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Das Feld bleibt frei und die Freiheit ist dabei noch völlig offen

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Nach Volksentscheid: Tempelhofer Feld - Nichts Neues mehr in Berlin?

Kann niemand mehr irgendwo bauen nach dem Nein zu den Senatsplänen für das Tempelhofer Feld? Das wäre dann doch zu kurz gegriffen, heißt es nun. Aber die Bürger wollen mitreden und fühlen sich seit Sonntag stärker denn je.

Ganz so schlimm, dass niemand mehr nirgendwo bauen darf, wird es wohl nicht kommen. Sogar die Industrie- und Handelskammer, die für eine Bebauung des Feldes war, schlägt nun vor: „im Dialog“ mit „allen gesellschaftlichen Akteuren“ das „Wachstum der Berliner Bevölkerung und der Wirtschaft zu organisieren“. Für die Fraktionschefin der Grünen Antje Kapek gibt die IHK ein ermutigendes Signal, zumal der Volksentscheid nicht die „Durchsetzung von Partikularinteressen sei, sondern die Absage an Politikstil von oben herab“. Im grün regierten Friedrichshain-Kreuzberg sei es üblich, jedes noch so kleine Bauprojekt im Parlament zu diskutieren und Bedürfnisse der Bürger zu berücksichtigen. Trotzdem herrsche dort kein Stillstand und es werde viel gebaut.

Der Stadtentwicklungspolitische Sprecher der CDU Stefan Evers sagt: „Der Senat ist aufgefordert, nun rasch auf die Vertreter der Initiative zuzugehen und auf der Grundlage des Volksgesetzes zu besprechen, welche Entwicklung auf dem Tempelhofer Feld möglich sein soll“. Das neue Volksgesetz zum Tempelhofer Feld bietet durchaus Möglichkeiten, das Feld weiterzuentwickeln. Das hätten die Träger des Volksbegehrens immer betont. Evers regte dazu die Gründung eines „Berlin-Forums“ an, „dem Politik und Stadtgesellschaft auf Augenhöhe miteinander darüber diskutieren.“ Dass nicht alle Wege zum Bau neuer Wohnungen versperrt sind und der Senat sogar eigene Chancen zur Bekämpfung der Wohnungsnot verstreichen lässt, das hatte zuletzt sogar der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen geklagt: Immer noch warten landeigene Wohnungsbaugesellschaften sowie Genossenschaften auf die Übertragung landeseigenen Baulands durch den Liegenschaftsfonds. Doch diese Maßnahme, die der Koalitionsvertrag vor Jahren als Kernstück der „Neuen Liegenschaftspolitik“ nennt, scheitert am Kompetenzengerangel innerhalb des Senats. Das verärgert nun sogar den Koalitionspartner der SPD: „Es kann nicht sein, dass wir bei der Übertragung landeseigener Grundstücke an die Wohnungsbaugesellschaften nicht schneller vorankommen“, sagt Evers und spricht von einer „unnötige Lähmung“ im Senat.

Alles beim alten in Tempelhof?

Die Nacht haben die Gewinner vom Volksentscheid durchgemacht. Julius Dahms von der Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld" pendelte noch bis kurz vor Mitternacht zum Park, der nicht die Gemüter erregt. Sie feierten mit Feuerwerk und lauter Musik. „Und die Leute vom Parkschutz bewiesen spontan Coolnes und ließen uns gewähren.“ Für Stadtentwicklungssenator Michael Müller bedeutet das Votum, dass 4700 günstige Wohnungen nicht gebaut werden können, die von landeseigene Gesellschaften auf berlineigenen Flächen in der Innenstadt entstehen sollten. Nun sind nur 3800 der insgesamt 25000 möglichen Wohnungen im Zentrum übrig, die auf Bauland des Landes entstehen. Auf privaten Grundstücken sei die Errichtung günstiger und geförderter Wohnungen schwer durchzusetzen. Einen Tag nach dem Volksentscheid geht es aber wieder an die Arbeit. Was bedeutet nun dieser Sieg? In Bäumen, Toilettenhäuschen und Parkbänken gesprochen. Und wer soll das alles entscheiden und sowieso wer, wie, wann umsetzen? „Wir können uns nach diesem Votum definitiv nicht verkrümeln“, sagt Julius Dahms. Konkrete Gedanken, wie zur im Gesetz erwähnten Bürgerbeteiligung gibt es noch nicht. Runder Tisch. Online-Befragungen. Workshops. Alles ist möglich.

„Wir sind aber erstmal damit beschäftigt unser Büro zu putzen“, sagt Dahms Mitstreiter Michael Schneidewind. Ordnung und Hygiene kamen in den letzten Wochen etwas zu kurz. Dann setzen sie sich aber bei der Initiative nochmals zusammen und reflektieren über ihren Sieg. Eigentlich gilt nun das Motto: Nach der Bürgerbefragung ist vor der Bürgerbefragung - alles ist offen was die Gestaltung des freien Feldes angeht und was im Rahmen des Gesetzes erlaubt ist. Diskussionen gebe es um die Interpretation der einzelnen Paragraphen im Gesetz von 100 Prozent Tempelhofer Feld. Dass der zuständige Senator für Stadtentwicklung kurz nach der ersten Prognose wieder das Wort Stillstand in den Mund genommen hat, und ankündigte rein gar nichts machen zu wollen, ärgert die Aktivisten. Seine Parteifreunde Jan Stöß, Raed Saleh und selbst den Regierenden Bürgermeister bezeichnen Bürgerinitiative und Opposition unisono als "bockige und schlechte Verlierer“. Wer das Ergebnis vom Sonntag umsetzen muss, ist aber für Schneidewind klar. „Wir haben das Baby nun dem Abgeordnetenhaus übergeben“. Seine Initiative spiele da gerne die Rolle der Gouvernante. Bäume für Schatten, tragbare Bänke, Parkklos oder eine Anschließung des Feldes an benachbarten Kieze seien selbstverständlich.

Wie reden Bürger mit?

Ein Überthema steht an Tag zwei des Entscheids aber auf fast allen Agenden: Bürgerbeteiligung. Ein Wort, das in erster Linie positiv besetzt erscheint. Auf Nachfrage stellen aber auch die Grünen klar, dass Bürgerbeteiligung immer auch Konflikte bedeutet. „100 Prozent werden am Ende nie glücklich“, sagt Ramona Pop. Mit Blick auf andere Bauprojekte gegen die sich Widerstand der Anwohner regt (Oeyenhausen, Mauerpark oder Lichterfelde Süd sind nur ein drei Beispiele) stehen der Berliner Stadtentwicklungspolitik turbulente Monate und Jahre bevor. Der Regierende Bürgermeister, seine SPD, der Koalitionspartner CDU und alle die für eine Bebauung des Tempelhofer Feldes waren (und sind), warnen vor „Egoismen“, der Neubauten nur toleriere wenn sie nicht in unmittelbarer Nähe entstünden.

Nicht das sich noch andere mit ihnen verhaken... Die Bürgerinitiative feiert ausgiebig ihren Sieg
Nicht das sich noch andere mit ihnen verhaken... Die Bürgerinitiative feiert ausgiebig ihren Sieg

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Für die Grünen ist das Rezept für dieses Dilemma eine „möglichst frühe, umfassende und ernsthafte“ Bürgerbeteiligung. „Die Menschen spät zu informieren und nur zu berieseln bringt nichts“, warnt Antje Kapek. Schlecht gemachte Bürgerbeteiligung sei schlimmer als gar keine. Als Vorbild nennen die Grünen die Einbindung der Anwohner in Lichterfelde Süd, wo auf einem Parkgelände 2700 neue Wohnungen enstehen sollen. Die Lichterfelder Aktivisten können aber über diese „grüne Verarsche“ nur den Kopf schütteln. In Steglitz-Zehlendorf sei es die grüne Stadträtin Christa Markl-Vieto, die dafür sorge, dass die Anwohner mit einer „Pseudobeteiligung abgespeist“ werden würden. Dort hätten sie nicht nur mit SPD und CDU zu kämpfen, erläutert Gerhard Niebergall vom Aktionsbündnis Lichterfelde Süd. Auf einem Parkgelände an der Grenze zu Brandenburg will der Bezirk zusammen mit einem Investor bis zu 2700 Wohnungen errichten. Das Aktionsbündnis dort hatte sich sogar mit einer Randbebauung einverstanden gezeigt. Die aktiven Anwohner wollen im Gegenzug umfassend in die Planungen eingebunden werden und fordern unter anderem die Zahl der geplanten Wohnungen auf 1500 zu reduzieren. „Am Sonntag haben wir aber Kraft getankt, vielleicht ist die Zahl 1500 aus heutiger Sicht zu kompromissbereit“, sagt Niebergall.

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