Berlin: Ursula Lachnit-Fixson (Geb. 1931)
Ihre Abteilung bestand fast nur aus Frauen, den „Sex Sisters“
Es war ein Freitagnachmittag, die Arbeit war getan, da traf sich die Sexgruppe wie üblich zum Stelldichein bei Kaffee und möglicherweise einem Glas Sekt. Alle Damen waren da, nur die Chefin fehlte.
Das war nicht ihre Art. Und ihre Schuld schon gar nicht: Sie steckte im Fahrstuhl fest. Es dauerte nicht lange, bis die Kolleginnen ihre Chefin fanden, denn sie machte sich laut bemerkbar. Es gelang, die Tür zum Schacht zu öffnen, der Fahrstuhl steckte aber etwas tiefer. Man hätte sie hoch- und hinausziehen können, sie war klein und zierlich. Aber sie war halt auch die Chefin, auf das Hilfeangebot entgegnete sie: „Ich habe Prokura!“ Das sah eine jede der Umstehenden sofort ein, eine Dame mit Verantwortung lässt sich nicht aus einem Fahrstuhl ziehen. Sollte der Mechaniker gefälligst herankommen.
Als er dann da war und der Fahrstuhl sich bewegte, stellte sich heraus, dass die Chefin nicht allein festgesteckt hatte. Da war noch ein Herr in der Kabine, der allerdings von ihrer resoluten Art so eingeschüchtert war, dass er keinen Ton von sich gegeben hatte.
Mag sein, dass die Herren im Vorstand der Schering AG ihr resolutes Auftreten fürchteten und sie deshalb nicht zu sich beriefen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie eine Frau war, und die Männer meinten, als solche dürfe sie gern die Sexgruppe leiten aber doch auf keinen Fall der Führung eines Dax-Konzerns angehören. Oder sie hatten Angst vor ihrem Sachverstand. Selbst Fachmänner kamen selten in den Vorstand.
An der Bezeichnung „Sexgruppe“ für ihre Abteilung konnten nur Ahnungslose etwas Anzügliches finden. Die elegante, eher unnahbare Ursula Lachnit-Fixson leitete seit den sechziger Jahren bis in die neunziger die wohl wichtigste Abteilung des Pharmakonzerns in Wedding, nämlich jene, die für die hormonellen Verhütungsmittel zuständig war, die Pille. Seit 1961 stellte Schering das Präparat her, seit 1963 war Ursula Lachnit-Fixson dafür verantwortlich. Die erste Pille hieß Anovlar und wurde noch als Medikament zur Regulierung des Monatszyklus verkauft. Die empfängnisverhütende Hauptwirkung wurde verschämt unter den Nebenwirkungen aufgeführt.
Dass es gelang, die tatsächlichen Nebenwirkungen neuer Präparate zu mindern – und dass Schering damit Milliardengewinne machte, war zu einem guten Teil das Verdienst von Ursula Lachnit-Fixson.
Ihre Abteilung bestand fast nur aus Frauen, drum nannte man sie auch die „Sex Sisters“. Im Gegensatz dazu arbeiteten in der „Neuropsycho“-Abteilung, die Medikamente gegen Nervenleiden entwickelte, fast nur Männer. Nicht dass Ursula Lachnit-Fixson aus feministischen Gründen Frauen bevorzugte, das ganz bestimmt nicht. Wenn sie lieber Kolleginnen um sich hatte, dann wegen des einfacheren, weniger eitlen und konkurrenzhaften Umgangs. Jobs bei Schering waren ohnehin sehr begehrt; in der Sexgruppe waren sie es umso mehr. Aber Stellen wurden selten frei, da wer dort einmal war, gern blieb.
Was nicht hieß, dass die Chefin Privates mit ihren Mitarbeiterinnen teilte. Aber so viel Privates gab es wohl auch nicht. Mit dem Mann, dem sie den Namen Fixson verdankte, hatte sie nur kurz zusammengelebt. Die Fachtechnikerin in Sachen Familienplanung hatte sich selbst gegen eine Familie entschieden. Bei Rotweiß spielte sie Tennis, und dort, im Klub der Bessersituierten, gehörte sie auch einer Bridge-Runde an, so viel war bekannt. Enge Freunde gab es aber kaum.
Wohl auch deshalb hielt sie den Kontakt zu den Kolleginnen aufrecht, nachdem sie in Rente gegangen war. Einmal im Jahr lud sie sie ein. Ihrer Sekretärin von einst bot sie gar das Du an – was jener aber bis zum Ende merkwürdig erschien. Die Frau Doktor blieb Frau Doktor, die hochverehrte Chefin.