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Berlin: Nägel mit Köpfen

"Das Loch habe ich schon gebohrt." Ein Satz mit Sprengkraft, eine Warnung, hinterhergerufen dem breitschultrigen Mann im blauen Kittel, der in den hinteren Räumen verschwunden ist.

"Das Loch habe ich schon gebohrt." Ein Satz mit Sprengkraft, eine Warnung, hinterhergerufen dem breitschultrigen Mann im blauen Kittel, der in den hinteren Räumen verschwunden ist. Tatsachen wurden geschaffen. Es gibt kein Herumdeuteln und schon gar kein Zurück mehr. Die passende Holzschraubendübelkombination für den Türgriffbeschlag, natürlich vernickelt, muss unbedingt gefunden werden. Der ältere Herr aus Schmargendorf, ein schlanker Hüne, lässt seinen Dachstuhl ausbauen, aber weil die Handwerker ja nur noch 80 Prozent der Arbeit machen, muss er wegen der restlichen 20 Prozent eben zu Adolph fahren, an den Savignyplatz, für vier Schrauben und vier Dübel.

Andere kommen aus Frohnau oder Steglitz. Oder sogar aus Spandau. Selbst dort gibt es keinen vernünftigen Eisenwarenhändler mehr, klagen Adolphs Kunden. Und der Herr Adolph, der gar nicht so heißt, sondern Savary, was ja auch viel schöner klingt, also der Herr Savary mit der klugen Lesebrille auf der mächtigen Nase greift sich dann an die Stirn und fragt, wie es zu diesem Notstand hat kommen können. Er zumindest versteht nicht, warum der Eisenwarenfachhandel überall wegstirbt, bloß weil ein Baumarkt nach dem anderen aufmacht. Jürgen Savary sagt über seinen Laden, den es schon seit 103 Jahren gibt, und den es noch sehr lange geben wird, weil ständig Betrieb ist und sein Sohn weitermachen will, also über seinen Laden sagt Savary senior, dass er 40 000 Artikel führt. So viel wie ein großer Baumarkt, nur mit dem Unterschied, dass er diese Artikel nicht einfach verkauft, sondern sorgsam einer sinnvollen Verwendung zuführt. Bei Adolph werden Nägel mit Köpfen gemacht. Man erhält nur das, was man wirklich braucht. Und keine Schraube mehr. C. Adolph am Savignyplatz ist eine Apotheke für Selbstschrauber und Bastelsüchtige. Wenn denen etwas fehlt, schütten sie auf Herrn Savarys messingbeschlagener Theke ihre Jackentaschen aus. Da kullern dann kleine Bolzen für Schrankscharniere und abgewetzte Schrauben im Kreis, und gemeinsam beugt man sich über Zettelschnipsel mit Zahlenkrimskrams oder miniaturisierte Bauanleitungen. Herr Savary oder einer seiner Mitarbeiter steigt auf eine kleine Leiter, zieht einen der Setzkästen aus der Wand, klappt die kleinen Holzflügel auf und rührt mit dem Zeigefinger ein paar Ersatzteile hervor. Die Kundin bleibt trotzdem unsicher, ob nun der etwas längere matte Steckbolzen der richtige ist oder der etwas kürzere glänzende, doch Savary weiß immer einen tröstenden Ausweg: "Nehmen Sie beide mit und bringen mir dann einen zurück."

Die Wand mit den Setzkästen gehört noch zur Originaleinrichtung von 1898. Einige Kästen stehen hochkant, andere quer, einige sind höher, andere flacher. Nichts ist genormt, doch alles fügt sich lautlos ineinander. Ein Möbel für die Ewigkeit. Auf Postkarten aus den 20er Jahren stehen junge Männer im dunklen Anzug und Fliege davor. Sie künden vom Respekt, den man den Eisenwaren und ihren Verkäufern damals entgegenbrachte. Bei Adolph hat sich noch ein wenig davon erhalten. Zwei Jahre braucht ein neuer Mitarbeiter, so schätzt Savary, bis er sich ins komplexe Verwahrsystem der Stifte, Muttern und Schalter eingefunden hat. Logistik ist hier noch reine Hand- und Kopfarbeit. Einen Computer gibt es nicht, weil Savary ihm nicht vertraut. Wenn ein Kunde anruft und nach 15 Millimeter starken Winkeln fragt, geht er ins Lager und guckt, wie viele noch da sind. Unterwegs kann er sich an diversen Anschlägen erkundigen, was sie wert sind, ausgedrückt in Mark und Heller.

Herr Savary und seine vier Angestellten sind aber nur der halbe Adolph. Die andere Hälfte, die Haushaltswaren- und Gartenabteilung entlang der Kantstraße, regiert seine Frau Veronika. Rein von der Warenfülle her könnte es Frau Savary glatt mit dem KaDeWe aufnehmen. Nur in den Bereichen Präsentation und räumliche Gliederung muss sie einen deutlichen Niveauunterschied eingestehen. Vieles ist im Dickicht der Töpfe, Schüsseln und Gummistiefel kaum zu identifizieren. Die Gartengießkannen stehen zwar frei, dem fragenden Kunden aber immer im Rücken. Überrascht dreht er sich um und sieht sie immer noch nicht. "Nach oben gucken." Tatsächlich, da stehen sie hübsch dunkelgrün und in der Reihe auf einem Regal knapp unter der Decke. Frau Savary pflegt bei allem Zwang zur modernen Küchen-Grundausstattung ihren Hang zur Puppenstuben-Romantik. Da finden sich ein Perlmutt-Eierlöffel, ein Kaviar-Besteck, eine Emaille-Schüssel mit Wasserkanne und eine eiserne Wärmeflasche. Besonders stolz ist Frau Savary auf ihren Bohnerblock und den Spinnwebenfeger, speziell für Ecken. Wo bekommt man sowas noch? Nicht zu vergessen: die Abteilungen Bühnenbedarf und Schlüsseldienst. Die Schlüssel hängen in einem Durchgang zur Toilette. Zum Boden hin werden sie immer älter und größer. Unten steht ein Pappkarton mit klobigen verrosteten Riesenschlüsseln.

Ab und zu kommt ein Kunde, der seinen Dietrich zum Keller verloren hat. Dann kramt Savary in der Kiste und gibt ihm ein paar Test-Exemplare mit nach Hause. Das ist tätige Nächstenliebe. Bis jetzt hat sie sich immer bezahlt gemacht.

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