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Dada Knoblauch (1962-2014)

© Christiane Suckow-Buechler

Nachruf auf Dada Knoblauch (Geb. 1962): Leben in der Nacht, Leben am Tag

1980 rettete sie einen jungen Punk namens Bela vor einem Skin. Seine Band wurde ihre große Leidenschaft - genauso wie die Dortmunder Borussia und das Kreuzberger Kneipenleben. Nie dachte sie, dass sie einmal ihren 50. Geburtstag feiern würde. Und als es so weit war, ließ sie die Feier ausfallen.

Niemand kennt ihren ursprünglichen Vornamen, nicht einmal die engsten Freunde. „Dada war Dada“, sagen sie. Etwas anderes hätte auch nicht zu ihr gepasst. Ob sie schon Dada war in ihrem ersten Leben, weiß auch keiner. Dass sie aus Lüdenscheid kam, hat sie erzählt, mit einem gewissen Stolz, sonst kaum etwas von früher.

„Mein eigentliches Leben hat erst in Berlin begonnen“, hat sie gesagt. Ende der Siebziger, sie war so um die 17, ist sie aufgetaucht in Kreuzberg, in der Szene der Punks und Hausbesetzer. Sie genoss die wilde Sause, die neuen Freunde und vor allem die Musik.

Am 16. Oktober 1980 spielten die „Dead Kennedys“ im „SO36“, und sie stand vorn vor der Bühne. Stürmischer Sound, heftiges Gerangel. Als sie sah, wie neben ihr ein schmächtiger Punk von einem Skinhead heftig bedrängt wurde, nahm Dada den Skin in den Schwitzkasten, schleifte ihn durch den Saal und setzte ihn vor die Tür.

Bei allen Berliner Ärztekonzerten stand Dada in der ersten Reihe

Damit begann ihre Freundschaft mit dem geretteten Punk, der zwei Jahre später als Schlagzeuger seinen ersten Auftritt haben sollte. Seine Band nannte sich „Die Ärzte“, er nannte sich Bela B. Bei allen folgenden Berliner Ärzte-Konzerten stand Dada in der ersten Reihe und sorgte für ein wenig Ordnung im Chaos. Ihren Freund Bela befreite sie hin und wieder von allzu aufdringlichen Fans – auf die nette Art, freundlich, aber auch entschlossen, dass keiner zu widersprechen wagte. Dada hatte gelernt, sich gegen alle möglichen schrägen Vögel durchzusetzen, wobei ihr die Erfahrung vieler Jahre hinterm Tresen diverser Kneipen zugutekam. Und sicher auch ihre respekteinflößende Erscheinung: die Haare raspelkurz und schräg gefärbt, Bomber- oder Collegejacke, jede Menge Tätowierungen und Piercings, dicker Nasenring, imposante Körperfülle, krähend heisere Stimme.

Wenn Borussia Dortmund verloren hatte und sie dazu noch ein paar über den Schmerz getrunken hatte, ging man Dada besser aus dem Weg. Fremden misstraute sie zunächst, da ging sie auf Abwehr, war nicht besonders kommunikativ. Doch wer sie näher kannte, wusste, dass Dada sanft und großherzig war mit einer weichen Schulter zum Anlehnen. Das wussten auch die Stammgäste der Kneipen, in denen sie arbeitete, in der „Milchbar“ etwa, Manteuffelstraße, wo sich die Dortmund-Fans zu den Übertragungen der Spiele trafen. „Fußballschicht“ nannte sie solche Arbeitstage, da war sie in ihrem Element.

Der Typ sah genauso aus wie sie, selbst sein Irokesenschnitt - kein Wunder

2005 hat sie mit fünf anderen eine eigene Kneipe aufgemacht, das „Clash“ im Mehringhof, wo auch Bands auftraten. Wie stolz sie war, als Bela B. die Record-Release-Party für sein erstes Soloalbum bei ihr feierte. Andere Höhepunkte ihres Lebens neben den Siegen ihrer Borussia waren immer wieder die Konzerte ihrer Lieblingsbands: Ärzte, Tote Hosen, Punk, Metal, Ska, Breitbeinrock mit guten Melodien: Danko Jones, Iron Maiden, Bad Manners, TV Smith. Mit ihrer Mädels-Clique ist sie jedes Jahr nach Sachsen zum Festival „With Full Force“ gefahren, das war ihr Jahresurlaub. Irgendwann kam eine von ihnen ganz aufgeregt von vor der Bühne zurück: „Dada, komm mal mit nach vorn! Da ist ein Typ, der sieht genauso aus wie du!“ Dada sah sich den Typen an, und der sah wirklich aus wie sie, haargenau. Sogar derselbe Irokesenschnitt. Große Überraschung, große Umarmung: ihr Bruder Jens. Wie lang sie sich nicht gesehen hatten!

Ihr Leben war vor allem ein Nacht- und Kneipenleben, andauernd hinterm Tresen, Tageslicht selten. Und ständig Alkohol und Amphetamine, Jägermeister und Speed, auch als die Punkjahre längst vorbei waren, und selbst eine wie Dada spürte, dass sie älter wurde. „But what can a poor girl do … “ Zu Hause in ihrer winzigen Kreuzberger Einzimmerwohnung igelte sie sich ein zwischen ihren Kuscheltieren, riesigen Sammlungen von Seekühen, Katzen, Badeenten und schwarz-gelben Dortmund-Devotionalien. Ihr Laptop lief Tag und Nacht, und wenn sie nicht schlafen konnte, hat sie per Facebook mit der Außenwelt kommuniziert, Dampf abgelassen, Witze gemacht. Stundenlang konnte sie sich Videos anschauen, Filme, Fensehserien wie „Criminal Minds“ oder „Sons Of Anarchy“. Den Hauptdarsteller fand sie unwiderstehlich.

Weizenbier statt Jägermeister, besseres Speed: Dada gab auf ihren Körper acht

Irgendwann mussten die Freundinnen sie aus der Wohnung rausholen, um sie wegen einer schweren Gelbsucht ins Krankenhaus zu bringen, wo sie freiwillig nie hingegangen wäre. Krankenhäuser, Ärzte, Diagnosen – das alles machte ihr Angst. Als ihre Stimme immer rauer und heiserer wurde und Knötchen auf den Stimmbändern festgestellt wurden, war das so ein Schreckmoment. Es war dann doch kein Krebs, aber etwas mehr auf ihre Gesundheit müsse sie schon aufpassen, sagten die Ärzte. Sagten auch die Freundinnen. Und Dada stieg um: von Jägermeister auf Weizenbier. Und auf besseres Speed. Sie versuchte auch einen Entzug. Aber wie sollte das gehen, wenn sie täglich, nächtlich an der Quelle arbeitete? Wenn die Luft nach Alkohol roch und alle um sie rum gut angebechert waren.

Sie begann, das Tageslicht zu lieben, die Sonne

Sie gab ihren Anteil am „Clash“ auf und begab sich in ein stationäres Therapieprogramm. Sie rief Bela an und gab Bescheid, dass sie leider nicht zum nächsten Ärzte-Konzert kommen könne.

Sie schaffte es, sie wurde clean, es war der Beginn ihres dritten Lebens mit neuer Freude, neuem Spaß. An Dingen, die man bei Dada vorher nicht für möglich gehalten hätte. Sie begann, das Tageslicht zu lieben, die Sonne. Sie lernte Radfahren. Sie lernte schwimmen, sie ging mit ihren Freundinnen ins Prinzenbad. Der Lärm, die nackten Füße, Badelatschen, spärlich bekleidete Körper, das Sonnenlicht – wie absurd ihr das zuvor erschienen wäre. Jetzt war es wie ein Rausch ohne Alkohol und Drogen.

Ein weiteres großes Abenteuer: Kuchen essen mit der Weiberclique in der Lebensmittelabteilung des KaDeWe. Oder unterm blauen Himmel im Garten neben einer Freundin im Liegestuhl abhängen. Oder im Garten arbeiten. Oder kochen. Und natürlich immer wieder lachen – ihr ansteckendes Lachen mochten alle an ihr und nahmen dafür auch ihre anstrengenden Seiten in Kauf, ihr Gemecker, ihre Zornesausbrüche. Das gab es alles immer noch. Wenn eine Freundin die falschen Klamotten trug, oder wenn Borussia Dortmund falsch gespielt hatte. Dada machte nie einen Hehl aus ihren Gedanken und Gefühlen, darauf war Verlass.

Dass sie ihren 50. Geburtstag erleben würde, hatte sie lange nicht für möglich gehalten. Jetzt freute sie sich drauf und wollte es noch mal richtig knallen lassen. Ihre Musikerfreunde sollten rocken, „TV Smith“ sollte auftreten. Aber ob das überhaupt lustig werden könnte, so ganz ohne Alkohol? Deshalb war sie ja auch schon nicht zur Meisterfeier nach Dortmund gefahren. War nicht überhaupt alles lustiger damals, mit Alkohol?

Nur nicht zum Arzt gehen - die Angst vor der üblen Diagnose

Die große Feier zum 50. ließ sie ausfallen, wurde sich aber auch darüber klar, dass ihr drittes Leben so übel auch nicht war. Zum Geburtstag kamen sie dann doch alle in die Milchbar, wo Dada inzwischen wieder arbeitete, brachten Geschenke und Kuchen und umarmten sie.

Dieses Leben wollte sie noch lange genießen, dachte Dada, Radfahren, Schwimmen, Kuchen backen, vielleicht wieder zum Heavy-Metal-Festival nach Sachsen fahren. Nur nicht zum Arzt gehen, die Furcht vor einer üblen Diagnose blieb ihr erhalten. Und die kam dann auch: Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Sie überwarf sich dann auch noch mit ihrem neuen Chef, der in der Milchbar keine Spiele von Borussia Dortmund mehr zeigen wollte. Überhaupt war alles schlimm, die Krankheit, ihre Leibesfülle, die kaputten Zähne. „Schau mich an, was ist aus mir geworden?“

Die Folgen einer schweren Operation hat Dada nicht überlebt.

Eine Woche nach ihrem Tod spielte Bela B. bei einem großen Konzert „für meine älteste Freundin Dada“ seinen Song „Letzter Tag“.

500 kamen zur Beerdigung auf den alten St.-Matthäus-Friedhof in Schöneberg, ein bunter Haufen ganz in Schwarz, nur ein bisschen Gelb dazwischen wegen Borussia Dortmund. Musik von den „Dead Kennedys“ und Marla Glen, die mochte Dada auch. Immer mal wieder zog einer verstohlen einen Flachmann aus der Tasche und reichte ihn weiter. Wie soll man das alles sonst ertragen?

Hätte Dada laut geschimpft darüber? Hätte sie gelacht?

Alle jedenfalls wünschten sich, dass sie, die sich immer ungeliebt gefühlt hatte, jetzt sehen würde, von wo auch immer, wie sehr sie sich geirrt hatte. Wie sehr sie fehlte.

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