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Berlin: Manfred Rosenstrauch (Geb. 1931)

Nichts, wovor er Angst hatte, ausgenommen Vereinnahmung

Ein wildes, freies Leben wollte er führen, die Songtexte von Frank Sinatra und Nat King Cole waren ein Versprechen. Fly me to the moon. Entsprechend sein Auftreten, bis zum Schluss: immer gepflegt und charmant, umgeben vom Duft des Pino Silvestre Parfums, kreiert im Jahr 1955. Die Frauen liebte er, konnte nicht ohne sie leben und schon gar nicht mit einer einzigen. Something in your eyes was so inviting.

Obwohl er es wirklich versucht hat. Mit der Berliner Sängerin Ina Bellé wagte er Ende der Fünfziger die Ehe. Brigitte Mira war Trauzeugin. Sieben Jahre ertrug Ina seine Flirts und Affären, dann verlangte sie die Scheidung. Er schaffte es, der Unterhaltszahlung zu entkommen. Verpflichtungen jeglicher Art verabscheute er.

Trotzdem heirateten die beiden in den Siebzigern noch mal, und wieder hielt die Ehe sieben Jahre, wieder kam er schuldfrei durchs Scheidungsverfahren und musste nichts bezahlen. Ab und an half er Ina trotzdem, lud sie zum Essen ein oder schenkte ihr etwas.

Für sich selbst hatte er stets genug Geld. Reisen, Oldtimer, ein neuer Mercedes, Geschenke an Freunde und verehrte Damen, all das war drin. Die Sinnlichkeit des Bonvivants paarte er mit der Großzügigkeit des Gentleman und dem Ehrgeiz des Leistungssportlers, auch beruflich.

So begann er: Konditorlehre, dann Wechsel in die Textilbranche zum Marketing. Aus dieser Zeit stammt sein Faible für gute Stoffe. Gelegentlich prüfte er die Garderobe von Bekannten oder Unbekannten, betastete sanft ihre Kleidungsstücke und gab Auskunft über die Qualität des Materials. Außerdem spielte er noch Tennis und segelte auf dem Wannsee. Mit Anfang 20 hatte er sich mal als Preisboxer verdingt.

Es schien nichts zu geben, wovor er Angst hatte, ausgenommen Vereinnahmung. Und Ruhe. Aber die hatte es noch nie gegeben. Als sogenannter „Halbjude“ war er knapp den Nazis entkommen. Seinen Vater hatten sie als „jüdischen Kommunisten“ eingesperrt, und Manfred war mit seiner Mutter bei verschiedenen Berliner Freunden untergekommen. Bis zur dritten Klasse hatte er die Schule besucht, um danach in ganz Berlin von Versteck zu Versteck zu ziehen, bis die Befreier kamen. Danach wollte er nie wieder abhängig sein oder sich einsperren lassen. A Ramblin’ Rose.

Als Rentner trat er in Schulen als Zeitzeuge auf, erzählte immer wieder, dass er die Deutschen keineswegs hasse. Es waren schließlich Deutsche, die ihn vor den Nazis beschützt und seiner Familie nach dem Krieg geholfen haben. Damit meinte er vor allem die Leonhardts. Sie hatten Manfreds Vater Paul Rosenstrauch, der seine Haft überlebt hatte, unterstützt. So konnte der Vater schließlich einen rentablen Garagenhof in der Emser Straße betreiben. Manfred blieb mit den Leonhardts in Kontakt und saß, nachdem er selbst in Rente gegangen war, jeden Tag ab sechs Uhr als eine Art Mädchen für alles in deren Firmenbüro. Für den Chef, Kurt Leonhardt, war er Chauffeur.

Aber Opa Rosi, wie er mittlerweile genannt wurde, war nicht nur für die Leonhardts da, sondern für jeden, der um Hilfe bat. Die Leute liebten ihn, besonders ein Ehepaar, das er bei Leonhardts kennengelernt hatte und das für ihn zur Ersatzfamilie wurde. Sie zogen in sein Haus in der Sächsischen Straße, fuhren mit ihm in den Urlaub, aßen jeden Samstag mit ihm. Und als sie eine Tochter bekamen, hatte er ein Enkelkind, das er verwöhnen konnte.

Kürzertreten kam überhaupt nicht infrage. The greatest thing you’ll ever learn is just to love and be loved in return. Da waren immer noch die Frauen, die Autos und der Swing, der die Motoren übertönte. Dabei träumte er von Marilyn Monroe und Jane Russell auf der Rückbank.

Im Kuchel-Eck spielte Manfred Skat und gewann nicht selten das Geld fürs nächste Drei-Gänge-Menü. Abends saß er gern in der Bar 47 in der Fasanenstraße. Und verschwand aus den Geselligkeiten schnell und unauffällig, ohne Abschied, wie auf der Flucht.

An einem Samstag Ende Juli war er zum Essen verabredet. Er stieg oben in den Fahrstuhl und kam unten tot an. Ein Herzinfarkt hat sein Leben beendet. Allein, unterwegs. Maria Hufenreuter

Maria Hufenreuter

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