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Britt-Arlette Fischer (Geb. 1991)

© Privat

Nachruf auf Britt-Arlette Fischer (Geb. 1991): Wer war meine Tochter?

Hätte die Mutter ihr doch nur den Mantel mit den hellen Karos gekauft. Dann säßen sie jetzt nicht hier, drei Jahre nach Britts Tod, um ihr Leben zusammenzupuzzeln.

Von Julia Prosinger

Alles hat sie abgesucht nach einem Bild von den Füßen ihrer Tochter. Es gibt Fotos von Britts Armen, von ihren Händen, den Fingernägeln. Jahrelang hat sie daran geknabbert, als Teenager begann sie, sie zu lackieren, hellblau am liebsten. Es gibt Fotos von Britts braunen Locken, von der etwas breiten Nase. Bilder von Britts Füßen gibt es nicht. Dass sie die mal vermissen würde.

Die Mutter will die Tochter als Ganzes sehen, noch einmal. Sie hat nur diese Erinnerungen im Kopf, an die geringelten Zehensocken, die Britt trug, wenn sie mal wieder, in eine Decke gehüllt, am Heizkörper saß, ein Kleid aus violett-schwarzer Wolle strickte, Tee trank aus ihrer Starbucks-Tasse.

Britt konnte gut allein sein. Sie schrieb an Mädchen in Germersheim und Frankenthal, Brieffreundschaften in Zeiten des Internets, sie schaute Disneyfilme in Zeiten von „Germany’s Next Topmodel“, war bei der Freiwilligen Feuerwehr in Zeiten von Facebook.

Britt fällt alles so leicht, dachte die Mutter immer. Als Siebenjährige sang sie im Chor, da konnte sie noch keine Noten lesen, tanzte später im Gardekostüm, machte Judo, Kung-Fu, spielte Klavier. Mathe mochte sie. Zeichnen konnte sie gut, die Zahlen hatten für Britt Farben, die Acht blau, die Sieben grün.

Britt-Arlette Fischer (1991 - 2010)
Britt-Arlette Fischer (1991 - 2010)

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Die Brieffreundinnen haben Britts alte Briefe geschickt. Die Mutter liest im Leben der Tochter. Britt schreibt, wie viel manchmal alles ist, die Schule, die Freizeit, sie will das Klavierspiel aufgeben, um sich aufs Abitur zu konzentrieren. Die Mutter puzzelt ihre Tochter zusammen. Hatte sie deshalb so oft Migräne?

Sunny sagten die Freundinnen in der Klasse zu Britt, weil sie oft fröhlich war. An ihr Lächeln erinnern sich viele. Die Mutter trifft die Freundinnen. Sie hört, dass Britt nie mochte, wenn sich einer zu schnell eine Meinung bildet. Sozial war sie, sagen andere. Die Mutter versteht, dass sie deshalb Medizintechnik studieren wollte. Zahlen und Menschen. Manche in der Klasse fanden es sonderbar, dass Britt nicht über alles sprechen wollte.

Jeden Morgen schloss sich Britt, 14, 15 war sie da, in der Küche ein und schmierte Pausenbrote: mit Salami für den Bruder, Philadelphia für den Vater, Käse für die Mutter. Salatblatt, Tomate zwischen die Vollkornscheiben. Manchmal hatte die Mutter Angst, Britt, Britti, Britti Woman, wie sie sie nannte, könne eine Essstörung entwickeln. Sie nahm sich oft nur Obst mit in die Schule, sie aß kein Fleisch. Aber das ist vielleicht normal bei Mädchen in dem Alter.

Britt war schon als Baby gern allein. Niemand sollte sich ihrem Bett nähern. War sie ein Schreikind, weil sie spürte, dass sie nicht geplant war? Die Mutter wollte zwei Söhne. Hätte sie ihr das bloß nie gesagt.

Obwohl sich Mutter und Tochter dann sehr liebten. Morgens zog Britt ihre Puppe für den Tag an, machte sie abends bettfein, taufte sie: Laura Küchendienst. Im Haus wohnten die Großeltern, erst kümmerten sie sich um Britt, mit Eisbergsalat und Nesthäkchen-Büchern, dann kümmerte sich Britt um sie. Wenn ich ausziehe, sagte sie mal, nehme ich dieses Haus mit.

Nach ein paar Jahren hörte sie ohne Worte mit dem Broteschmieren auf. Beginn der Krötenphase. So nennt der Vater die letzten Jahre, in denen sich die Tochter oft zurückzog.

Britts ersten Freund lernen die Eltern erst nach ihrem Tod kennen. Erfahren, dass sie ihn heimlich mitnahm in die Usedomer Ferienwohnung der Familie. Wo Britt als Kind im Wasser planschte, Bernstein sammelte, als Jugendliche mit dem Eiswagen im Sommer Geld verdiente.

Ferienjob am Ostseestrand
Ferienjob am Ostseestrand

© Privat

Donnerstags ging Britt mit dem Vater joggen, zehn Kilometer. Das steht bis heute in ihrem Kalender, links neben der Tür ihres Mädchenzimmers. Alles andere steht da auch noch, Britts Nagellacke, die Harry-Potter-Bücher, die Stoffbären. Der Vater joggt heute allein, der Bruder läuft den Marathon, den die Schwester sich vorgenommen hatte. Britt verlief sich oft, war als Lichtenraderin schnell ortsfremd im großen Berlin. Die Eltern lachen.

Hätte die Mutter Britt doch nur den Mantel mit den hellen Karos gekauft. Damit wäre sie an jenem Novemberabend auf dem Weg in einen dieser Großstadtclubs besser zu sehen gewesen.

Drei Jahre ist es jetzt her, dass ein Auto Britt fortriss, nachts, am Potsdamer Platz.

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