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Berlin: Louis Busman (Geb. 1944)

Rätsel, in denen er sprach, entwirrten sich erst später. Oder nie

Louis und seine Frauen. Papa- Lou nennt er sich manchmal. Klingt nach Balu, dem „Dschungelbuch“-Bären. Louis mag Kinderbücher sehr. Er schreibt und zeichnet selber ein „Trostbuch für kranke Kinder“. Und er liebt Comics. „Tim und Struppi“, sämtliche Abenteuer.

Louis erlebt selber Abenteuer. Sehr stille zumeist. Als er an einem Kratersee in San Salvador bei der Arbeit gestört wird, durch einen Gitarrenspieler, kauft er diesem die Gitarre ab. Fortan schleppt er das Instrument mit sich herum, bis nach Berlin. Der Taxifahrer fragt ihn, ob er Künstler sei. Louis antwortet: Ja. Er neigt nicht zum Plaudern.

Mit seinen vier Frauen, der Ehefrau Sabine und den drei Töchtern, braust er durch die Landschaften der Kontinente. Patagonien–Namibia–Panama. Panama– Namibia–Patagonien. Louis ist ein reisender Landschaftsmaler. Er trägt Graubart, Nickelbrille und ein tief in der Seele gründendes Lächeln. Man nennt ihn den fliegenden Holländer.

Seine Frau arbeitet bei Lufthansa, das erleichtert einiges.

„Büsche–Bäume–Pampa, Büsche–Bäume–Pampa, dann wieder Pampa, Büsche, Bäume“, so war das, wenn sie durch eine Louis-Landschaft fuhren, erinnert sich Tochter Valerie. „Kinder, schaut doch mal!“, ermahnte Louis immer wieder. Sahen sie denn nicht, was er sah? Plötzlich das Kommando: „Sabine! Foto!“ Sabine trat auf die Bremse. „Zurück, zurück!“ Pampa–Büsche–Bäume. „Halt!“

Louis macht ein Foto, eines von vielen, aus denen er später seine Bilder komponiert. Acryl auf Leinwand, kräftige Farben, viele Steine und Grasbüschel, manchmal ein Torpfosten, mal ein Vogel. Selten Menschen. Es gibt Bilder, auf denen nur Steine zu sehen sind. Oder nur Grasbüschel. Sozialkritische Bilder, „mit Blinden, Alten, Armen, Beinen und Brüsten“ hat er früher mal gemalt; lange her.

Wenn er in der Pampa einen Ort findet, der nach einem Aquarell verlangt, bittet er seine Frauen, ihn auszusetzen und später wieder abzuholen. Dann geht er umher, setzt sich hin, schaut und fängt an zu malen. Es kommt vor, dass am Horizont eine Staubwolke aufwächst, näher kommt, sich als Schleppe eines einsamen Autos entpuppt, das neben seiner Staffelei anhält. Der Fahrer fragt, ob er ihn mitnehmen soll. Louis sagt: „Ich arbeite hier.“ Mehr passiert nicht.

Seine Landschaftsbilder: „Fernweh für die Wand“. Betrachter seufzen: „Ja, genau so“, dabei haben sie es genau so noch nie gesehen.

Mit dem Wasser tut er sich ein wenig schwer. Das Kappelige der Wellen, die Lichtbänder der Sonne, das Durchsichtige, alles entgleitet ins große Blau. Da heuert er auf dem Minensuchboot Pegnitz an und schaut tagein, tagaus aufs Wasser. Anschließend kann er es malen.

Louis sammelt Steine. Achat und Amethyst, Pfeilspitzen, Versteinerungen, Lavakugeln. Manche sehen aus wie Nougatpralinen. Jeder Stein ist einzigartig, sagt Louis, jeder Kieselstein wertvoller als ein Diamant. Die Steine liegen in seiner großen Wohnung am Lietzensee in Gläsern, Schubladen, Kästchen und Schalen. Von dort sind jetzt einige wieder in eine Landschaft zurückgekehrt, an einen Ort, den Louis’ Freunde für sie ausgesucht haben. Das hat er sich so gewünscht. Den Staub und die Asche, zu denen er wieder wurde, haben seine Frauen in den holländischen Dünen verstreut. Auch das war sein Wunsch.

King Louis, noch eine „Dschungelbuch“-Adaption. „Er war ein König, zu dem man sich setzen konnte, und ohne ein Wort gewechselt zu haben, fühlte man sich verstanden“, erzählt Tochter Diana. Louis vermochte, in Rätseln zu sprechen, die sich erst später im Kopf des Zuhörers entwirrten. Oder nie.

Das Rätselbild „Helmstedt“, vollgepackt mit Akten, hatte es Manfred Krug angetan. „Man sieht, wie schwer Papier ist.“ Krug lernte Louis in DDR-Dissidentenkreisen kennen. Als Holländer ging ihn die DDR eigentlich nicht viel an. Er besuchte regelmäßig eine alte Dame in Pankow, bei der auch Havemann und Biermann verkehrten. Für Havemann schmuggelte er Manuskripte in den Westen, versteckt in seiner großen Arbeitsmappe. Erwischt wurde er nie, aber beobachtet, als er die Schmuggelware im Westen ablieferte. Louis bekam Einreiseverbot.

Ein Louis-Bild, darauf war er schon mächtig stolz, kaufte die holländische Königin Beatrix. Als guter Untertan hörte er den ganzen Tag holländisches Radio beim Malen. Oder Herman van Veen. Manchmal auch argentinischen Tango. Oder Grönemeyer.

Sein Vater, Schuldirektor, hatte ihm aufgetragen, einen richtigen Beruf zu lernen. Also wurde er Lehrer, unterrichtete ein paar Monate – und kündigte wieder, um Malerei zu studieren. Ab 1965 verbrachte er seine Ferien in Berlin, lebte in einem Studentenwohnheim, zeichnete Porträts für den Gegenwert eines Mittagessens, lernte Sabine kennen, seine spätere Frau. 1971 verlegte er seinen Wohnsitz nach Berlin. Hier fand er das Abseitige und Unperfekte, was ihm in Holland fehlte.

Wenn Sabine arbeitete, kümmerte sich Louis um die Kinder, kochte Mittagessen, brachte sie zum Arzt. Die wartenden Mütter ließen ihn immer vor, weil sie dachten: „Oh je, der Arme, seine Frau ist bestimmt krank.“ Gutes Essen und Trinken war ihm wichtig. Und Freunde empfangen. Louis nahm sich immer so viel Zeit, wie es eben dauerte.

Als die Krebsdiagnose kam, blieb er ruhig. Er werde einfach alles tun, was der Arzt ihm sagt. Wie sollte er sonst noch Zeit zum Malen haben? Nie wäre er auf den Gedanken verfallen, damit aufzuhören.

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