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Burkhard Strauß (1954-2015)

© privat

Nachruf auf Burkhard Strauß (Geb. 1954): Sachwalter des Glücks

Es gab Momente, da glaubte er, in einen Abgrund zu rutschen. Zweimal rettete ihn das Amt mit seinen Sachbearbeiterinnen. Der Nachruf auf einen Mann mit festem Rahmen.

Burkhard war Einzelkind, der Vater fast immer auf Montage in Westdeutschland oder weit entfernten Ländern wie Montenegro oder Chile.

Umso mehr Wert legte der Sohn auf Verbindlichkeit. Saß er nicht gerade mit seiner Mutter am Esstisch, fand man ihn auf der Straße beim Spiel mit den anderen Kindern der Reinickendorfer Arbeitersiedlung. In diesem Bezirk würde Burkhard wohnen bleiben, sein Leben lang.

Kaum das Abitur in der Tasche, heiratete er seine Jugendliebe, machte eine Ausbildung zum Verwaltungsbeamten, bekam zwei Kinder und fand Arbeit im Sozialamt Reinickendorf.

Einen festen Rahmen zu haben hieß ja nicht, dem Leben fern zu sein. Im Gegenteil, Tag für Tag kam es zu ihm in die Amtsstube, nicht selten in seiner elendsten Gestalt: beschämte Alte, denen er ans Herz legen musste, Geld für einen neuen Wintermantel zu beantragen, Sozialhilfeempfänger der dritten Generation, denen er einen Antrag auf einen Wäschetrockner ausreden musste, ganze Armeen von Alkoholikern.

Was auch immer geschah, Herr Strauß blieb ruhig und sachlich, tat was getan werden musste und ließ die Geschichten feierabends zusammen mit den gespülten Kaffeetassen im Büro. Er war zufrieden und fand, so könne es ewig weitergehen.

Völlig unverhofft zerbrach seine Ehe. Ein paar Momente lang glaubte er, in einen Abgrund zu rutschen, war empört, traurig, verzweifelt.

Es rettete ihn das Amt mit seinen vielen Sachbearbeiterinnen. Burkhards Wahl fiel auf Tanya,17 Jahre jünger und gebürtige Texanerin.

Von ihr ließ er sich mitnehmen auf Reisen durch die Vereinigten Staaten, und siehe da, sein neues Leben gefiel ihm noch viel besser als das alte. Er erklärte sich zum USA-Fan und feierte die populären Stimmen dieses Landes, ZZ Top, Bryan Adams, am allermeisten aber Bruce Springsteen. Man traf den großen, schweren Beamten jetzt bei „Rock im Park“ oder in der Zitadelle Spandau, aus voller Kehle mitsingend: „Glory days“.

Und wieder fand er, so könne es ewig weitergehen.

Tanya aber wollte Kinder, eigene. Er nicht. Seine beiden aus der ersten Ehe liebte er; sie genügten ihm.

Auch diese Liebe zerbrach. Wieder dachte er für ein paar Momente, in einen Abgrund zu rutschen, und wieder rettete ihn das Amt.

Der Amtsleiter Jug VIII Burkhard Strauß und die Gruppenleiterin Jug 870 Claudia Schütz, deren Ehe gerade zu Ende ging, standen nebeneinander an der Spüle, als sie ihn launig fragte: „Könnten Sie sich etwa vorstellen, noch einmal zu heiraten?“ – „Sie schon, Frau Schütz.“

Sie trauten sich auf einem Dreimaster zur Stunde des Sonnenuntergangs am Südzipfel von Florida. In Claudias Brust klopfte ein ähnlich amerikanisches Herz, sie schloss sich seinen Reisen und Konzertbesuchen an, Tanya wurde eine gemeinsame Freundin. Neu und beglückend in Burkhards Leben waren Claudias rasante Art, ihr Motorrad und ihre Ärzte-CDs.

Sorgfältig verwalteten die beiden ihr Glück: einmal, höchstens zweimal im Jahr nach Amerika, freitags in die Sauna, samstags eine Rose, am Kennenlerntag Anschauen des ersten gemeinsam besuchten Kinofilms „Die Brücken am Fluss“.

So hätte es ewig weitergehen können. Die Ärzte aber diagnostizierten Krebs. Er war empört, er weinte. Dann beschloss er, ebenfalls einen Motorradführerschein zu machen, fuhr mit Claudia auf den Platz vor dem Olympiastadion, stellte Tupperdosen auf und übte Slalom.

Brauste schließlich auf einer Harley über die Golden Gate Bridge, folgte Bruce Springsteen auf seiner Tour und sang mit: „Glory days“.

Drei Jahre blieben ihm nach der Diagnose, nur acht Tage war er bettlägerig. Seine Katzen Kennedy und Marilyn wichen in diesen letzten Tagen kaum von seiner Seite. Zur Sterbestunde aber standen sie an der Schwelle und wagten es nicht, diese zu übertreten. Ein Burkhard Strauß, der Reinickendorf für immer verlässt, war ein Fremder.

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