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Berlin: Nächtliches Tafeln auf dem Sonnendeck

In der Zagreus Galerie in Mitte werden Gäste auf einem Ausflugsdampfer verköstigt

Die Sonne ist längst untergegangen, der Ausflugsdampfer hat abgelegt, die Passagiere sitzen über Hamburger Krabbenbrot. Einer steht auf und will zur Toilette. „Sitzen bleiben, Meister“, brüllt es aus dem Lautsprecher. Ah, richtig, wegen der Brücken über die Spree. Doch der Mann geht trotzdem seines Weges und wird doch nicht vom Brückenbogen rasiert. Weil auch das Boot nicht echt ist, jedenfalls schwimmt es nicht und schon gar nicht auf der Spree. Die vermeintlichen Passagiere sind eine illustre Gesellschaft aus Künstlern und Bewohnern aus der Nachbarschaft der Galerie Zagreus in Mitte, die seit kurzem auf einem in den Ausstellungsraum eingebauten Ausflugsschiff zur großen Fahrt einlädt.

Der Künstler, der die original aussehenden dottergelb gestrichenen Bänke und Tische eingebaut hat samt der Reling und der Kombüse, heißt Pfelder. Er sorgt an diesem Abend dafür, dass die Gäste auf dem „Schiff“ sich wie auf einem echten Ausflugsdampfer fühlen.

Über eine Art Brücke gehen die Gäste an Bord, werden mit einem Glas Cavalier Brut begrüßt und dürfen sich auf die Bänke verteilen. Dann verschließt Pfelder die Tür zur Brücke, und das „Schiff“ legt ab. Während der Dieselmotor knattert, weht eine sanfte Brise. Die kommt aus einem Gebläserohr an der Decke. Peter Lichts Hit „Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf’m Sonnendeck – oder im Aquarium“, säuselt aus den Lautsprechern. Fast wird einem wehmütig ums Herz, so schön ist das.

Und dann geht es auch kulinarisch gleich gut los. Zunächst besagtes Krabbenbrot mit Feldsalat, dazu erklärt ein Kapitän die Stadt, mitgeschnitten auf einem der vielen Ausflugsdampfer auf dem Weg durch die Stadt. „Zur Linken sehen Sie die Charité, die wurde im 17. Jahrhundert zunächst als Pesthaus gebaut“, röchelt es undeutlich aus den Lautsprechern, während die Passagiere die Krabben gabeln. Aber so richtig hört sowieso niemand hin, schließlich ist man hier, um sich zu amüsieren. Nach dem Krabbenbrot gibt es Bodenseefelchen, mit Roter Beete, dazu reicht Galerist Uli Krauss eine gute Gutsabfüllung aus dem Rheinhessischen. „Das wäre prima, wenn es so was wirklich mal auf den Ausflugsschiffen gäbe, anstatt nur Bockwurst und Brot“, meint ein Gast. Und hat damit ein Anliegen des Künstlers getroffen. Natürlich geht es auch um das BergeVersetzen oder in diesem Fall Boote-Versetzen, um die Kunst, eine Situation in einen anderen Kontext zu stellen, das Umdeuten eines Raumes. Aber vor allem geht es auch ums Essen. Schließlich hat es Pfelders Galerist Uli Krauss mit der Kochkunst. Seit mehr als fünf Jahren schon sorgt er in seiner Galerie durch allerlei Installationen und Events internationaler Künstler rund ums Essen für Aufmerksamkeit. Flink wie ein echter Schwabe (was er auch ist) kocht, serviert und unterhält Krauss in der Kombüse an Bord. „Na, schaukelt’s schon?“, fragt er nach dem dritten Gang (Zander auf Sauerkraut, Rieslingsoße und Rotweinbutter). Einen kurzen Moment fühlt sich der Gast verschaukelt, aber am Tisch behauptet jemand allen Ernstes, erst neulich sei hier einer seekrank geworden. Das macht stutzig, und tatsächlich: Als die Autorin nach Mitternacht von Bord geht, schwankt der Boden merklich.

Zagreus Galerie, Brunnenstr. 9a, Mitte, Tel. 280 95 640, www.zagreus.net, Mi–Sa ab 20 Uhr, bis 17. November, nur nach Voranmeldung, Viergänge-Menü 25 Euro.

Christine Berger

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