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Die Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und der Rabbiner Daniel Alter, der kürzlich brutal überfallen wurde.

© dpa

Nach Überfall auf Rabbiner: Friedenau setzt ein Zeichen

Wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem ein Rabbiner brutal attackiert wurde, haben sich am Sonntag rund 1500 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung versammelt. Integrationssenatorin Kolat forderte Muslime auf, mehr gegen Antisemitismus zu tun.

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„Shalom Alechem, Friede sei mit Euch, Salam Aleikum“, rief Rabbiner Daniel Alter in sein Mikrophon. Weiter kam er nicht: Minutenlanger, donnernder Applaus begrüßte den Geistlichen am Sonntag auf dem Grazer Platz in Schöneberg. Wenige Meter von der Beckerstraße entfernt, wo Alter und seine Tochter in der vergangenen Woche Opfer eines antisemitischen Überfalls mehrerer mutmaßlich arabischstämmiger Jugendlicher wurden, hatten sich auf Initiative der Evangelischen Philippus-Nathanel-Kirchengemeinde und der Friedenauer SPD rund 1500 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung versammelt. „Sie sind Teil einer wundervollen Welle der Unterstützung, die ich und meine Familie derzeit spüren“, rief Alter: „Ja, ich habe das Jochbein gebrochen bekommen, aber meinen Willen, mich für den interreligiösen Dialog und die Verständigung von Völkern und Nationen einzusetzen, haben diese Typen nicht gebrochen."

Die Menschen auf dem Platz klatschten. Der türkische Bäcker, die Ladenbesitzerin, Nachbarn aus dem Mietshaus des Rabbiners, Offiziere der Heilsarmee und katholische Ordensschwestern waren gekommen, um Daniel Alter zu unterstützen. Einige Kinder hielten ein Schild „Hauen ist doof“, andere Demonstranten trugen eine jüdische Kippa, um sich mit dem Geistlichen zu solidarisieren.

„Herr Alter, wir brauchen Sie“, sagte Integrationssenatorin Dilek Kolat. „Diese Stadt braucht sie, weil Berlin das jüdische Leben hat, und immer haben will – und dafür werden wir uns immer einsetzen.“ Der Überfall habe deutlich gezeigt, dass es unter Muslimen Antisemitismus gebe. „Und die islamischen Verbände in dieser Stadt fordere ich ganz konkret auf, das Thema aufzugreifen.“

Bildergalerie: Hunderte demonstrieren gegen Antisemitismus

Viele haben das bereits getan. So habe sich die Islamische Föderation in Berlin, zu der viele arabische Vereine gehören, kurz nach der Tat ausdrücklich davon distanziert, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Faical Salhi: „Wir haben auch eine E-Mail an die jüdische Gemeinde geschickt mit unserem tiefem Mitgefühl und der Frage, ob wir den Rabbiner besuchen dürfen.“

Auch in vielen Moscheen sei die Tat beim Freitagsgebet als verabscheuungswürdig verurteilt worden. „Noch wichtiger ist aber die Aufklärungs- und Bildungsarbeit mit den Jugendlichen, die oft aus sozial schwachen Familien kommen“, sagte Salhi dem Tagesspiegel: „Ob Moslems, Christen oder Juden – wir wollen hier weiter alle friedlich in Berlin leben. Offenbar müssen wir mehr dafür tun, dass das alle begreifen.“

"Sonntagsreden der Politiker helfen wenig"

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert, die auf der Kundgebung die immer noch unbekannten Täter aufforderte, „sich dem Rechtsstaat zu stellen“, übte scharfe Kritik an der Bundesregierung: „Es ist verwerflich, wenn Gelder gekürzt werden in Programmen wie der ,sozialen Stadt‘, die der Integration dienen.“ Genau das habe aber auch Berlin in den vergangenen Jahren massiv getan, kritisieren Mitglieder von Friedenauer Jugendvereinen.

Diese Kürzungen bei der Jugend- und Sozialarbeit seien fatal, sagt auch Levi Salomon: „Sonntagsreden der Politiker helfen da wenig.“ Salomon ist Sprecher des „Treffpunkt Religion und Gesellschaft“, in dem Christen, Juden und Muslime arbeiten. Ebenso verwerflich findet er, dass der neue Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Gideon Joffe, sein Ehrenamt als Antisemitismus-Beauftragter abgeschafft hat – ebenso wie die 24-stündige Hotline, über die Menschen aus ganz Deutschland bei Salomon anrufen und um Hilfe bitten konnten, wenn sie antisemitisch beleidigt oder angegriffen wurden.

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Gideon Joffe sagte, das Thema Antisemitismusbeauftragter sei „zu wichtig, um es zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zwischen abgewähltem und neu gewähltem Vorstand“ zu machen. „Ab 2014 werden wir den Kampf gegen den Antisemitismus auf eine professionellere Grundlage stellen“, kündigte er an. „Zumal mir viele Gemeindemitglieder berichten, dass vor allem verbale Aggressionen gegenüber Juden zunehmen.“

Auch deshalb forderte einer der Organisatoren der Kundgebung, Pfarrer Thomas Lübke von der Evangelischen Philippus-Nathanel-Gemeinde, die Teilnehmer auf, ein Transparent zu unterzeichnen, das vor der Kirche am Grazer Platz aufgestellt werden und deutlich machen sollte, dass „Antisemitismus nie wieder geduldet werden darf“. Schon am Morgen hatte im Gottesdienst in der Nathanael-Kirche das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der einem auf der Straße niedergeschlagenen Überfallopfer half, im Mittelpunkt der Predigt gestanden.

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