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Berlin: Anagarika Kassapa (Geb. 1928)

Und er? Hatte er den Weg gefunden, nach dem er suchte?

Mein Weg begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Unsere Städte waren zerbombt, wir hausten in Kellerlöchern und Behelfsheimen. Alle Ideale waren im Winde zerstoben, die totale Niederlage mit Millionen Toten – wir waren von einem lähmenden Schock ergriffen. Es war die Stunde null.“

So schreibt er in seinem Buch „Eine besondere Kraft“.

Niemand konnte dem Kriegskind in dieser „Stunde null“ die Orientierung geben, nach der es sich sehnte. Nicht der Vater, ein Kaufmann in Remscheid, nicht die kaufmännische Lehre, nicht das Studium an der Kunstschule, nicht die Jahre als Werbegrafiker.

19 Jahre alt war er, als er in der Stadtbibliothek ein Buch mit dem Titel „Die Weisheit des Buddha“ aus dem Regal zog. „Ich stieß auf eine Lehre, die keinen blinden Glauben verlangt, keine Dogmen enthält, die die Vorstellung eines persönlichen Schöpfers und Weltenlenkers verwirft.“

Doch der Anschluss an die buddhistische Gemeinde in Köln enttäuschte ihn, zu oberflächlich schien ihm der Buddhismus, der dort gepflegt wurde.

Eine alte Dame empfahl ihm ein Kloster in Burma. 32 Jahre alt war er, als er das von Palmen beschattete Gebäude zum ersten Mal betrat. „Ich dachte, dort wimmelt es von Mönchen, die Nirwana erreicht haben und mich anleiten könnten. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus.“ Vom Hauptmönch konnte er dennoch so viel lernen, dass er sich schon kurz nach seiner Ankunft zum Novizen und wenig später zum Mönch ordinieren ließ. Fortan studierte Kassapa den „Theravada-Buddhismus“, die „Lehre der Älteren“. Er las die Urtexte und wurde aufgrund seines Zeichentalents dazu bestimmt, die „Abhidhamma-Tabellen“, in denen die Lehren des Buddha systematisch geordnet werden, abzuzeichnen, „wobei ich jeden Buchstaben burmesischer Kringelschrift mit einem Nullenzirkel hi- neinzusetzen hatte.“

Hinzu kamen das Studium der 227 Regeln der Ordensdisziplin, Hitze, Dreck und Ungeziefer. „Manchmal dachte ich, ich wäre innerlich verdorrt. Es soll niemand glauben, das Mönchtum sei ein Taumel von einer Ekstase in die andere.“

Zehn Jahre später kehrte er nach Deutschland zurück, lebte und lehrte im „Haus der Stille“ in Roseburg. Und kam bald in Konflikte mit den in einer anderen Kultur entwickelten Mönchsregeln: „Ich hielt Vorträge an anderen Orten. Das bedeutet natürlich, Fahrkarten zu lösen und zu bezahlen. Also benutzte ich Geld, wieder ein Bruch mit den Mönchsregeln. Dies zu vermeiden wäre nur möglich gewesen, wenn mich eine zweite Person ständig begleitet hätte, um die Fahrtkosten zu bezahlen.“

Noch einmal ging er nach Osten, nach Sri Lanka diesmal, um dort ein strenges und tugendhaftes Mönchsleben zu führen. Aber sollte und wollte er wirklich jede in der Vergangenheit gerauchte Zigarette als Verstoß melden? Wenn nicht, beging er dann nicht den nächsten Verstoß, nämlich den des Verschweigens? „Die Mühle der Selbstbezichtigung lief auf Hochtouren. So lobenswert und wichtig strenges Befolgen der Regeln auch sein mag, besteht doch die Gefahr, dass man bei zu großer pedantischer Strenge den Geist einengt.“

So legte er die Kutte wieder ab und lehrte fortan als „hausloser“ Laienanhänger wechselnd in Roseburg und im „Buddhistischen Haus“ in Berlin.

Es betrübte ihn das Gefühl, dass viele Menschen hier nicht nach Erkenntnis suchten, sondern den Buddhismus zum Teil der Konsumkultur machten. „Sie wollen auf dem Hintern sitzen, abschalten und möglichst schnell in beseligende Gefilde absegeln, mehr nicht.“

Und er? Hatte er den Weg gefunden, nach dem er seit jener „Stunde null“ suchte? Nicht ganz. Zwar war er stolz auf seinen Wissensschatz, doch suchte er noch nach der passenden Meditationsform für sich, um die abstrakte Erkenntnis in eine erlebte zu wandeln.

70 Jahre war er alt, als jemand von einem Kloster in Myanmar erzählte, in dem die Meditation ganz auf den Lehren beruhte, die Kassapa in den sechziger Jahren so hart studiert hatte.

Noch einmal reiste er in eine Gegend, in der „Pagoden und Klöster die Kuppen bewaldeter Hügel beherrschen, wie hierzulande die Ritterburgen am Rhein“. Noch einmal zurück in die Hitze, zu dem Ungeziefer, mit dem er sich die Nächte in seiner Mönchsklause teilte. Fünf Meditationssitzungen von je 1,5 Stunden am Tag, die erste frühmorgens um vier.

Ein knappes Jahr später wiederholte er die Reise zusammen mit seiner Lebensgefährtin. Zwar schrieb er in seinem Buch von den Techniken und den Themen der Meditationen, doch was genau er in diesen Momenten höchster Konzentration erlebte, bleibt sein Geheimnis.

Abends belohnte der „hauslose“ Nicht-Mönch sich auf dem angrenzenden Friedhof mit einer burmesischen Zigarre und erfreute sich beim Blick in die Sterne an einem „heiligen Schauer“. „Die Götter beweihräuchern“, nannte er das in seiner stillvergnügten Art.

Jahrzehntelang hatte er sich mit der „Unbeständigkeit, der Leidhaftigkeit und der Leerheit des Daseins“ auseinandergesetzt, sich, gelockt von der Verheißung des Nirwana, der Erleuchtung, dem Zustand der Leidlosigkeit, im Loslassen geübt. Umsorgt von seinen Freunden durfte er langsam und ohne Qual seiner Altersschwäche nachgeben. Er starb mit den Worten: „Tschüss! Wir sehen uns.“ Anne Jelena Schulte

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