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Berlin: Dorit Lorenz (Geb. 1942)

"Ich will die deutsche Einheit nicht allein erleben".

Ihre Mutter war eine Grande Dame. So schien es zumindest auf den Bildern. Wunderschöne Hüte trug sie, schicke Kostüme – die sie selbst schneiderte, das war ihr Beruf. Die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen, ihren Vater hat Dorit nie gesehen. Mutter, Großmutter und Tante umsorgten sie. Dorit war bildhübsch und klug, von ihrer Mutter hatte sie das Gespür für einen guten Auftritt geerbt, von der Großmutter die Maxime: „Wenn du nicht willst, musst du auch nicht!“

Das Mädchen mit dem Petticoat. Was hatte das auf dem Land zu suchen? Aus Magdeburg evakuiert, wohnten sie zunächst in Sargstedt, dann in Wernigerode – aber die Kleinstadt ist nur was zum Ansehen, befand Dorit.

Sie lernte Stenotypistin, machte das Abitur nach und wollte unbedingt studieren. 1965 zog sie nach Ost-Berlin.

Eine schöne junge Frau, immer elegant gekleidet, verkleidet. Akne machte ihr zu schaffen. Und die Angst, eines Morgens mit einem Buckel aufzuwachen, denn sie litt an einer Wirbelsäulenverkrümmung, die sie zu einem leicht schwingenden Gang zwang – was ihr die Männer als koketten Hüftschwung auslegten.

Sie selbst sah Männer immer zunächst als Menschen; das rächte sich bitter. Im Urlaub wurde ihr von zwei Männern Gewalt angetan, sie brachte die Tat zur Anzeige. Die Männer kamen ins Gefängnis.

Den Traum von der großen Liebe hat sie weitergeträumt und wurde bitter enttäuscht. Der berühmte Regisseur, für den sie eine unter vielen Geliebten war, nötigte sie zur Abtreibung.

Undenkbar, mit einem Mann zusammenzuleben, undenkbar, zu Männern ein angstfreies Verhältnis zu haben. „Der Traum meines Lebens war immer ein Auto, damit keiner an mich rankommt, mich antatscht“, bekannte sie in einem langen Interview einer Freundin.

Dorit Lorenz wurde „Wissenschaftliche Informatorin“ im Ministerium für Kultur und studierte im Fernstudium Kulturwissenschaften. Eine bessere Stelle fand sie dennoch nicht. Schon früh geriet sie in den Verdacht, einen „westlichen Lebens- und Bekleidungsstil“ zur Schau zu stellen, sie galt, so steht es in ihrer Akte, als „politisch undurchsichtige Person“.

Ihr Umgang mit Künstlern und Literaten tat sein Übriges. Kultur, das war für sie vor allem ein herrschaftsfreier Raum. „Ich geh jetzt ins Theater“, scherzte sie, „und mach einen geistigen Höhenflug“, hinweg über alle Erinnerungen und Sorgen des Alltags. Denn „auch die härteste Literatur ist nicht so gemein, wie die Leute im Leben sind“.

Nach der Wende wurde ihr gekündigt, sie musste sich von Projekt zu Projekt hangeln, was ihr immer schwerer fiel. Ämtergänge machten sie geradezu körperlich krank, der Zwang, stets selbstbewusst auftreten zu müssen, zermürbte.

Der Vorteil des Alters: „Du kommst nicht mehr so als Sexualobjekt infrage.“ Bitter fügte sie hinzu: „Dafür kannst du dann in Altersarmut zugrunde gehen.“ Aber die Verbitterung schwächte nicht ihren Kampfeswillen.

„Ich will die deutsche Einheit nicht allein erleben“, hatte sie nach der Wende verkündet und Taten folgen lassen. Achtzehn Jahre war sie für die SPD Bezirksverordnete in Friedrichshain-Kreuzberg. Ehrenamtlich. Karriere in der Politik machen, niemals! „Ich halte das alles immer ein bisschen für unseriös.“ Ihr ging es um die Arbeit vor Ort.

Ihr Kiez war der Boxhagener Platz, da konnte sie stundenlang auf ihrem Balkon liegen und das Treiben der anderen verfolgen. In der Wohnung selbst herrschte behagliches Chaos, Ordnungssinn fehlte ihr völlig: „Ich darf nichts aufräumen. Wenn ich aufräume, ist es weg!“

In ihrer Wohnung wollte sie auch sterben, in Anwesenheit einer Freundin. Das war ihr fester Wille, nachdem sie von ihrer Krebserkrankung erfahren hatte und den zähen Kampf dagegen nach über einem Jahrzehnt verlor.

Dorit Lorenz hat sich in ihren Gedichten und Tagebuchnotizen immer selbst zum Glücklichsein ermahnt. Oft vergeblich, aber das Träumen gab sie nie auf. „Du bist anmaßend“, wurde ihr mal im Streit vorgeworfen. „Ja, das stimmt!“, entgegnete sie lachend. Sie wollte ein gutes Leben und sie fand, dass das in einer Demokratie jedem zusteht.

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