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Berlin: Nach Pankow war sein Ziel – nicht nur für Bolle

Der grüne Norden war schon immer berühmt. Und anders. Den geplanten Umzug des Bundespräsidenten ins Schloss Schönhausen begrüßen die Anwohner

Die Kunde, dass der Herr Bundespräsident in ihr Schloss nach Niederschönhausen ziehen soll, hat die Pankower etwas verwirrt, aber auch ein wenig stolz gemacht. „Das alte Gemäuer im Park wollte ja eigentlich keiner so recht haben – zu teuer die Renovierung, niemand in Sicht, der das bezahlt“, sagt ein Mann, der im Schlosspark in die Sonne blinzelt. „Doch nun rückt Hans Eichel für den Präsi Geld ’raus, der Rubel rollt, alles geht ratz-fatz, eines Tages werden wir ein intaktes Schloss haben – aber nicht mehr in seiner Nähe spazieren gehen dürfen. Wie früher.“

Früher – das war vor der Wende, als es auch ums Schloss eine kleine Mauer gab und heftige Bewachung am Ende der Ossietzkystraße. Hier schlossen sich die Gitter hinter den durch Jubelspaliere gelenkten Staatsgästen. Vom Innern der einst von Friedrichs Gemahlin Elisabeth Christine bewohnten Residenz sah das Volk immer nurdas grüne Sofa mit verschnörkelten Lehnen, auf dem „der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates“ mit seinem Gast beim Fototermin saß. „Aber das war doch nicht Pankow allein“, sagt der Mann, dem die Beschränkung seines heimatlichen Ortes auf ein (übrigens 1960 aufgelöstes) Ghetto von Funktionären schon lange auf die Nerven geht. Endlich würde sein schöner grüner Ort, dieses Zehlendorf des Ostens, mit dem Bundespräsidenten so eine Art „westlichen Ritterschlag“ bekommen, „gegen Rau is ja nischt zu sagen“.

Dabei hatten zu DDR-Zeiten die Botschafter der USA und Großbritanniens in Niederschönhausen ihre Residenzen, vor Dutzenden diplomatischen Vertretungen brachten bunte Landesfahnen ein wenig Weltläufigkeit in den Kiez, und jeden Morgen konnte, wer wollte, dem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik in der DDR zuwinken, der in der Kuckhoff-Straße zum Dienst chauffiert wurde. Pankow war schon immer berühmt. Und anders. Hier ging 1816 die erste deutsche Dampfheizung in Betrieb. 1788 landete der Franzose Blanchard als Ballonflieger im Ortsteil Buch. In Pankow wohnte der Schausteller Otto Wille, der sich 1913 für fünf Tage zum König von Albanien krönen ließ. Mit Reinhold Burger, der die Thermosflasche entwickelte, mit Max Skladanowsky und Paul Nipkow, diesen Pionieren für Film und Fernsehen, kamen bahnbrechende Erfindungen aus dem Bezirk, in dem später viele Prominente wohnten oder noch wohnen – Johannes R. Becher besorgte Hans Fallada eine Bleibe, in der der „Alptraum“ entstand und „Jeder stirbt für sich allein“. Carl von Ossietzky beendete sein Leben in Niederschönhausen, Arnold Zweig lebte hier, Fritz Cremer, Herbert Sandberg und Stephan Hermlin, lange auch Erwin Geschonnek; man kann Inge Keller auf dem dörflich-bunten Wochenmarkt begegnen oder Christa Wolf im Amalienviertel. Pankow inspiriert den Grafiker Manfred Butzmann, den Lyriker Heinz Kahlau und, so lange man denken kann, den Flaneur Heinz Knobloch.

Und weshalb gibt es hier mehr Alt-Berliner Liedgut als in jedem anderen Stadtteil? „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten, nach Pankow war sein Ziel…“ Walter Kollos „Fliedermarsch“ endete im Norden: „Ja, wenn in Pankow blüht der Flieder, seh’n wir uns wieder, seh’n wir uns wieder“, und Generationen von Couplet-Sängern lebten von dem einen „Kille, kille Pankow“ mit dem Refrain „Komm, Karlineken komm, wir woll’n nach Pankow gehn, da isset wundascheen.“

Und warum? Weil sich da damals ein Gartenlokal ans andere reihte (alle weg), weil es mehr Schrebergärten gibt als anderswo (alle noch da), weil die Pankower außer ihrem Schloss- auch noch den Brose- und den uralten Bürgerpark haben, dazu die Idylle der Dörfer Rosenthal, Wilhelmsruh und Blankenfelde, Buchholz, Buch und Heinersdorf. In der Wollankstraße liegt die berühmte Suppenküche vom Franziskaner-Kloster und ein paar Ecken weiter ein Freibad, in dem gleich vorn links vom Eingang die große Wiese zum Nacktbaden einlädt.

Ja, Pankow hat den Bundespräsidenten verdient. Pankow ist stolz, will selbstständig sein, wurde aber mit Prenzlauer Berg und Weißensee zusammengewürfelt. Dieses Super-Pankow hatte am Jahresanfang genau 349 001 Einwohner und ist damit nicht nur der bevölkerungsreichste Berliner Bezirk, sondern die drittgrößte „Stadt“ in Ostdeutschland hinter Leipzig und Dresden. Und im Vergleich mit den bevölkerungsreichsten deutschen Anwesen liegt das Nest an der Panke ungefähr zwischen Wuppertal und Bielefeld. „Jut, dass det allet mal jesaacht wird“, brummt der Mann vom Schlosspark, steht auf und geht. „Hoffentlich liest det ooch unsa Präsi.“

Lothar Heínke

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