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Klaus Kühling, 2009 in der Berliner Philharmonie

© Privat

Berlin: Klaus Kühling (Geb. 1933)

Interessierte er sich nur für die Musik? Für gar nichts anderes?

Spiel ja nicht auf dem Klavier“, sagte die Tante. Klaus hatte mit seiner Mutter und seiner Schwester den weiten Weg von Oberschlesien bis nach Burg im Jerichower Land geschafft und im Haus der Tante das Klavier gesehen. „Wenn’s die Russen hören“, warnte sie, „nehmen sie es auf der Stelle mit.“ Manchmal schlug er die Tasten trotzdem an, ganz vorsichtig, so dass kaum ein Ton zu hören war. Er kannte die Noten, hatte jede Menge Melodien in seinem zwölfjährigen Kopf, sang die Stücke aus dem Schulliederbuch seiner Großmutter, „Kein Feuer, keine Kohle“ und „Dich, mein stilles Tal“, mit seiner schönen, klaren Kinderstimme.

Klaus Kühling liebte die Musik, aber wenn ihn jemand fragte, was er werden wolle, sagte er: „Mathelehrer.“ Da unbelastete Lehrer gesucht wurden, stand er gleich nach dem Abitur vor einer fünften Klasse und schrieb Zahlen an die Tafel. Doch hin und wieder könnte man auch singen, fand er und ließ die Schüler ein Lied anstimmen. Er baute seinen ersten Chor auf, sang selbst so temperamentvoll mit, dass sein Tenor in den Bariton kippte. Auf die Stimmen der Kinder dagegen achtete er streng. Singen sie zu rau und reibend, ruinieren sie ihre zarten Organe.

Die Mathematik hatte sich schnell erledigt. Er schrieb sich an der Humboldt- Universität für ein Musikpädagogikstudium ein, zog in ein Zimmer in Prenzlauer Berg, spielte Horn und Trompete im Studentenorchester, zog um in die Schöneweider Edisonstraße, durch die unablässig der Verkehr toste und die Nadel seines Plattenspielers springen ließ. An der Köpenicker Musikschule begann er zu unterrichten, studierte Gesang, an der Musikhochschule „Hanns Eisler“, ging in die Schulen, um Talente zu finden, und sang selbst auf Konzerten.

Unter seinen „Köpenicker Chorsolisten“ gab es ein elfjähriges Mädchen, das sich mit den Freundinnen kichernd fragte: Warum hat der Mann keine Frau? Sie hatte an einem Gesangswettbewerb teilgenommen und sollte sich bei Klaus Kühling vorstellen. Ein komischer Typ, dachte sie und guckte auf seinen Bürstenhaarschnitt und die dunkle, dickrandige Brille. Er nahm sie auf. Aber sie erkältete sich. Aus ihrem hellen Sopran wurde ein kratziger Alt. Die Erkältung setzte sich fest. Die Eltern des Mädchens zuckten mit den Schultern. Aber er besorgte ihr einen Termin in der Charité. Sie begann für den komischen Typen zu schwärmen. Der sich augenscheinlich allein für die Musik interessierte, den Gesang und das Gehör der Sängerinnen formte, Noten schrieb, für Chortreffen probte.

Das Mädchen wurde älter. Und begann zu rechnen: 23 Jahre lagen zwischen ihnen. Unmöglich, dachte sie. Und dann war es doch möglich. Sie heirateten, bekamen drei Söhne, sie zogen nach Kaulsdorf. Dort, im neuen Pionierhaus, baute Klaus Kühling einen Kinderchor auf.

Es kam die Wende, und aus dem Musikpädagogen, Gesangslehrer und Chorleiter wurde ein Erzieher ohne Abschluss mit entsprechender Bezahlung. Er kämpfte zusammen mit den Eltern und durfte bleiben. Erweiterte den Kinder- zu einem Jugendchor. Entfachte immer wieder das Glück, das beim Singen entsteht.

Der Chor reiste nach China und nach Rom. Sein Herz war da schon angegriffen, vermutlich von der Chemotherapie. "Ich möchte im Petersdom singen“, hatte er nach seiner überstandenen Krebserkrankung gesagt. Er reichte die Lieder ein, auch ein lutherisches. Und dann standen sie in der pompösen Basilika und sangen die Pilgermesse.

Im März dirigierte er sein letztes Konzert in der Philharmonie. Schnell hatte er noch den Schlips zu Hause in seine Tasche gesteckt und war im Kammermusiksaal auf die Bühne gelaufen. Als er die Arme hob und das erste Lied anstimmte, bemerkte er, dass der Schlips noch in der Garderobe lag. Er senkte die Arme erst wieder nach dem letzten Lied. Und im Saal rauschte der Beifall. Tatjana Wulfert

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