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Berlin: Susanne Köhler (Geb. 1943)

Und dann wird ihr langweilig

Ihre Knie sind weich, ihr Herz klopft bis zum Anschlag. Suse ist 14 und hat sich die beste Strickjacke ihrer Mutter ausgeliehen, eine Rose gekauft und wartet mit 600 Fans am Kai in Bremerhaven auf den King. „Sie winkten mit beiden Armen, zappelten mit den Beinen und schrien im Chor ,Elvis, Elvis!’ “, berichtet die Nordsee-Zeitung am Tag danach, dem 2. Oktober 1958. Doch die US-Army gewährt dem Gefreiten Elvis Aaron Presley keinen Sonderstatus. Er darf keine Blumen annehmen und singen schon gar nicht. Suse zieht mit der Rose ab. Immerhin hat sie den King gesehen.

Ein paar Jahre später verliebt sich Suse in einen GI, eine Episode, aber ab jetzt gewinnt ihr Leben Fahrt und Rock ’n’ Roll. Ein Foto zeigt eine bildhübsche Brünette mit Bob und einem Gesicht wie die junge Jodie Foster, flankiert von zwei Männern, die sie anschmachten.

Suse wird Kinderkrankenschwester, hält es aber nicht lange in dem Beruf aus. Sie schlägt sich mit Bürojobs durch und verkauft Lose. Beim Losverkauf lernt sie Karl Eggert kennen, Millionär und 30 Jahre älter als sie. Er besitzt ein Wettbüro in Braunschweig und einige Hektar Land und kleidet sich wie ein englischer Landadliger. Auch Suse gefällt es plötzlich, in Reithosen und schicken Blusen durch Bremerhaven und Braunschweig zu stolzieren. Sie liebt den großen Auftritt, die dramatische Geste, steht lässig da mit Zigarette in der Hand, und hat sofort eine Menschentraube um sich herum, egal, wo sie hinkommt.

Vier Jahre verbringt sie mit ihrem Sugar Daddy, er zeigt ihr die große Welt. Und dann wird ihr langweilig. Es ist sind die ausgehenden Sechziger, Summer of Love, das bekommt man auch in Bremerhaven, Braunschweig und Hannover mit. Auch dort gibt es Hippies, APO, Kommunen, Joints. Man politisiert, kifft, tanzt zu den Woodstock-Hits. Und Suse mittendrin. Sie ist jetzt eine Linke und bleibt es, ihr Leben lang.

1970, eine Kneipe in Hannover. Auftritt Suse mit irgendeinem Italiener im Schlepptau. Der Berliner Kameramann Michael Köhler sitzt am Tresen und denkt: „Wow, was für ’ne Frau!“ Sie flirtet auf Teufel komm raus mit ihm. „Die hat mich regelrecht abgeschleppt“, erinnert er sich. Und wird ihr Mann fürs Leben. Die Drama Queen wird ihn ihren „Zirkusdirektor“ nennen.

Sie geht mit ihm nach Berlin, er verlässt seine Trotzkisten-WG und zieht mit ihr in eine Anderthalbzimmerwohnung am Columbiadamm. Suse arbeitet als Sprechstundenhilfe und singt im Kreuzberger Damenchor. Ein Dutzend Frauen mit schrägen Hüten, die durch die Kneipen ziehen und 20er- Jahre-Schlager trällern.

Das „Cabarett des Westens“, „CaDeWe“, formiert sich gerade neu, als sie dazustößt. „Sie war die geborene Kabarettistin, eine Type, immer voll da“, erinnert sich der Pianist der Truppe. Suse als Frau Dr. Nölle in Kittelschürze, als düstere Bestattungsunternehmerin Grabowski, als sowjetische Agentin Frau Moskwitsch, als Punk mit Kajal und Hundehalsband. „Die einzige Frau, die wir nehmen würden, wärst du“, sagen „Die 3 Tornados“, doch sie bleibt beim „CaDeWe“. Die Vorstellungen sind ausverkauft, die Truppe ist berühmt, nicht nur in Kreuzberg. Dominique Horwitz, damals noch ein Unbekannter, ist mit von der Partie.

Sie spielen jeden Tag, gehen für acht Wochen im Jahr auf Tournee. Sechs Jahre ist Suse dabei. 1985 löst sich die Truppe auf. Ein spektakulärer Showdown im „Quartier Latin“. Sie schreiben Einladungskarten als Traueranzeige: „Als die Kraft zu Ende ging, war’s nicht Sterben, war’s Erlösung.“

Für Suse endet die große Zeit ihres Lebens. Ein Brusttumor wird entdeckt und operiert. Sie mischt noch ein bisschen im BKA-Theater mit, tritt in Ades Zabels Show „Der große Preis“ auf.

Sie stürzt mit dem Fahrrad, der Bruch wird falsch behandelt. Suse verklagt das Urban-Krankenhaus und die Stadt Berlin und gewinnt. Dann kommt ein Hüftleiden. Sie schafft es nicht mehr aus dem dritten Stock nach unten. Ein Unding! Und dann auch noch der Lungenkrebs. Natürlich kämpft sie, was sonst? Ein halber Lungenflügel wird entfernt. Chemotherapie. Sie schreit sich die Seele aus dem Leib, als sie mitbekommt, dass man sie windelt. Am Schluss hilft nur noch Morphium, immer mehr. Suse ist 72 und will zu Hause sterben. So hat sie es mit Michael ausgemacht. So geschieht es. Carmen Gräf

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