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Berlin: Marietta Jadamowitz (Geb. 1947)

Als die „Marie Claire“ anrief, hat sie einfach wieder aufgelegt

Alles wird infrage gestellt! Das gilt für mein Leben und für meine Malerei.“ Schon als Kind zeichnete sie gern. Das Haus, die Schule, die kleine Schwester, drei Jahre jünger, für die es qualvoll war, Modell zu sitzen, zumal sie das fertige Bild nie sah, weil Marietta es wütend zerriss. Sie zweifelte an sich. Als sie ihrem Vater, der sich nur selten blicken ließ, mit 13 ihren Wunsch anvertraute, Malerin zu werden, blockte der ab: „Damit lässt sich doch kein Geld verdienen.“

Sie ging von der Schule, lernte Rechtsanwaltsfachangestellte und hasste den Beruf vom ersten Tag an. Mit 19 wurde sie Mutter, den Vater des Kindes ließ sie leichten Herzens ziehen. Das Gerede in der Kleinstadt war ihr egal. Ihr Vater war ja auch nicht bei der Familie geblieben. Einige Jahre später hat sie dann doch noch geheiratet, aus Liebe, aber der neue Mann war ein Spieler, der über die Jahre hinweg alles verzockte.

„Es geht für mich immer wieder um den Prozess des Aufbaus und der Zerstörung.“ Sie ging nach Berlin, holte ihr Abitur nach und fand Arbeit in einem feministischen Anwältinnenbüro. Endlich ein sinnvolles Tun. Endlich eine Liebe, die ihr Geborgenheit gab. Sie lernten sich im Büro kennen: Doris in Parka, Cordhose und Birkenstock traf auf Marietta in roter Lederhose, Trenchcoat und einer schützenden Wolke von Moschus. Sie wurden ein Paar, das alle Schicksalsproben überstand.

Marietta erkrankte an Krebs. „Wie es ist, bleibt es nicht.“ Sie nahm die alte Singer-Nähmaschine wieder in Betrieb, stellte einen großen Tapeziertisch im Wohnzimmer auf und erklärte ihr Modestudio als eröffnet. Doris staunte, wie Marietta in kurzer Zeit eine ganze Kollektion auf die Beine stellte. Auf die Beine ihrer Freundinnen, die ihren Spaß mit der Persiflage aufs Hinterngewackel und Stöckellaufen der Haute Couture hatten. Die Modenschau kam an, eine kleine Werkstatt wurde gemietet, die Fachwelt horchte auf, aber als die Frauenzeitschrift „Marie Claire“ anrief, hat sie einfach wieder aufgelegt. 20 Kollektionen wurden in ihrem kleinen Betrieb fertiggestellt, das Auftragsbuch war voll bis zum Schluss, aber sie war keine Geschäftsfrau. Betriebswirtschaftlich war es eine Art Geldumverteilung ohne konkrete Gewinnerwartung.

Gesundheitlich war es Raubbau. Immer wieder litt sie unter Rheuma- schüben. Und wieder Krebs. Sie wusste, es half nur ein Neuanfang mit der Malerei. Sie versuchte sich in vielen Stilen, vielen Techniken, zu Hause im Atelier, gemeinsam mit verschiedenen Lehrerinnen, bis sie ihr künstlerisches Zuhause fand. Im Juni 2009 wollte sie sich in der Berliner Akademie für Malerei als Studentin einschreiben. Ein spätes Studium. „Aber Umwege gibt es nicht für mich, ein Weg ist ein Weg, kurz oder eben lang.“ Im Mai wurde ein Darmkarzinom entdeckt. Im Herbst begann sie mit der Ausbildung, sie wusste, das Malen würde sie heilen, wenn nicht den Körper, so die Seele.

Dann 2013 die erste Metastase im Kopf, 2014 die nächste, wieder eine Operation, sie konnte nicht mehr lesen danach, nicht mehr schreiben, die dritte Metastase im Juli dieses Jahres. Sie wollte nicht sterben. Auch wenn sie wusste, dass es daheim geschehen würde, im eigenen Bett, die Tochter und Doris an der Seite.

Sie wollte nicht sterben, ohne ihren Abschluss an der Akademie geschafft zu haben. Zwei Kommilitoninnen halfen ihr bei der Abschlusspräsentation, ein kleiner Film mit Tangomusik unterlegt, der sie bei der Arbeit zeigt. Das Anrühren der Farben, das prüfende Verstreichen, mit breitem Pinsel energisch über die Leinwand, der Kater Leo wachsam dabei. „Was empfindest du, wenn du malst?“ – „Ich bin sehr glücklich darüber, die schlechten Gefühle sind weg.“ – „Sprichst du mit deinen Bildern?“ – „Ja, viel, sehr viel! Auch böse, sehr böse!“ – „Und antworten sie?“ – „Ja, die antworten!“ – „Gibt es ein Lieblingsbild?“ – „Na ja, die letzten immer!“

„Ein letzter Satz?“ – „Schön, die Jahre gehabt zu haben.“ – „Sonst noch was?“

Statt einer Antwort bekam die Fragerin ein Lächeln, eins, das den Raum erhellte. Das schönste Bild, das von ihr bleibt.

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