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Berlin: Nach dem Urteil: Sürücü-Schwester will Sorgerecht

Familie kämpft um Sohn der ermordeten Hatun. Politiker zweifeln, dass das zum Kindeswohl ist

Von Sabine Beikler

Seit dem Mord an seiner Mutter Hatun Sürücü im Februar 2005 lebt der sechsjährige Can bei Pflegeeltern in Berlin. Jetzt will Hatuns Schwester Arzu Sürücü das Sorgerecht für ihren Neffen beantragen. „Die Familie will das Sorgerecht. Das wollten wir von Anfang an. Wir haben nur das Urteil abgewartet. Jetzt werde ich in den kommenden Wochen das Sorgerecht beantragen“, sagte Arzu Sürücü dem Tagesspiegel am Sonnabend – zwei Tage nachdem das Landgericht den 20-jährigen Bruder Ayhan wegen Mordes an seiner Schwester Hatun zu einer Jugendhaft von neun Jahren und drei Monaten verurteilt hat. Zwei weitere mitangeklagte Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Nach dem Urteilsspruch hat die Staatsanwaltschaft Revision angekündigt.

Bis zum Urteil war den Sürücüs jeder Umgang mit dem Kind untersagt. Rein rechtlich können Familienmitglieder das Sorgerecht für das Kind eines verstorbenen Angehörigen beantragen. „Das Familiengericht wird darüber zu entscheiden haben, ob das zum Wohle des Kindes geschieht“, sagte Anwältin Seyran Ates dem Tagesspiegel. Ates, Trägerin des Frauenpreises 2004, hat sich auf Familien- und Strafrecht spezialisiert. Die Entscheidung des Familiengerichts werde auch von einer Einschätzung des Jugendamtes mitgetragen. Auch wenn nach dem Mord an Hatun Sürücü keine „Sippenhaft“ über die Familie verhängt werden sollte, zweifelt Ates daran, dass Arzu Sürücü das Sorgerecht für den sechsjährigen Can erhält. „Außer, sie findet einen Richter, der eine solch absurde Entscheidung trifft“, sagte Ates.

Auch der in Istanbul lebende leibliche Vater des Kindes könnte das Sorgerecht beantragen. Offenbar hat die Familie aber keinen Kontakt zu ihm. „Ich habe mit ihm gar nicht über das Sorgerecht gesprochen“, sagte Arzu Sürücü. Ihre Schwester Hatun war mit einem Cousin in der Türkei zwangsverheiratet worden. Als sie 1999 in Berlin ihren Sohn auf die Welt brachte, weigerte sie sich, wieder in die Türkei zurückzukehren: Sie nahm sich eine eigene Wohnung, legte den Schleier ab, begann eine Ausbildung – und lebte bis zu ihrem Tod nach westlichen Wertvorstellungen. Dass ein Familienrat den Mord beschlossen hatte, konnte aber vom Gericht nicht nachgewiesen werden.

Hatun Sürücü lebte mit ihrem Sohn nahe der Oberlandstraße. Vor ihrem Tod hatte sie zaghaft versucht, sich ihrer Familie wieder anzunähern. Manchmal empfing sie ihren Bruder und späteren Mörder zu Hause, wo dieser mit Can spielte. Zuweilen brachte Hatun ihr Kind an Wochenenden auch in die Wohnung der Eltern am Kottbusser Tor. Ayhan Sürücü hatte in seinem Geständnis gesagt, dass er seine Schwester auch erschossen habe, weil sie keinen guten Einfluss auf Can ausübe.

Für den Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu ist es eine „Katastrophe“, dass Arzu Sürücü jetzt das Sorgerecht für Can beantragen will. „Das ist nicht zum Wohl des Kindes, wenn es nach den Wertvorstellungen der Familie erzogen wird.“ Der Junge dürfe nicht in die Familie zurück. „Das kann doch nicht im Sinne seiner erschossenen Mutter sein“, sagte die FDP-Abgeordnete Mieke Senftleben. Die ganze Familie sei in den Mord „verwickelt“, sagte Evrim Baba von der Linkspartei/PDS: „Die Mutter des Jungen wurde regelrecht hingerichtet.“ Can sollte lieber in der Pflegefamilie bleiben. „Ich gehe davon aus, dass die Behörden das dann auch so entscheiden werden.“ Ein Vertreter des Jugendamtes war am Sonnabend nicht zu erreichen.

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