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Berlin: Nach Sechs-Tage-Rennen sieben Tage Tankstelle

Schon neun Mal wurde sein Betrieb überfallen. Doch Radsport-Legende Otto Ziege gibt nicht auf

Er kann nicht ohne. Jeden Tag steht Otto Ziege in seiner Tankstelle, meistens von neun bis 19 Uhr. „Und dann drängeln meine Angestellten schon: Du wolltest doch längst zu Hause sein.“ Das sagt er lächelnd, denn so meint es natürlich keiner. Im Gegenteil: Sie sind froh, wenn Otto Ziege, langjähriger Sportchef der Sechs-Tage-Rennen, ehemaliger Deutscher Meister und Radsport-Legende, mit ihnen hinter der Kasse steht. Wenn zwischendurch Zeit ist, geht der 79-Jährige ins Lager, wo sein leuchtend rotes, blitzblankes Rennrad an der Wand hängt. „Damit fahre ich dann ein- oder eineinhalb Stunden durch die Gegend.“ Natürlich auch jeden Tag.

Im Januar ist es fünfzig Jahre her, dass Otto Ziege seine erste Tankstelle aufgemacht hat. Am Ludwigkirchplatz in Wilmersdorf war das. „Ich hatte 1954 eines Abends überlegt, was ich beruflich machen soll“, erzählt er, „und bewertete nach einem Punktesystem alles, was ich gelernt hatte.“ Kaufmann stand auf seinem Zettel. Auch Fotograf. Die Tankstelle hat er dazugeschrieben, weil kurz vorher ein Radsport-Kollege die gleiche Idee hatte. „Die Tankstelle ist es dann geworden“, sagt er, „weil ich dabei problemlos weiter Sechs-Tage-Rennen fahren konnte.“ Dabei ist es auch geblieben, als er eineinhalb Jahre später seine viel größere Tankstelle an der Mommsenstraße eröffnete und parallel Bundestrainer war. „Freitags bin ich mit der letzten Maschine nach Frankfurt geflogen und mit dem Nachtzug weiter nach Freiburg.“ Übers Wochenende hat er trainiert, und Montag früh stand er schon wieder in seiner Tankstelle an der Zapfsäule. Es ist also nur konsequent, wenn Otto Ziege sagt: „Mein Leben fand auf der Tankstelle statt.“ Wenn er nicht da war, ist seine Frau – „Sie ist auch schon 80.“ – eingesprungen.

„Das einzig Dämliche sind diese Überfälle“, sagt er. In der Nacht zu Freitag wurde seine Tankstelle zum neunten Mal überfallen. Ein Mitarbeiter hatte Dienst. „Gottseidank ist nichts passiert. Er hat nicht einmal einen Schock.“

Aufhören kommt für Otto Ziege nicht in Frage. An keinem einzigen Tag seiner langen Tankwart-Karriere hat er seine Entscheidung bereut. Zwischenzeitlich hatte er drei Tankstellen betrieben, die in der Mommsenstraße ist übrig geblieben. Ziege führt sie mit viel persönlichem Einsatz. Wer sein Auto waschen lässt, kann drinnen bei ihm an der Kasse stehen und Kaffee trinken – der geht dann aufs Haus. Das wissen auch Taxifahrer und Polizisten und halten gerne an, auf ein Getränk und einen Schwatz mit ihm.

Wenn er so dasteht, die Milch in seinem Kaffee umrührt, von seinen ereignisreichen Jahren zwischen Zapfsäule und Radrennbahn berichtet, sagt er nebenbei: „Ich habe ein herrlich glückliches Leben.“ Otto Ziege freut sich: auf das Sechs-Tage-Rennen im Januar, auf sein Jubiläum als Tankwart im gleichen Monat. „Für mich ist es ein Geschenk, dass ich das jeden Tag machen darf.“

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