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Berlin: Eberhard Schröder (Geb. 1940)

„Er war nicht oberflächlich, aber ein Wanderer“

Für ein Leberblümchen am Wegrand machte Eberhard Schröder sich noch einmal auf den Weg, fuhr einen Tag nach der Exkursion mit der Studentengruppe abermals von Berlin nach Potsdam, grub die purpurne Blume behutsam aus und trug sie in sein eigenes Beet.

In den Botanischen Garten ging er immer mit einem Taschentuch und einer Tüte, ließ das Taschentuch neben einer Pflanze fallen, bückte sich, verdeckte einen Ableger der Pflanze unter dem Tuch, löste ihn und verbarg ihn in der Tüte.

Während eines Ernteeinsatzes musizierte er am Abend und führte in der Nacht ein Mädchen zu einem Apfelbaum, pflückte ihr einen prallen Cox Orange und küsste sie.

Das Mädchen, ebenso wie Eberhard an der Gartenarchitektur-Fakultät der Humboldt-Universität eingeschrieben, unterteilte sein Leben nachträglich in drei Bereiche: Eberhard der Gärtner, Eberhard der Musiker, Eberhard der Frauenheld. Letzteres betreffend kommentierte er: „Wir heirateten 1968, die Damenwelt heulte, also verließ ich des Öfteren den Pfad der Tugend, um weitere Tränen zu unterbinden.“ Die Frau, die das Mädchen gewesen war, ließ sich scheiden.

Den Pflanzen und der Musik hingegen blieb er immer treu.

Liebte er die Pflanzen, weil es in der Stadt außer den paar Bäumen und Büschen und dem Löwenzahn zwischen den Gehwegplatten kaum Grün zu sehen gab? Oder lockte ihn der Schrebergarten seiner Großmutter, der er dabei zusah, wie sie grub und säte und goss? Nie zweifelte er an seinem Wunsch, Gartenarchitekt zu werden, lernte Gärtner an der Späth’schen Baumschule, studierte, sammelte seltene Züchtungen, wusste nicht mehr wohin mit all den Sträuchern und Stauden, die in ihren Töpfen bleiben mussten, da im Garten kein Platz mehr war.

Die Arbeit in einem volkseigenen Betrieb offenbarte sich als weniger bunt. Zur Verfügung standen „Optimistisch-Schwarz, Sowjetisch-Fahnenrot und Glühend-Betongrau“, wie er bemerkte.

Nach der Wende fand er eine gute Stelle bei einer Straßenbaufirma. Jetzt blieb ihm Zeit für seine zweite große Liebe, die Musik.

Als Neuntklässler hatte er einen Jungen in der Aula Klavier spielen gehört. Euphorisch begann er zu üben, nur nach dem Gehör, denn Noten konnte er nicht lesen. Immer geschmeidiger bewegten sich seine Finger über die Tasten. Er wollte zeigen, was er konnte und gründete seine erste Band, die „Jazz Crazys“. Doch „Jazz und Rock ’n’ Roll waren den Agitpropkannibalen ein Dorn im Auge“, wie er sagte. Er bekam Ärger wegen des anglophilen Namens und schloss sich einer Band von Mitschülern an, „Papa Binnes Jazzband“. Der Name stammte vom Bandgründer, Lutz Binneboese, der von „Papa Bue’s Jazzband“ ganz begeistert war, einer dänischen Combo, die in West-Berlin aufgetreten war. Jeden Mittwoch hatte „Papa Binnes Jazzband“ eine Mucke in einer Sporthalle an der Karl-Marx-Allee oder im Studentenklub in der Wilhelm-Pieck-Straße. Sie spielten swingenden, traditionellen Jazz, und Eberhard entwickelte einen eigenen, mitreißenden Boogie-Woogie-Stil.

Aber er war unzuverlässig, „nicht bindungsfähig“, wie es seine erste Frau ausdrückt. Ein Gig im Berliner Umland stand an, Eberhard aber kam zwei Stunden zu spät, die Gäste waren längst nach Hause gegangen. Nach nur drei Jahren flog er aus der Band. „Er war nicht oberflächlich, aber ein Wanderer“, sagt sie. „Er wollte sich amüsieren, etwas erleben, die Frauen verführen.“ Auch seine zweite Ehe scheiterte, aber die Geburt seines Sohnes war das Größte für ihn.

Dann wurde er krank, lehnte sich zehn Jahre lang gegen den Krebs auf, tat so, als sei er nicht da, fuhr wie verrückt mit seinem Auto, kaufte sich eine Laube für seinen Garten, spielte Klavier im Strandbad Weißensee zwischen Palmen, die er selbst mitgebracht hatte und konnte am Ende doch nicht entfliehen. Tatjana Wulfert

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