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Gerd Eiserbeck (1968-2017)

© privat

Nachruf auf Gerd Eiserbeck (Geb. 1968): Ein richtiger Mann!

Er war schwul und hielt es geheim, zuhause jedenfalls und lange auch im Polizeirevier. Im Fußballstadion, ausgerechnet dort, fasste er sich ein Herz.

Von David Ensikat

Möglicherweise hat er sich das nicht so deutlich anmerken lassen. Aber als seine Mutter und seine Schwester ihn beim Straßenfest am Hertha-Fanwagen besuchten und kein bisschen Anstoß nahmen, dass neben der Herthafahne eine Regenbogenfahne wehte, dass gegenüber die Yogajungs ihren Stand hatten, und dass dazwischen lauter Männer unterwegs waren, die die Hände anderer Männer hielten, da war das ganz sicher eine große Sache für ihn. Da trafen drei Welten aufeinander, die vermeintlich nicht zusammenpassten.

Drei Welten, die er lange akkurat getrennt hatte: Familie, Fußball, schwules Leben. Seine vierte sauber separierte Welt, die Polizei, spielte an diesem Tag keine Rolle, auf die kommen wir später noch zu sprechen.

Zuerst aber, was sonst, die Familie. Der Vater war natürlich wichtig, so wichtig, dass Freunde und Kollegen kaum etwas von ihm erfuhren, so wichtig, dass er ihn, so gut es ging, wegschwieg. Der Vater arbeitete im Speditionsgewerbe, trank eine Zeit lang viel zu viel, behandelte seine Frau schlecht. Ein ganzer Mann, der erwartete, dass sein Sohn ein ebensolcher würde. Und der immer wieder Zweifel daran hatte. Schon dass der Bengel partout nicht boxen wollte. Er spielte Fußball, wenigstens das.

Weg vom Vater, weg von dem Verdacht

Aber nur die eine Freundin? War die ein Alibi? War auch gar nicht so oft da. Da wird doch nicht was anders sein an unserem Jungen? Der Junge ahnte, dass der Vater der Mutter die Schuld geben würde, wenn an ihm, dem Jungen, etwas nicht stimmte. Also musste alles stimmen. Also wollte er ein Mann werden, ein richtiger Mann. Also ging er zur Polizei. Da haben Weicheier nichts verloren. Und da kam er gleich mit 16 in ein Internat, weg von zu Hause, weg vom Vater, weg von dem Verdacht, dass etwas falsch sein könnte an ihm.

Als er ein Mann war und längst wusste, dass er Männer liebte, und wusste, dass daran nichts Falsches war, da wusste er noch immer nicht, wie sein Vater auf die Nachricht reagieren würde. Er ahnte nichts Gutes, vor allem nicht für seine Mutter, die schuld sein würde an dem Übel. Er schützte sie, indem er es auch ihr verschwieg wie auch seinem Bruder und seiner Schwester. Gut, dass in der Familie generell nicht so viel geredet wurde. Je mehr man ahnte, desto weniger redete man. Er liebte seine Nichten. Als eine mitbekam, dass Onkel Gerd ein schwules Leben führte – einmal machte er die Tür in komisch knappen, bunten Sachen auf, später sah sie es auf Facebook –, da sagte sie’s nicht weiter. Nicht aus Scham, eher aus Rücksicht. Wenn Gerd nicht drüber sprach, hatte er wohl seine Gründe. Warum sollte sie es tun?

Das spielte sich nicht in den fünfziger Jahren ab, sondern in den Neunzigern und Zweitausendern. Zeiten, in denen manche sich wunderten, dass sich andere noch immer über die Homo-Ehe stritten.

Homo oder nicht homo, Hertha-Fan war Gerd schon immer. Das hat mit Sex nichts zu tun; die einen sagen, es sei wichtiger, die anderen, es komme äußerst kurz danach. Als er aber erfuhr, 2001 war das, dass es einen neuen Hertha-Fanklub gab, einen schwulen Hertha-Fanklub, da war er gleich dabei. War das nicht großartig? Fan sein, schwul sein, alles zur selben Zeit! Wenn ein Tor fällt, den richtigen Männern um den Hals fallen, denen, die nicht vor Ekel und Scham vergehen würden, erführen sie, von welchem Ufer er stammt.

Ein schwuler Fanklub, „Hertha-Junxx“ genannt, das mag skurril finden, wer Schwulen ein so profanes Hobby gar nicht zutraut. Was aber würden die anderen Fans sagen? Die aus der Krawallkurve, die sich mit Bier übergießen, sich die Männerseele aus dem Leib grölen, und die ausschließlich Schiedsrichter und Vollidioten für schwul halten. Zunächst mal merkten sie gar nichts. Auch schwule Herthaner tragen Blauweiß. Auch schwule Herthaner sehen die Gegner pausenlos im Abseits und freuen sich wie blöd, wenn die eigenen das Tor mal treffen. Und wer bemerkt es schon, wenn jemand den Trikottausch der hübschen Athleten auf dem Spielfeld mit etwas größerem Interesse beobachtet? Die kleine Regenbogenfahne, die sie dabeihatten, deutete kaum einer als das, was sie war. Die „Hertha-Junxx“ stellen sich auch nicht in die Ostkurve, ins Meer der Wahnsinnigen. Sie sitzen da, wo die Familien sitzen, die Stinknormalen. Sie wedeln nicht mit Puscheln, und wenn sie mal Arm in Arm dastehen, dann fällt selbst das nicht auf. Sie brauchen dafür nur weniger Alkohol im Blut als ihre Heterokollegen. Nach dem Spiel reagieren sie sich nicht ab, indem sie gegnerische Fans verprügeln, sie treffen sich lieber mit dem schwulen Gegnerfanklub zum Plausch in einer Homokneipe. Da ist man unter sich, schön gemütlich, feine Sache.

„Fußball ist alles – auch schwul“

Es war dann ausgerechnet Gerd, der die Idee mit dem Transparent hatte: Wenn andere Fanklubs ihre Riesenbanner an der Tribüne aufspannen, wieso nicht auch wir? Zum Wesen des Fantums gehört schließlich das Bekenntnis. Warum also soll ein schwuler Hertha-Fan die Öffentlichkeit nur wissen lassen, dass er für Hertha ist? – „Und wenn wir auf die Fresse kriegen?“, wandten die Hasenfüße ein. Einmal immerhin, beim Auswärtsspiel gegen Rostock, waren sie erkannt worden und konnten der Prügel nur ganz knapp entkommen. Sie waren auch nicht viele, 30 Mann im Verein, zehn, zwölf im Stadion. Gerd Eiserbeck sagte: „Ich kann doch jederzeit meine Leute von der Polizei rufen.“ War ja selbst Polizist, wenn auch ein ziviler. Weil er außerdem ein Mann der Tat war, suchte er einen Sponsor, ließ ein zwölf Meter langes Tuch bedrucken: „Fußball ist alles – auch schwul“, und hängte es fortan bei jedem Heimspiel ins Olympiastadion.

Die Angst, die er zu Hause vor seinem Vater hatte, hatte er hier, vor tausend Gaffern nicht.

Und was passierte? Nichts passierte. Hertha-Fans stehen nicht im Ruf, besonders zimperlich zu sein. Offenbar reagieren sie aber nur verständnislos, wenn andere auf andere Vereine stehen. Stehen sie auf Männer und außerdem auf Hertha, entscheidet Letzteres. Die Presse berichtete, logisch. Gerd Eiserbeck, den sie zu ihrem Vorsitzenden erklärt hatten, gab Interviews – vorausgesetzt, es erschien kein Bild von ihm und sein Name wurde geändert. So weit ging sein Mut dann doch nicht, jedenfalls nicht in den ersten Jahren.

Bei der Polizei ein harter Kerl

Auch gegenüber den Kollegen bei der Polizei hielt er sich mit Bekenntnissen zurück. Er war ein großartiger Kollege, immer da, wenn man ihn brauchte, kümmerte sich um den Papierkram, den keiner gerne macht, auch um die jüngeren Kollegen, spielte Fußball, sagte keinen Dienst wegen Familiengedöns ab. Das war wichtig, denn er war bei den verdeckten Ermittlern, deren Dienst sich nicht nach Plan richtet, sondern nach den bösen Jungs, die zu überwachen sind. Da bezog Gerd seine Portion Abenteuer, die selbst Hertha ihm nicht bot. Da bewies er sich umso mehr als harter Kerl, auf den sein Vater hätte stolz sein müssen.

Und war völlig perplex, als sein Vorgesetzter ihm eines Tages steckte, dass er, woher auch immer, erfahren habe, dass Gerd schwul war, und dass er, der Chef, sich nur wundere, dass das hier so ein Geheimnis war. Sei doch nun wirklich keine große Sache.

War es dann auch nicht. Wurden halt ein paar Schwulenwitze weniger gerissen. Die Kollegen wunderten sich nur (ähnlich wie die schwulen Freunde), dass dieser Schwule so besonders unschwul auftrat. Breitbeinig, Hände in den Hosentaschen, Sonnenbrille, beim Autofahren Ellbogen aus dem Fenster.

Sowieso das Autofahren. Ob er Anschnallen für, na ja – schwul hielt und es deshalb gern vermied? Wer neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz nahm, brauchte Vertrauen. In die Verkehrslage und in Gerds Fahrkünste, auf die er selbst nichts kommen ließ. Verwies aufs „Fahrsicherheitstraining“, das er für die Arbeit absolvierte. Musste ja Verbrecher verfolgen. Was für ein Mann.

So starb er auch. Fuhr auf der Stadtautobahn zu schnell, kam gerade aus der Wohnung seiner Mutter, die vor einem Jahr gestorben war. Wollte nach Hause zu Ömer, seinem jungen Freund (auch so einer, der den Eltern nichts über sein schwules Leben sagen konnte), schrieb ganz lässig seine letzte SMS, „Bin gleich da“, zog von der Überholspur rüber zur Ausfahrt Hohenzollerndamm, kam ab, ein Poller riss den Tank auf, überschlug sich.

Dass er Männer liebte, hat er seinem Vater vor acht Jahren gesagt, weinend. Ob der Vater etwas davon mitbekommen hat, ist fraglich. Er lag im Koma, sterbend.

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