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Nachbarschaftsstreit: Trauerwüter

Früher war die Welt simpel, entweder war man traurig oder wütend. Wer heute wie ein wilder Cop gern mal ausrasten will, darf auf beiden Hochzeiten tanzen.

Die Nachbarin hat in der falschen Tonne eine Tüte mit 15 Plastikpfandflaschen gefunden und an Türen, die aus dem Block zum Hof führen, Protestbriefe aufgehängt: Dass jemand so was fertig bringe, wo die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werde, zumal das unter Entsorgungsaspekten unakzeptabel sei, mache sie „traurig und wütend“!

Für einen Moment kommunikationshistorischer Betroffenheit suchen wir uns zu erinnern: Wann hat die Paarung Wut und Trauer eigentlich ihre idiomatische Karriere begonnen?

In der guten alten Zeit, als die Welt noch übersichtlich in Opfer, Täter und Sonstige einzuteilen war, gab es einerseits Trauernde, die Gefahr laufen, als Depri-Weicheier abgestempelt zu werden, andererseits Wütende, die schlimmstenfalls als unkontrolliert weggesperrt werden.

Bruder Google, Schwester Trauer

Das postmoderne Trauerwüter-Konstrukt stammt wohl aus den 1980er, -90er Jahren, als man entdeckte, wie praktisch es ist, gleichzeitig emphatisch und böse zu sein - weil dem ausrastenden Cop vom Krimi-Regisseur fast alles erlaubt wird. Der Trauerwüter möchte offenbar, wie ein Party-Hopper, mitleids- und furchterregend zugleich auf allen Hochzeiten tanzen.

Unter den 1 070 000 Ergebnissen, die Anno 2014 unser großer Bruder Google für die Kombi anbietet, beeindruckt vor allem: dass „Wut die Schwester der Trauer“ sein soll; dass beim Rekordabsteiger Nürnberg W. und T. regieren; dass wir „durch Wut in Kontakt kommen mit unserer Trauer“. Befreiungspsychologisch auf den Punkt gebracht wird das Zwitter-Produkt als Fotomontage: durch ein gelbes Ortsausgangsschild, auf dem die hinter uns liegende „Trauer“-Kommune rot durchgestrichen und der Stadtteil "Wut" angekündigt erscheint.

Der Nachbarin, die ihre Trauerwut-Post allen Parteien, der schuldigen wie den Unschuldslämmern, vor die Nase klebt, hätten wir gern an den Rand gekritzelt, sich mit dem Pfanderlös einen netten Abend und bessere Laune zu machen. Doch nachgehoppelt ist ein Schmäh keine Pointe mehr, da war der Wisch schon abgerissen.

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