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Nachruf auf Hilka Neuhof (Geb. 1939): Wenn's der Kunst dient

Früher war sie mal Lehrerin, dann kam sie zum Underground-Film. "Mutter war früher mal ein heißer Feger", so eine ihrer Rollenbeschreibungen. Nachruf auf eine Frau mit Mut

Von Barbara Nolte

Wie Hilka Neuhof zum Film kam, 58-jährig, nach einem Berufsleben als begeisterte Biologie-Lehrerin, klingt wie aus einem Drehbuch von Lothar Lambert.

An einem Winterabend Ende der neunziger Jahre besuchte Hilka Neuhof zunächst zusammen mit ihrem Mann die Vernissage einer Ausstellung, die Detlef Gosselck kuratiert hatte. Gosselck flog Jahre später als Kunstfälscher auf und nahm sich das Leben. Auch so ein Lambert-Thema: ein Berliner Bohemien, der auf Abwege gerät. Doch von Gosselcks Abwegen wusste damals noch keiner. Die Neuhofs kauften arglos ein Bild.

Zu den Gästen der Vernissage zählte auch das ehemalige Model Isolde Josipovici, die eine Pension in der Bleibtreustraße betreibt und sich für den Erhalt von Berlins Brunnen engagiert. Sie hatte ausrangierte Kacheln des Ernst-Reuter-Brunnens dabei und schaute sich nach Künstlern um, die sie bemalen sollten. Tatkräftig versprach Hilka Neuhof Mithilfe bei der Suche und nahm gleich ein paar Kacheln mit.

Lothar Lambert saß zur selben Zeit im „Buch’s“ in der Charlottenburger Wielandstraße. Er hatte einige Jahre zuvor zu malen begonnen. An den Wänden des Lokals hingen einige seiner Bilder. Auf dem Heimweg kehrte das Ehepaar Neuhof noch im „Buch’s“ ein. Hilka Neuhof gefiel Lamberts Kunst, sie nahm eine Brunnenkachel und sprach ihn forsch an.

Ein ungleiches Paar: Lambert, der Underground-Filmer, und die Lankwitzer Lehrerin. Sie unterhielten sich angeregt. Am Ende sagte Lambert, er suche ständig Laiendarsteller, und sie könne das doch einmal versuchen. Bald darauf interviewte er sie für seine Dokumentation „Made in Moabit“. Ein Jahr später machte er ihr das erste echte Rollenangebot. Ehrensache, dass sie zusagte. In ihrer zweiten Szene tanzte sie nackt.

„Du hattest durch mich dein Coming Out als Exibitionistin“, sagte Lothar Lambert später einmal zu ihr. „Von mir aus. Sag das so“, antwortete Hilka Neuhof und lachte. Ob es denn Situationen gegeben habe, in denen sie sich geschämt habe, hakte Lambert nach. „Fällt mir keine ein“, sagte Neuhof.

Der Dialog stammt aus dem siebten Film, den sie gemeinsam drehten. Wieder eine Dokumentation: „Alle meine Stehauf-Mädchen – Von Frauen, die sich was trauen“. Lambert filmte Hilka Neuhof in ihrer Lankwitzer Wohnung. Dort saß sie vor einer Fensterbank voller Kakteen: eine gepflegte Frau mit schwarzem, stufigen Kurzhaarschnitt und rundlichem, fein geschnittenen Gesicht. Sie stach aus Lamberts Ensemble heraus. Der Regisseur arbeitet meist mit kapriziösen Persönlichkeiten aus der Westberliner Schwulen- und Künstlerszene, die er durchgeknallte Figuren spielen lässt. Hilka Neuhof wirkte dagegen unkompliziert und bodenständig. Sie war auch nicht darauf aus, sich vor der Kamera zu entkleiden, sondern nur so mutig, sich auf Lamberts Regieanweisungen einzulassen. „Mutter, ca. 50 - 60, übergewichtig, Dekolleté, fette Ringe, Kette, lackierte Nägel, Turmfrisur oder Dutt. Mutter war früher mal ein heißer Feger.“ So lautete eine ihrer Rollenbeschreibungen. Äußerliche Eitelkeiten wollte Hilka Neuhof mit ihrem Filmschaffen sicher nicht ausleben. „Wenn's der Kunst dient “, kommentierte sie die heiklen Szenen und lud später sogar ihre Lehrerkolleginnen zu den Premieren ein.

Stepptanz und Goldschmiederei

Als junge Frau hatte sie sich einmal beim Berliner Max-Reinhardt-Seminar beworben und war auch angenommen worden. Doch dann fühlte sie sich unwohl inmitten der ehrgeizigen Kommilitonen und entschloss sich zu einem Lehramtsstudium, Wahlfach Biologie. Sie wurde Grundschullehrerin in Tempelhof. „Wie kann man nur so blöd sein?“, sagte Lothar Lambert einmal zu ihr. „Ich wollte das Leben leben, wie’s normal ist“, erwiderte Hilka Neuhof.

Auch einen zweiten Ausbruchsversuch aus den bürgerlichen Bahnen brach sie ab: 1975 wollte sie als Lehrerin für zwei Jahre nach Afrika gehen. Die Verträge waren schon unterschrieben. Doch dann lernte sie ihren späteren Mann kennen und blieb in Berlin.

Lothar Lambert spricht von ihrer „preußischen Seite“. Ihr Privatleben hatte Hilka Neuhof straff organisiert. Verabredungen habe er Monate im Voraus einfädeln müssen, sagt Lambert. Versuchte er es mal spontan, war sie ausgebucht. Sie sei das beliebteste Ensemble-Mitglied gewesen. Sehr kollegial, weshalb er sie bei allen Drehs dabei haben wollte. Ihre Begabung habe im Improvisieren gelegen, weniger im Präsentieren von vorgegebenen Dialogen.

Dabei hat sie ihre Texte sorgfältig einstudiert. Ihr Mann, Steuerberater, Tennisspieler, schlüpfte dazu in die Rolle ihrer Filmpartner. Eckard Neuhof deutet in der Lankwitzer Wohnung, die er mit seiner Frau bewohnte, auf einen runden Tisch und sagt: „Hier haben wir geübt. Erst dann gab es Abendessen.“

Die Wohnung hat große Fenster zu einem baumbestanden Garten. Die Wände hängen voller Bilder. Sechs davon stammen von Lothar Lambert. Das vom Galeristen Gosselck Gekaufte ist mit dem Namen Lou Albert-Lasard signiert. Eine französische Künstlerin aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, zu deren Werk Detlef Gosselck selbst gemalte Bilder hinzugefügt hatte. Ob das Bild, das die Neuhofs gekauft haben, eine Fälschung ist, weiß niemand. Letztlich sei es ihm und seiner Frau auch egal gewesen, sagt Eckard Neuhof. Es war als Wohnzimmerdekoration und nicht als Geldanlage gedacht.

Neben der Schauspielerei, sagt er, habe seine Frau andere Hobbies genauso gern betrieben. Zum Beispiel Stepptanz, den sie wegen ihrer Herzprobleme in ihrem letzten Lebensjahr aber nicht mehr ausüben konnte. Außerdem interessierte sie sich für Edelsteine und Edelmetalle, hatte in den achtziger Jahren sogar Zertifikate bei der Gold- und Silberschmiede-Innung erworben. Wenn Hilka Neuhof das Haus verließ, hatte sie oft eine Speziallupe dabei, um damit den Schmuck von Menschen, die sie traf, in Augenschein nehmen zu können. Am liebsten ging sie in die Feinkostabteilung des KadeWe. Nach dem Einkauf setzte sie sich an den Champagnerstand, wo sie mit jedem redete, der neben sie geriet.

Eckard Neuhof erzählt amüsiert von seiner Frau, die sich so viel traute. Wie sie etwa in schriller Verkleidung einen sexuellen Übergriff auf den Freund ihres schwulen Filmsohnes mimte.

14 Filme umfasst ihr Werk als Underground-Darstellerin, einige davon liefen auf der Berlinale. Sie spielte auch in Filmen von Michael Sittner und Carl Andersen, über den Lothar Lambert wiederum eine Dokumentation machte, für die er Hilka Neuhof als Sidekick engagierte.

Doch die Rolle der tabulosen Übermutter, in der Lothar Lambert sie gern besetzte, entsprach nicht ihrem Naturell. Das zeigt eine dokumentarische Szene aus „Alle meine Stehauf-Mädchen“. An einem liebevoll gedeckten Cafétisch berichtet ihr die Pensionswirtin Isolde Josipovici von früheren Ausschweifungen.

„Sexparties, habt ihr gemacht? Donnerwetter!“, sagt Hilka Neuhof. „Wie gingen die so vor sich?“ – „Na, je nachdem“, antwortete Josipovici. „Ein Billardtisch. Der ist ja grün bezogen. Da habe ich mit einem drauf gebumst und alle standen drum herum und haben zugeguckt.“ – „In aller Öffentlichkeit?“, fragt Hilka Neuhof ungläubig. – „Doch nicht in aller Öffentlichkeit! Bei der Party.“ – „Tut mir leid, das geht mir über den Verstand“, sagt Hilka Neuhof.

Nach dem ersten Treffen hatte Lambert tatsächlich ein paar Brunnenkacheln für Isolde Josipovici bemalt und die Pensionswirtin gleich in seine Filmfamilie mit aufgenommen. Mittlerweile sind Lamberts Filme auch von historischem Wert: Zeitdokumente des alten West-Berlin im Untergang. Josipovicis Pension gibt es noch. Das „Hotel Bogota“, Schauplatz von Hilka Neuhofs erstem Spielfilm, musste vor zwei Jahren schließen. Spätere Locations waren weniger komfortabel. Eckard Neuhof erinnert sich an eine unbeheizte Steglitzer Wohnung. Das Filmen ohne Geld sei schon eine strapaziöse Angelegenheit gewesen, sagt er. „Aber wenn Lambert wieder irgendetwas für Hilka hatte, stand sie Gewehr bei Fuß.“

Sein neues Projekt heißt: „Verdammt nochmal Berlin – Fucking City revisited“. Doch der Titel täuscht: Für Hilka Neuhof wäre es ein harmloser Auftritt geworden. Lambert hatte erfahren, dass sie zu den Kindern gehört hatte, die den Rosinenbombern zuwinkten. Er wollte mit ihr zum Flughafen Tempelhof fahren und sie dort zu ihren Kindheitserinnerungen befragen. „Vor dem Urlaub wird es nichts mehr“, sagte sie im Sommer. Sie verreiste nach Fuerteventura. Drei Tage, nachdem sie zurückgekehrt war, versagte ihr Herz.

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