Situation sofort zu handeln.

Es ist nicht der erste Fall, dass Polizisten psychisch auffällige Personen in Extremsituationen erschießen. Warum bereitet man sie nicht darauf vor, dass psychisch Kranke anders reagieren?

Das ist immer schön gesagt. Der springende Punkt ist doch, wie ansprechbar das Gegenüber noch ist. Zum Teil sind diese Personen nicht ansprechbar, stehen unter Drogen oder sind schmerzunempfindlich. Dann nützen auch die üblichen polizeilichen Maßnahmen nicht, um diese Personen zu überwältigen oder sie zu beruhigen. In vielen Fällen wehren sich diese Personen auch weiterhin heftig und können extrem gefährlich werden. Das sollte man nicht unterschätzen.

Werden Polizeibeamte geschult, wie sie in Extremsituationen umzugehen haben?

Wir haben ein Festnahme- und ein Schießtraining. Dort werden Rollenspiele durchlaufen. Das wird geübt. Wir wissen aus langjähriger Erfahrung, dass in Notfallsituationen nur das abgerufen werden kann, was zuvor trainiert worden ist. Die Ausbildung ist so strukturiert.

Es gibt die Diskussion über die Taser, also Elektroschockpistolen.

Der Taser ist geeignet, in bestimmten Situation das Gegenüber zu entwaffnen. Er kann die Schusswaffe aber nicht ersetzen. Wenn es zu einer Notwehrsituation kommt, dann würde ich taktisch die Waffe bevorzugen. In der Situation, wo der Mann noch im Brunnen saß und passiv sich selbst verletzte, wäre der Taser wahrscheinlich geeignet gewesen, ihn sicher zu entwaffnen.

Die Stimmung unter Polizisten ist auch so angespannt. Ein Einsatzhundertschaftstruppführer beklagte am Sonntag in einem Leserbrief im Tagesspiegel, dass Beamte oft dem Vorwurf rassistischer Äußerungen ausgesetzt sind und wenig Rückendeckung von der Polizeiführung bekommen.

Die Beamten machen einen echt harten Job. Ich bin seit einem halben Jahr wieder in Berlin und bin überrascht, wie schnell meine Beamten angegangen werden und wie viel Misstrauen ihnen gegenüber gebracht wird. Ich bekomme andererseits auch viele Dankesschreiben. Wir leisten unter schwierigen Bedingungen eine gute Polizeiarbeit. Wir haben in den letzten 20 Jahren die Kommunikationsfähigkeit der Beamten und den adäquaten Umgang mit dem Bürger geschult. Wir sind in Berlin sehr bürgerfreundlich geworden. Und den öfter reflexartig geäußerten Vorwurf, wir würden rassistisch handeln, finde ich überzogen.

Der Truppführer beklagt auch, dass die Rückendeckung der Polizeiführung fehlt.

Wir haben viele Einsätze. Nicht immer läuft alles glatt. Ich kann nicht pauschal beim ersten Sachverhalt ohne Prüfung einen Blankoscheck ausstellen und bescheinigen, dass alles gut gelaufen ist. Ich nehme mir die Zeit, um mir Sachverhalte auch genau anzuschauen.

Werden Sie mit dem Beamten sprechen?

Wir haben einen Gesprächstermin zeitnah verabredet. Ich werde nicht nur mit ihm, sondern mit einer größeren Gruppe über die Polizeiarbeit sprechen.

Beamte beklagen bei Ihnen im Präsidium ein Klima des Misstrauens.

Ich kann das nicht bestätigen. Ich gebe meinen Kollegen einen Vertrauensvorschuss und gehe auch auf sie zu.

Das Gespräch führte Sabine Beikler

Klaus Kandt, 53,

ist seit Dezember Polizeipräsident in Berlin. Die Behörde hat 16 000 Mitarbeiter. Im Verlauf seiner beruflichen Karriere war Kandt auch SEK-Teamführer in der Stadt.

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