zum Hauptinhalt
Im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf wurde am Mittwoch noch mal nachgezählt.

© Stefan Jacobs

Nach Fehlern bei der Wahl: Lokale Dramen im Bezirksamt

Wenn eine Wahl korrekt sein soll, muss ordentlich nachgezählt werden. Ein Ortstermin in Hellersdorf.

Das Trompeten aus den Elefantenrunden ist verhallt, die Schwergewichte sondieren nun und beschnuppern sich. Unauffälliger ackern die Ameisen, damit das Wahlergebnis sicher ist wie einst die Rente.

Zum Beispiel am Mittwoch in Hellersdorf. Am nordöstlichen Stadtrand, wo hinter fünfgeschossigen Plattenbauten mit Einfamilienhausgarnitur die Hochspannungsmasten aufragen, versammeln sich in einem Nachwendeverwaltungsbau, dritte Etage, hinterm Sozialamt, sechs Frauen und ein Mann unter Regie von Bezirkswahlleiter Adolf Herbst zur öffentlichen Nachzählung. Es gab hier „begründete Anhaltspunkte für Fehler bei der Auszählung der Stimmzettel durch den Wahlvorstand oder bei der Übertragung oder der Übermittlung der Wahlergebnisse“.

Ein hellgrüner Hartschalenkoffer mit versiegelten Umschlägen

Es geht hier auch um die symbolträchtige Frage, ob die AfD tatsächlich stärkste Kraft geworden ist bei den Parteistimmen zum Abgeordnetenhaus: 28 297 Zweitstimmen bedeuten einen Vorsprung von nur 71 Stimmen vor der zweitplatzierten Linke. 71 von 119 858 gültigem im Bezirk. Es gebe „unterm Strich sechs Prüfungsfälle“, sagt Herbst und bemerkt, angesichts dieser Quote könne man bei 1700 ehrenamtlichen Helfern und zehntausenden am Wahlabend umgewälzten Zahlen nur allergrößte Hochachtung haben vor den Beteiligten.

Der Kollege wuchtet also einen der hellgrünen Hartschalenkoffer auf den Tisch und klappt ihn auf. Dutzende versiegelte Umschläge mit den Wahlscheinen liegen darin. Eine Mitarbeiterin reißt sie auf, kippt die Zettel auf den Tisch. Das Publikum besteht aus einem Bezirksverordneten der Linken, zwei Mitarbeitern der lokalen CDU, einer Redakteurin des Lokalblättchens und zwei älteren Männern, deren grimmiger Blick nach AfD aussieht. Aber das muss nicht stimmen, und fragen kann man sie schlecht, weil hier Ruhe herrschen soll.

Zettelwirtschaft. Vor der Wahl gab es Befürchtungen, ein korrekter Ablauf sei nicht garantiert. Inzwischen sind wohl nur noch Kleinigkeiten nachzukontrollieren.
Zettelwirtschaft. Vor der Wahl gab es Befürchtungen, ein korrekter Ablauf sei nicht garantiert. Inzwischen sind wohl nur noch Kleinigkeiten nachzukontrollieren.

© DAVIDS/Sven Darmer

Nach fünf Minuten haben die Frauen erste Ergebnisse ermittelt: 108 Zweitstimmen für die Linke in einem Stimmbezirk wurden korrekt ermittelt, aber am Wahlabend falsch ins Protokoll übertragen. Für die AfD finden sich 163 statt zunächst berichteter 160 Stimmen, dafür bekam die Abspaltung Alfa nur acht statt elf. Soweit die Korrekturen in einem von 182 Stimmbezirken in Marzahn-Hellersdorf. Politische Homöopathie.

Sehr knapp war auch der Sieg von Wirtschaftsstadtrat Christian Gräff (CDU), der ein Direktmandat fürs Abgeordnetenhaus gegen Regina Kittler (Linke) gewonnen hat. Wahlleiter Herbst tut kund, dass es laut Landeswahlordnung einen begründeten Anhaltspunkt für Fehler geben müsse. Kittler hatte Zweifel angemeldet, weil sie gehört hatte, dass manche Wähler wohl zwei Wahlscheine bekommen hätten – obwohl sie drei oder nur einen (für 16- und 17-Jährige, die nur BVV wählen durften) bekommen dürften.

Zwei langjährige Linken-Abgeordnete sind plötzlich raus

„Jetzt gibt’s was Interessantes“, sagt Herbst beim Blick auf die in 20er-Stapeln sortierten Zettel aus dem Stimmbezirk 10409: Zwei Erststimmen für die Grünen sind in den Packen mit den Linken-Voten geraten. Was hier mit preußischer Akribie ermittelt wird, ist in vielen Fällen – wie in diesem, in dem Kittler ohnehin über die Landesliste wieder ins Abgeordnetenhaus einzieht – irrelevant. Aber es ist diese öffentlich zelebrierte Pedanterie, die die Demokratie von der Bananenrepublik unterscheidet. Eine Sicherung gegen Willkür, die langweilig scheint, aber beruhigen kann: Die schaffen das.

Gräff ist einer von vielen, die sowohl für die Bezirksverordnetenversammlung als auch fürs Abgeordnetenhaus kandidiert haben. Die meisten entscheiden sich im Erfolgsfall fürs Landesparlament, aber Gräff ist nach eigener Auskunft unentschieden: Auch als Stadtrat könne er viel bewirken, aber das hänge vom Ressortzuschnitt ab. „Wenn das ein Harakiri-Laden wird, mache ich das nicht mit“, sagt Gräff. Und die Wahrscheinlichkeit von Harakiri-Läden steigt angesichts der starken AfD einerseits und der Abwehrhaltung der teils verzwergten Etablierten andererseits. Die wahren Dramen im Bezirk betreffen nicht Kittler und Gräff, sondern die Linken Wolfgang Brauer und Gabriele Hiller: Beide Parlamentarier galten als so sichere Direktkandidaten, dass sie nicht über die Landesliste abgesichert wurden. Und beide verloren knapp gegen die AfD.

Was in Marzahn-Hellersdorf und auch in Mitte nachgeprüft wurde, wird erst nächste Woche offiziell, wenn der Bezirkswahlausschuss es für amtlich erklärt hat. Danach sind noch weitere Nachzählungen denkbar. Der Landeswahlausschuss tagt am 5. Oktober. Dann wird das vorläufige amtliche Endergebnis zum dauerhaften. Und Berlin hat eine ordnungsgemäße Wahl vollbracht.

Zur Startseite