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Natürlich Berlin! Auf jeden Fall Hamburg!: Olympia spaltet Harald Martenstein

Harald Martenstein ist Redakteur des Tagesspiegels – und Kolumnist der ZEIT. Jetzt ist er zerrissen: Er wirbt für Olympia in Hamburg. Und für die Spiele in Berlin. Ein Doppel-Plädoyer

Hamburg wäre die vernünftige Lösung. Welches Argument spricht im Moment am stärksten für Olympia in Hamburg? Das Argument heißt Berlin. Schaffen diese Berliner so etwas Kompliziertes wie die Spiele überhaupt? Das Flughafendesaster spricht dagegen. Sind die Berliner begeisterungsfähig genug? Um einen echten Berliner in fröhliche Raserei zu versetzen, muss man ihn festbinden, Salz auf seine nackten Fußsohlen streuen und eine Ziege holen.

Wird in Berlin die S-Bahn fahren? Kommt während der Spiele wieder mal ein Korruptionsskandal ans Licht? Wird das Auto irgendeines IOC-Chefs im Tiergarten gegrillt?

Vor allem, wohin mit den Dealern? Das sind Tausende, es gibt in Berlin wahrscheinlich mehr Dealer als Bauingenieure. Die Dealer könnten im Grunde ihre eigene Parallel-Olympiade austragen, im Langstreckenkoksen oder im Synchronkiffen ohne Steuermann. Die Dealer kann man vor den Spielen auch nicht einfach in Bussen in die Uckermark verfrachten. Das wäre illegal und ein unschönes historisches Zitat.

Hamburg wirkt, obwohl auch dort nicht immer alles klappt, solider. Die Infrastruktur funktioniert. Hamburg ist, im Großen und Ganzen, auch psychisch stabil. Wer an eine große Aufgabe herangeht, braucht Selbstbewusstsein, Hamburg hat es. Größenwahn dagegen ist, wenn es um schwierige Jobs geht, meistens von Schaden. Understatement gehört zu den in Hamburg verbreiteten Tugenden. Wenn Berlin und Hamburg Personen wären, und man würde einen Psychologen nach Olympia fragen – wer soll’s machen? Die Antwort ist klar. In Hamburg gab es die Spiele noch nie. Gerechtigkeit ist immer ganz wichtig – gerechter wäre es, die Spiele in eine Stadt zu holen, die sie noch nicht hatte. Spiele in Hamburg könnten einen unaufgeregten und gediegenen Touch haben, ohne Angeberei. Die Spiele sind Big Business, das kann man bedauern. Aber mit Big Business kennt eine Kaufmannsstadt sich aus, auch mit Dienstleistungen.

Olympische Spiele in Hamburg sind unter anderem deshalb wünschenswert, weil sie nicht so stark im Schatten von Adolf Hitler stattfänden. In Berlin wären die Spiele von 1936 allgegenwärtig. In Berlin gäbe es ein ständiges Grundrauschen, bestehend aus Mahnen, Abgrenzen und Erinnern. In jeder kleinen Allerweltsrede wäre der Druck spürbar, etwas beweisen zu müssen. Deutschland ist heute anders als 1936, ja, gewiss. In Hamburg lässt sich das entspannter vorführen.

Berlin braucht die Spiele nicht. Es ist umgekehrt!

Die Olympischen Spiele kann man mit den Gladiatorenkämpfen in Rom vergleichen, allerdings ohne Blut und ohne Löwen. Aber die Spiele haben einen romantischen Kern, die sogenannte Olympiaidee. Ich rufe die Jugend der Welt. Teilnahme ist wichtiger als Sieg.

Diese Originalidee der Spiele ist nirgends besser aufgehoben als in Berlin. Die Jugend der Welt will sowieso nach Berlin, am liebsten nach Neukölln. Und egal, was du in Berlin tust, ob du in einen vollen Bus steigen willst, ob du eine Wohnung suchst, ob du ein Auto anmelden möchtest oder einen Handwerker brauchst, alles steht unter dem Motto von Olympia: Teilnahme ist wichtiger als Sieg.

In Berlin sind viele trotzdem gegen die Spiele. Die meisten Berliner lassen sich nicht beeindrucken, von nichts und niemandem, weder von Olympia noch von Brad Pitt, noch von Adolf Hitler. Als in Deutschland die Mehrheit schon fast überall für die Nazis war, waren die meisten Berliner immer noch dagegen. Die Unbeeindruckbarkeit der Berliner gehört also zu ihren positiven Eigenschaften.

Wenn es dann aber losgeht, sind sie meistens voll dabei. Das war bei der Verhüllung des Reichstages so, bei der Fußball-WM, leider auch bei den Nazis. Keine deutsche Stadt hat so viel Erfahrung mit Großereignissen aller Art. Paraden, Demonstrationen, Kriege, Revolutionen, der Auf- und Abbau von Mauern – Berlin kommt selbstverständlich auch mit so einer Kleinigkeit wie Olympischen Spielen zurecht. Sportliche Großereignisse haben in Kapstadt und Rio stattgefunden, die Berliner Infrastruktur ist schon jetzt deutlich besser.

Berlin ist die unlangweiligste Stadt Deutschlands. Das weiß jeder. Die Touristen sind deshalb ganz verrückt nach ihr. Das, was an den Spielen fragwürdig ist, Gigantomanie, Geschacher, der halbherzige Kampf gegen Doping, die Unterwerfung unter das Diktat der Werbung, die Flirts mit autoritären Regimen, all dieses Zeug würde in Berlin auf dem Prüfstand stehen.

Berlin wäre ein Jungbrunnen für die altersschwache Olympiaidee, endlich mal Spiele in einer rebellischen und gleichzeitig durch und durch demokratischen Stadt. Erinnern wir uns noch an Olympia in London? London und Berlin, das ist ein Unterschied wie zwischen einer frisch gereinigten Bankfiliale und einer alten Markthalle. Wo hält man sich lieber auf?

Berlin braucht keine Publicity und keine Imageverbesserung, Berlin braucht die Spiele nicht. Es ist umgekehrt, den Olympischen Spielen würde Berlin guttun.

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