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Klaus Wowereit - isoliert in der eigenen Partei.

© dpa

Nach der SPD-Revolte: Wowereit verliert den Draht zur Partei

Der frisch gewählte Berliner SPD-Chef Jan Stöß steht politisch deutlich weiter links als Klaus Wowereit. Welche Folgen hat das für den Regierenden Bürgermeister und die rot-schwarze Koalition in Berlin?

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Das gab es bisher nicht. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der selbst niemals SPD-Landeschef sein wollte, kann nach den Vorstandswahlen am Sonnabend die eigene Partei nicht mehr als natürlichen Verbündeten sehen, sondern muss künftig mit Gegenwind aus den eigenen Reihen rechnen.

Ändert sich mit dem neuen Landeschef die Politik der Berliner SPD?

Wenn es nach Jan Stöß geht, dann ja. Die hauptstädtischen Sozialdemokraten sollen sich wieder mehr auf den „Markenkern soziale Gerechtigkeit“ konzentrieren. Lieblingsthemen des neuen Parteichefs sind der Mindestlohn von 8,50 Euro und bezahlbare Mieten auch in innerstädtischen Quartieren. Für die Bekämpfung sozialer Probleme sollen Bündnisse mit der außerparlamentarischen Opposition, mit Initiativen, Verbänden und Gewerkschaften geknüpft werden.

Der zweite politische Schwerpunkt, mit dem die neue SPD-Führung glänzen will, ist die Rekommunalisierung: Rückkauf der Wasserbetriebe, kommunale Versorgungsnetze, die S-Bahn in städtischer Hand, mehr Wohnungen in öffentlichem oder genossenschaftlichem Eigentum. Der neue SPD-Landeschef Stöß hat mit dem Bemühen, die eigene Partei künftig profilierter und möglichst unabhängig vom Senat zu führen, allerdings ein Problem. Denn in der Bundespartei gelten die Berliner Genossen schon seit Jahren als stramm linker SPD-Landesverband. Auch die Themen, die Stöß in den Vordergrund rücken will, sind nicht neu. Aufmerksamkeit bei den Bürgern und potenziellen Wählern wird der frisch gewählte SPD-Chef aber nicht durch eine Nuancierung der bisherigen Parteipolitik erreichen können, sondern wohl nur im direkten, öffentlichkeitswirksamen Konflikt mit der Landesregierung.

Die politische Klatsche für Klaus Wowereit in Bildern

Ist Klaus Wowereit durch die SPD-Vorstandswahl geschwächt?

Ja. Mit dem bisherigen SPD-Landeschef und engen Vertrauten Michael Müller hat er den direkten Draht zur eigenen Partei verloren. Mit Jan Stöß kommt er zwar menschlich recht gut aus, aber politisch leben sie in unterschiedlichen Welten. Wowereit muss damit rechnen, dass ihm die Mehrheit der Partei künftig bei wichtigen Entscheidungen nicht folgt, gelegentlich sogar in den Rücken fällt. Die frühere Geschlossenheit von Senat, Abgeordnetenhausfraktion und Partei droht verloren zu gehen und damit die wichtigste Grundlage für ein stabiles, erfolgreiches Regieren. Außerdem hat der Führungsstreit in der Berliner SPD den Blick darauf gelenkt, dass bis zur nächsten Wahl 2016 ein Nachfolger für den seit 2001 amtierenden Regierungschef gesucht werden muss. Ein Regierender Bürgermeister auf Abruf – diese Diskussion hätte Wowereit gern noch zwei, drei Jahre hinausgeschoben.

Was die Niederlage für den Bundespolitiker Klaus Wowereit bedeutet

Welche Folgen hat die Wahl von Stöß für die rot-schwarze Koalition?

Die Berliner CDU-Führung bemüht sich angestrengt darum, den Ball flach zu halten. „Die Koalition arbeitet vertrauensvoll zusammen, Wowereit und Frank Henkel repräsentieren das Bündnis auf hervorragende Weise.“ So reagierte der Fraktionschef der Union, Florian Graf, am Sonntag auf die Ergebnisse des SPD-Parteitags. Unabhängig von den Vorstandswahlen werde die große Koalition in Berlin „genauso wie bisher weiterarbeiten, um die Ziele aus der gemeinsamen Koalitionsvereinbarung zu erreichen“, sagte Graf. Und er verwies auf die enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Regierungsfraktionen im Landesparlament. Das ist die offizielle Version. Parteiintern verfolgt nicht nur die CDU-Führung, sondern auch die christdemokratische Parteibasis die Entwicklung in der SPD mit wachsender Sorge.

Der neue SPD-Chef Stöß versichert zwar immer wieder, dass der rot-schwarze Koalitionsvertrag „selbstverständlich abgearbeitet“ werde. Aber: Er will die Berliner Sozialdemokraten vor den Bundestagswahlen 2013 in einen harten Lagerwahlkampf führen: Rote und Grüne gegen Schwarz-Gelb. Dann erst wird sich zeigen, wie stabil die SPD/CDU-Koalition in Berlin tatsächlich ist. Aktuell gibt es bereits einige Reizthemen, bei denen noch nicht klar ist, ob Sozialdemokraten und Union einen haltbaren Konsens finden werden.

Der SPD-Landesparteitag in Bildern

Die Vorbereitungen des Senats für eine Teilausschreibung der S-Bahn könnten bald zu einem Härtetest werden. Die SPD mit Stöß an der Spitze will die Teilausschreibung zugunsten einer Gesamtvergabe des Schienennetzes oder eines kommunalen S-Bahnbetriebs verhindern. Wowereit und Müller, die CDU erst recht, halten die Teilausschreibung des S-Bahnrings für die bessere Lösung. Auch die teure Sanierung des Internationalen Congress-Centrums (ICC) und die Neuvergabe der Konzessionen von Strom-, Gas- und Wärmenetzen sind schwelende Konflikte, die nicht zu unterschätzen sind.

Welche Rolle spielt der Berliner Landesverband für die Bundes-SPD?

Lange galt Klaus Wowereit in der Bundes-SPD als wichtige Führungsfigur. Als beliebter und in Wahlen erfolgreicher Regierungschef galt er zeitweilig sogar als einer der heimlichen Anwärter für höhere Ämter. Zumal Klaus Wowereit – nicht immer zum Gefallen der SPD-Spitze – kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um Fragen der Gerechtigkeit, etwa bei den Rentenbeschlüssen der SPD, geht. Doch die Zeiten haben sich geändert. Der Berliner Vorzeigesozi hat seit Längerem bundespolitisch kaum noch eine Rolle gespielt. Längst gilt sein Hamburger Amtskollege Olaf Scholz als erfolgreicher und ernst zu nehmender, wenn es in der SPD um politische Fragen in Großstadträumen geht.

Das monatelange Gerangel um den Vorsitz im Berliner Landesverband wird im Willy-Brandt-Haus aber nicht unbedingt aus Sorge um das Ansehen von Klaus Wowereit mit einem Kopfschütteln beobachtet. Die SPD-Spitze macht sich vielmehr Gedanken um die nahe und fernere Zukunft ihrer Partei in Berlin. Der Landesverband gilt als zerstritten und ohne inhaltliches Potenzial. Persönliche Rangeleien und Machtkämpfe scheinen aus dem Blickwinkel der Bundes-SPD mehr das Parteigeschehen zu beeinflussen als der gemeinsame Kampf für eine starke Hauptstadt-SPD. Von der Einbeziehung der Mitglieder und Interessenten in Entscheidungen, wie sie die gesamte SPD erst vor Kurzem auf ihre Agenda gehoben hat, ganz abgesehen. Kommen in den nächsten Monaten jetzt noch Streitereien zwischen Partei und Senat um die Politik in der Berliner Koalition dazu, fürchten die Strategen in der SPD-Zentrale noch größeren Ansehensverlust der Partei in der Bundeshauptstadt. Wenn in gut einem Jahr ein neuer Bundestag gewählt wird, könnte das die Bereitschaft der Berliner, ihr Kreuzchen hinter der SPD zu machen, schmälern. Hinter vorgehaltener Hand heißt es deshalb an die Adresse des Berliner Landesverbandes: Bringt endlich den eigenen Laden in Ordnung!

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