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Berlin: Helene Apelt (Geb. 1921)

Ihren neuen Waschautomaten nannte sie Rumpellieschen.

Acht Geschwister, ein Papst und das Akkordeon des Bruders, zu dem sie gerne sang, wenn sie fröhlich war. Die Jungfrau Maria hatte sich früh ihrer angenommen und sie als Schutzpatronin durchs Leben geleitet. Vor Fegefeuer und Teufel solle sie sich in Acht nehmen, sagte man ihr in der Heimat, Königshütte-Bismarck, Oberschlesien. Zuweilen sah sie den Teufel vier Schulbänke vor sich sitzen, in Gestalt der älteren Schwester, die man ihr ständig vorzog.

Als sie getauft wurde, hieß sie noch Hella Malcherczyk. Der Vater war Zimmermann, die Mutter strenggläubige Katholikin. Zu Weihnachten strahlte eine riesige Pyramide im Vorgarten des Hauses. Noch vor Ende des Krieges beschloss sie, die Heimat zu verlassen und nach Berlin zu gehen. Ihre Mutter protestierte, aber sie ließ sich nicht beirren. In Oberschlesien gab es keine Arbeit.

Sie wurde Telefonistin bei der Wehrmacht und machte großen Eindruck auf einen jungen schwärmerischen Mann. Seinen Avancen und Liebesbeteuerungen kam sie bei, indem sie ihn schließlich heiratete. Als die Mutter von der Verbindung erfuhr, war sie wenig entzückt. Einen deutschen Protestanten! Die katholische Heiratsurkunde stimmte sie milder.

Eine kleine Wohnung, ein Polizeibeamtengehalt, zwei Söhne und eine Tochter. Während der Blockade zog sie zum Hamstern quer durch die Stadt und unternahm auch Touren ins Umland, um dem Ältesten die geliebten Rosinen zu besorgen. Für die Kinder da sein, sie durchbringen, dafür lebte Helene Apelt. Ihr Mann sah das etwas lockerer: Stolz brachte sie einen Sack voll Erbsen nach Hause. Statt ihn gut zu verwahren, nahm er den Sack mit zum Kartenspiel. Am Ende hatte er alles verloren.

Die Zeiten besserten sich, und die Familie machte Ferien in Heckeshorn am Wannsee. Dort hatte ihr Mann einen kleinen Kahn mit Außenbordmotor. Er und die Jungs blieben vor Ort, während sie sich mit der kleinen Tochter um die Versorgung kümmerte. Mit der vollgepackten Kinderkarre pendelte sie zwischen Heim und Zeltplatz hin und her. Mitte der sechziger Jahre wollte ihr Mann das Boot verkaufen. Der ältere Sohn zeigte sich interessiert, aber nur unter einer Bedingung: Von den tausend Mark sollte die Mutter eine Waschmaschine bekommen. Er ertrug es nicht länger, sie zum Wäschekochen im Keller verschwinden und Stunden später blass und erschöpft wieder auftauchen zu sehen. Kurze Zeit später ruckelte „Rumpellieschen“ in der Küche vor sich hin. So nannte sie den neuen Waschautomaten.

Als ihr Mann mit 54 Jahren starb, machte sie sich Vorwürfe, sich nicht genug um ihn gekümmert zu haben. Er war an den Spätfolgen einer Kriegserkrankung gestorben. Doch wie aus dem dunklen Loch der vermeintlichen Schuld herausfinden? Sie besann sich auf ihre Stärken, nahm einen Job als Pflegeoma an – und wurde zur karitativen Aktivistin. In drei katholischen Gemeinden betätigte sie sich, las Fürbitten, hielt Andachten, organisierte Kaffeekränze, hörte Bedürftigen zu und strickte unzählige Entchen für den Kirchenbasar.

In der Seniorengruppe schätzte man sie wegen ihres Frohsinns, mit dem sie jeden ansteckte. Aber wenn ihr etwas missfiel, ließ sie das die Leute auch wissen. Als sich ihre halb erwachsene Enkeltochter endlich zur christlichen Taufe entschloss, war sie sehr erleichtert. Doch es sollte eine evangelische Taufe sein. Helene sprach am Taufbecken das Glaubensbekenntnis selbstverständlich so, wie sie es für richtig hielt, für alle gut vernehmbar: „Ich glaube an die heilige katholische Kirche“.

Hundert Jahre alt wollte sie werden. Das hat sie nicht ganz geschafft. Aber ihre Eigenständigkeit bewahrte sie sich bis zum Schluss. Sonntags traf sie sich immer mit ihren drei Kirchenfreundinnen vorm Gottesdienst. Am letzten Palmsonntag ließ sie sie zum ersten Mal vergeblich warten. Fünf Wochen später winkte sie ihnen von einer Wolke aus zu und stieg sodann erwartungsvoll weiter hinauf. Stephan Reisner

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