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Berlin: Nervöse Winzer, große Erwartungen

Berlin wird als Weinstadt immer wichtiger: Beobachtungen bei der „Gutswein“im Debis-Haus

Im September macht der Winzer gern Urlaub. Außer, es handelt sich um ein so verrücktes Jahr wie 2003, in dem das Wetter alle Gewissheiten durcheinander schüttelt. Diese Stimmung war deutlich spürbar auf der schon traditionellen „Gutswein“, die der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) immer am ersten Septemberwochenende in Berlin veranstaltet. Normalerweise ist das ein sicherer Termin; diesmal hatten auffällig viele Winzer ihre Söhne und Töchter geschickt, um selbst auf die Trauben achten zu können, andere wirken zumindest etwas nervös.

Denn die Lese hat längst begonnen. Noch nicht beim Riesling, aber bei den Burgundersorten. „Mein Mann herbschtet scho“, sagt Regina Stigler vom Kaiserstuhl, er ist schon dabei, die Grundweine für den Sekt einzusammeln, die eine besonders ausgeprägte Säure brauchen, und ein Mangel an Säure könnte in diesem Jahr leicht zum Problem werden. Abwarten, meint Elisabeth Wittmann aus Rheinhessen, die sich über die Wetterkapriolen freut: „Jeden Morgen hole ich mir ein paar Rieslingbeeren fürs Müsli aus dem Weinberg“, sagt sie, „das hat’s um die Jahreszeit noch nie gegeben.“ Und in den klassischen Regionen des spätreifenden Rieslings gibt es ohnehin noch keinen Grund zur Unruhe. „Wir habe noch gut vier Wochen Zeit“, sagt Franz-Werner Michel aus dem Rheingau, „und es sieht alles ganz prächtig aus“.

Andere, skeptischere Winzer denken dennoch an das Jahr 2000, als die Trauben fast ebenso prächtig aussahen, bis dann im September plötzlich Fäulnis und Insektenbefall alles zunichte machten. Martin Tesch von der Nahe, ein promovierter Mikrobiologe, hegt derlei Befürchtungen – doch auf der Gutswein muss er sich erst einmal mit viel profaneren Problemen herumschlagen. Denn er hat sein komplettes Programm umgestellt und verblüfft seine Stammkunden mit bunten, inhaltlich verknappten Etiketten: „Versuchen Sie mal, einen Wein mit dem Namen Langenlonsheimer Löhrer Berg zu verkaufen! Das merkt sich kein Mensch.“ Auch sein flott „Unplugged“ betitelter Kabinettwein erregt Aufsehen: Ja, darf ein deutscher Winzer das denn überhaupt?

Den Stars des deutschen Weinbaus, die fast alle Mitglied im VDP sind, geht es durchweg gut. Nur wegen des Absatzes müssten sie sich nicht auf den Weg nach Berlin machen – doch sie tun es in zunehmendem Maße, weil Berlin als Weinstadt immer größere Bedeutung gewinnt. Das Forum im Debis-Haus am Potsdamer Platz scheint sich nach Anlaufproblemen im letzten Jahr als Veranstaltungsort der Gutswein zu bewähren, und auch der Andrang der Weinfreunde war schon kurz nach der Eröffnung um 13 Uhr beträchtlich. Traditionell mischen sich Profis aus Handel und Gastronomie mit den Amateuren, die hier ebenso auf ihre Kosten kommen.

Dennoch bleibt der zweite Teil der Veranstaltung am heutigen Sonntag den Fachbesuchern vorbehalten: Es werden die „Großen Gewächse“, die Spitzenweine der aktuellen Kollektion, gezeigt. Nach dem Höhenflug des Jahres 2001 sind die Erwartungen hoch. Und 2003 soll alles noch besser werden…

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