zum Hauptinhalt

Berlin: Irmgard Wirth (Geb. 1915)

Im Museum war sie lebendig

Der Maler Adolph Menzel, genau 100 Jahre älter als Irmgard Wirth, lebte und starb in Berlin, wie sie. Nach dem Tod seines Vaters musste er für den Unterhalt der Familie sorgen. Er war zart und klein und noch keine 20 Jahre alt, malte weiter und wurde Professor und wichtigster Vertreter des „Berliner Realismus“. Auch Irmgard Wirth hatte einen schwierigen Start und blieb der Kunst treu. Sie verlor ihren Vater kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Ihre Mutter, eine moderne Frau und gelernte Fotografin, hatte einen 15 Jahre jüngeren Kaufmann geheiratet, der sich allerdings mehr Nachwuchs wünschte und sich von ihr scheiden ließ. Für Mutter und Tochter ein Katastrophe.

Vielleicht lernte die zierliche Irmgard deshalb so fleißig, dass sie zur Klassenbesten aufstieg. So bekam sie etwas von dem Respekt, der einer Sitzengelassenen verwehrt wurde.

Für Kunst interessierte sie sich schon früh. In Zigarettenschachteln lagen kleine Gemäldereproduktionen. Irmgard sammelte sie und prägte sich Titel und Künstler ein. Ihre Lehrer waren beeindruckt.

Die Nazis ließen sie nicht zum Studium zu, weil der Vater mit seiner dritten Ehefrau, einer Jüdin, nach Amerika emigriert war. Obwohl sich schon damals Museumsdirektoren für Irmgard einsetzten, wog die „Rassenschande“ schwer, und sie musste zum Nachrichtendienst der Wehrmacht. 1944 konnte sie aber doch als wissenschaftliche Hilfskraft im Berliner Zeughaus anfangen. Nach dem Krieg schrieb sie sich als eine der Ersten an der Humboldt-Universität ein. Ihre Fächer: Kunstgeschichte, Romanistik, Klassische Archäologie. Sie bekam ein Stipendium an der Sorbonne und schrieb ihre Dissertation über Französische Malerei des 19. Jahrhunderts. Wieder in Berlin arbeitete sie beim Senator für Bau- und Wohnungswesen und beschäftigte sich mit Kunstdenkmälern.

Adolph Menzel hatte nie geheiratet, Irmgard Wirth auch nicht. Beide pflegten intensive Familienbeziehungen. Menzel lebte mit Mutter und Geschwistern und unterstützte sie finanziell. Irmgard Wirth wohnte mit ihrer Mutter bis zu deren Tod in der Kantstraße und legte Wert auf ein harmonisches Verhältnis zu ihren Halbgeschwistern. 1955 organisierte sie ihre erste Ausstellung – mit Bildern von Adolph Menzel. Das war ein Wagnis, denn die Gegenständlichkeit des 19. Jahrhunderts galt als überkommen und verstaubt.

Für die Berliner Geschichte gab es das Märkische Museum im Ostteil der Stadt. Nach dem Mauerbau war es für die West-Berliner nicht mehr erreichbar. Irmgard Wirth setzte sich in einem Verein für eine neues Berlin-Museum ein, und wurde nach der Eröffnung 1967 die erste Leiterin. Für das Haus in Kreuzberg sammelte sie Gemälde, vor allem solche aus dem 19. Jahrhundert, Alltagsgegenstände, Mode, Spielzeug. Manches wurde geschenkt, für teure Ankäufe fand sie Sponsoren. Die Abteilung Judaica war der Grundstock für das heutige Jüdische Museum. Ihr Vater wäre stolz auf seine Tochter gewesen.

Im Museum war sie lebendig. Sie arbeitete gern hier und gönnte sich nur ab und zu ein Stück Kuchen im Café Kranzler und hin und wieder eine Kunstreise nach Italien oder Paris.

Adolph Menzel arbeitete jeden Tag an seinen Bildern. In einem Buch über ihn schrieb Irmgard Wirth: „Es war ein inneres ,Perpetuum mobile’, das ihn zu dem auch unterwegs stets bereiten Block und Stift greifen ließ, ein So-und-Nicht-Anders-Können seiner künstlerischen Veranlagung.“

Als sie 1980 in Rente gehen musste, konnte das kein Abschied von ihrem Lebensthema sein. Sie schrieb Bücher über die Berliner Malerei und kümmerte sich nach dem Mauerfall um die Zusammenführung von Märkischem Museum und Berlin Museum zur Stiftung Stadtmuseum und machte weiter Führungen.

Adolph Menzel starb knapp 90-jährig, Irmgard Wirth am 11. Juli 2012 mit 97, beide ohne längere Leiden. Maria Hufenreuter

Maria Hufenreuter

Zur Startseite