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Silvesterlaune. Es wäre schon schön, wenn die Berliner versuchen würden, auch den Rest des Jahres nett zueinander zu sein.

© dpa

Nach den Festtagen einfach weiterlächeln: Mundwinkel hoch!

Es war eine so wunderbare Stimmung in der Stadt zu Weihnachten, Silvester und Neujahr. Alle waren freundlich, überall lächelnde Gesichter. Kann das nicht bitte auch den Rest des Jahres so sein?

Es ist jetzt schon wieder sechs Tage her, aber noch immer wärmt mich die Erinnerung: Montag früh, ich frierend und schnaufend auf dem Fahrrad Richtung Büro unterwegs. Plötzlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite Bewegung: Ein Arm fliegt hoch, winkt ausladend, unter einer dicken Mütze ein lachendes Gesicht. „Frohes Neues!“ schallt es über die Kastanienallee. Eine alte Bekannte, ewig nicht gesehen. Ich winke begeistert zurück, schreie: „Ebenso!“ Und denke: Ist das nicht eine wunderbare Großstadt, in der man auf der Straße erkannt, angestrahlt, gegrüßt und mit guten Wünschen bedacht wird?

Ja, ich gebe zu, ich mag die süßliche Silvesterzeit, ich mag das Drücken und Umarmen und die vielen verbalen Streicheleinheiten. Egal, wie abgedroschen und konventionell. Mir gefällt es, wenn es überall heißt: Alles Gute, feiert schön, erholt euch, rutscht gut rein, wir sehen uns im neuen Jahr! Und dann mag ich auch diese erste Arbeitswoche im Januar, wenn alle immer noch satt und zufrieden und ausgeruht und gut gelaunt von den Feiertagen sind. Wenn die Weihnachtsdeko aus den Schaufenstern verschwunden ist, aber in den Herzen immer noch ein bisschen die Kerzen brennen.

Zwei, drei Tage hallt der Frohsinn erfahrungsgemäß nach, maximal bis zum sechsten, siebten Januar. Dann ist aber auch Schluss mit dem Geseier und Gesäusel. Aus. Vorbei. Vergessen. Vor uns liegen jetzt wieder fünfzig harsche Wochen, in denen kein Wort zu viel gesprochen wird, schon gar kein nettes. Warum auch? Die Stadt ist hart, aber wir sind härter. Grundloses Grinsen, zuvorkommende Liebenswürdigkeit? Das ist was für Warmduscher und Südländer. In Berlin gilt: schenk’ kein Lächeln. Ignoriere deine Mitmenschen wenn irgend möglich, renn’ an ihnen vorbei, schau durch sie hindurch – und wenn sie es wagen, trotzdem blöd im Weg rumzustehen, dann pöbele sie an.

Was wäre, wenn wir genau jetzt anfingen, einander zu grüßen und uns im Supermarkt vorzulassen?

Am schlimmsten ist es im Straßenverkehr. Das ist die wahre Nahkampfzone. Rentner maulen Kinder an, Mütter brüllen hinter Radfahrern her, Autofahrer lassen zwecks gegenseitiger Hasstiraden gerne mal die Scheiben runter. Es wird geduzt. Und wo Worte nicht weiterhelfen, übernimmt der Mittelfinger die Kommunikation. Manchmal darf es auch ein beherzter Fußtritt sein. Ich bin im letzten Jahr im Vorbeifahren von einem Fußgänger mit der flachen Hand auf den Rücken geschlagen worden, ein Radfahrer hat mich als F**** bezeichnet, eine Hundebesitzerin hat mir Rache, Haue oder was auch immer angedroht.

Der Umgangston auf unseren Bürgersteigen setzt sich in abgemilderter Form in den Innenräumen fort. Der neueste Sport unter Kellnern in hippen Mitte-Locations: nur widerwillig, mürrisch und wortkarg einige Sekunden am Tisch stehen bleiben. Wenn der Gast zögert, gleich entnervt abdrehen. Überhaupt wird Herablassung in dieser Stadt ganz groß geschrieben. Und Freundlichkeit immer noch ziemlich klein. Was dann auch wiederum unseren Kulturschock erklärt, wenn es uns mal in fremde Länder verschlägt, nach Köln oder Kärnten oder so ähnlich. Erst wundert man sich, dann kriegt man es mit der Angst zu tun: Was ist mit diesen Menschen los? Warum sind die so entgegenkommend und kontaktfreudig? Alle auf Droge oder was? Uns ficht das in unserem Selbstbewusstsein natürlich nicht an. Wir sind Hauptstädter, Trendsetter, eigentlich der Nabel der Welt, wir müssen nicht auch noch nett sein.

Doch was würde passieren, wenn wir’s trotzdem einfach mal versuchen würden mit der Philanthropie? Wenn wir genau jetzt, im Januar 2015, anfangen würden, einander im Hausflur herzlich zu grüßen, uns im Supermarkt lächelnd gegenseitig vorzulassen? Wenn wir uns fröhlich die breiten Gehwege teilen und auf den Straßenkreuzungen Gelassenheit vor Recht ergehen lassen würden? Wenn wir Unmut respektvoll äußern und von Beleidigungen und Gewaltandrohungen generell Abstand nehmen würden? Kurz: Wenn wir das Grau, die Hektik und das Gedrängel der Stadt für uns alle erträglicher machen würden. Ohne Aufwand – einfach, indem wir das Berliner Silvestergefühl um elfeinhalb Monate verlängern.

Dieser Text erschien als Rant in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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