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Berlin: Thomas Hailer (Geb. 1945)

"Ich bin schwatzhaft, temperamentvoll, aber nicht schrullig"

Eines Tages ist es eben vorbei. Eines Tages muss ein Schauspieler erkennen, dass seine Zeit als knabenhafter Held abgelaufen ist. Gefärbtes Haar und Wangenrot können nur noch für einen Moment über das tatsächliche Alter hinwegtäuschen. Thomas Hailer nahm den schleichenden Verfall mit der einzig würdevollen Haltung, mit Humor: „Ich merke, dass ich immer ältere, schrulligere Menschen zu spielen habe.“ In den „Zwölf Geschworenen“ im Berliner Kriminal-Theater gab er einen in die Jahre gekommenen Herrn, in „Arsen und Spitzenhäubchen“ gleich vier Charaktere, einen Pfarrer, einen Nervenarzt, einen einfältigen Polizisten und einen alten Mann. „Bist du selbst schrullig?“, wurde er einmal gefragt und antwortete: „Nein. Ich bin schwatzhaft, temperamentvoll, aber nicht schrullig.“

Nachdem er in Kassel Ende der Neunziger die Hauptrolle in „Die Nervensäge“ gespielt hatte, wurde ihm dort die Inszenierung dreier Stücke angeboten. „Ich kann nur Komödien“, sagte er und zeigte, dass er das tatsächlich konnte, das Publikum schlug sich auf die Schenkel. Oder einige Jahre zuvor, sein Doktor Bessner im „Tod auf dem Nil“: Er hatte die Rolle des österreichischen Arztes im vogtländischen Singsang angelegt.

An der Leipziger Theaterschule hatte er zig Stunden geübt, um das A und das O sauber hinzubekommen. Er wusste ja zeitig, wie die deutsche Hochlautung klingt, war schon früh regelmäßig ins Plauener Theater gefahren. Seine Mutter, eine Schneidermeisterin, mochte die Vorstellung eines Boheme-Daseins, zum Frühstück, ihr Sohn war 13, tranken sie zusammen Kaffee und rauchten dazu eine Zigarette.

Seine ersten Auftritte hatte Thomas in Altenburg, in Weimar und auf der Felsenbühne Greifensteine, wo er im „Armen Konrad“, an ein Rad gebunden, einige Unfälle überstand. Aber er war jung und kühn. Und auch, als die Jugend längst dahin war, stieg er im Schwimmbad aufs Zehnmeterbrett, rief ein fröhliches „Hallo“ hinab zu seinem Mann und sprang.

Die Provinztheater waren eine gute Schule, und Mitte der Siebziger kam der erhoffte Ruf nach Berlin: Walter Felsenstein, der Begründer der Komischen Oper, holte ihn. Ein Glücksfall, die Aussicht auf Entfaltung seines Talentes und auf den Applaus des hauptstädtischen Publikums. Doch schlug der Enthusiasmus schnell um, nur sechs Monate nach seiner Ankunft starb Walter Felsenstein.

Thomas blieb die Liebe zur Musik, zu Wagner vor allem. Nach der Wende, endlich, konnte er nach Bayreuth, auf den grünen Hügel. Auf die Frage, ob er Wagnerianer sei, sagte er: „Vielleicht ein Wagnerianer-Eleve.“ Dabei gehörte er nicht zu den Uneitlen. Trat er, während einer Tournee, mit einer roten Hose aus seinem Hotelzimmer und sah, dass ein anderer ebenfalls eine rote Hose trug, ging er auf der Stelle zurück und zog sich um.

„Zum ersten Mal getroffen habe ich Thomas in einem Café an der Schönhauser Allee“, erzählt Wolfgang Asch, sein Mann. „Er sah aus wie ein Junge. Ich hatte eine Annonce von ihm in der ,Wochenpost‘ gefunden, nur zu entschlüsseln von Eingeweihten.“ Sie zogen zusammen, sie fuhren an die Märkischen Seen und nach Hiddensee, „unsere Insel, unsere Flucht“, später nach Sylt und an den Ammersee. Wolfgang lief auch nicht weg, als Thomas mit dem Trinken begann. Thomas spielte ja weiter – auch wenn man ihn manchmal aus der Kneipe holen musste –, immer öfter in Lustspielen, im alljährlichen Silvesterschwank „Ferienheim Bergkristall“. Wolfgang setzte sich mit ihm in die Therapien, bis er trocken war.

Die Regisseure entdeckten für Synchronisationen seine variable, markante Stimme. Er aber sagte: „Wenn ich mich irgendwo höre, mache ich sofort aus.“ Viele schalteten gerade ein. Oder besuchten seine Lesungen mit Texten von Strittmatter und Kästner.

In einer Rolle noch wäre er gern aufgetreten, im „Revisor“ von Gogol, der Komödie um einen Mann, der von den Leuten für einen anderen gehalten wird und das Spiel mitspielt.

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