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Zum Wein etwas Hirnforschung. Um in den Genuss der Events des „Salonfestivals“ zu kommen, müssen die Gäste keine guten Bekannten der Gastgeber sein.

© Thilo Rückeis

Netzwerk "Salonfestival": Agora im Wohnzimmer

Das Netzwerk "Salonfestival" präsentiert Wissenschaftler und prominente Gäste in Privatwohnungen. Die Veranstaltungen werden auf der Homepage angeboten.

Die Holzklappstühle sind aufgestellt, ganz vorne im Raum stehen zwei schwarze Ledersessel – viel Aufwand ist nicht nötig, um das Wohnzimmer von Christiane Landgrebe und Ari Großkopf in einen Salon zu verwandeln. Im Nebenraum steht ein Tisch mit Schnittchen und Getränken, die Schöneberger Altbauwohnung bietet Platz genug, damit die rund 30 Gäste sich nach dem Vortrag locker mischen können.

Denn darum geht es dem bundesweiten Netzwerk „Salonfestival“, wie Organisatorin Nele Kister zu Beginn erklärt: Räume für direkte Begegnungen zu schaffen, Orte, an denen gesellschaftliche Auseinandersetzung in einem überschaubaren Rahmen stattfindet. „Wir alle kommunizieren ständig über die digitalen Medien. Aber die stärksten Impulse kommen immer noch über die persönliche Begegnung.“

Am heutigen Abend lauschen die Gäste der Hirnforscherin Hannah Monyer und dem Philosophen Martin Gessmann – die beiden haben das Buch „Das geniale Gedächtnis“ geschrieben. Hannah Monyer, ursprünglich aus Rumänien, berichtet mit siebenbürgischem Akzent von ihren neurobiologischen Forschungen: Experimente mit Mäusen zeigen, wie das Gehirn Informationen verarbeitet und speichert. Das Wort „speichern“ sei allerdings irreführend, erklärt Gessmann: „Das Gedächtnis ist, anders als ein Korn- oder digitaler Speicher, kein Ort, in dem Dinge aufbewahrt und später unverändert entnommen werden.“ Im Gegenteil sei das Gedächtnis ein „höchst aktives Zukunftsorgan“, das unsere Erlebnisse umwandelt, um uns für das Kommende fit zu machen.

Veranstaltungen werden auf der Homepage angeboten

Die Gäste hören fast zwei Stunden lang konzentriert zu, stellen Fragen, steuern eigene Erkenntnisse bei: Die Gehirne der Anwesenden laufen spürbar auf Hochtouren. Sie spreche gerne in einem solch intimen Rahmen, sagt Hannah Monyer später beim Wein. Als Forschungsprofessorin tauscht sie sich sonst überwiegend mit Kollegen aus, hier dagegen trifft sie auf allgemein interessierte Bürger. Und profitiert davon: „Die Leute stellen Fragen, auf die ich nicht kommen würde.“

In Berlin gibt es viele mehr oder weniger private Salon-Veranstaltungen – Gastgeber laden Freunde, Bekannte und deren Bekannte zu offenen Abenden mit einem Kulturprogramm ein. Wer nicht zum jeweiligen Kreis gehört, bekommt davon in der Regel nichts mit. Das ist beim Salonfestival anders: Die Veranstaltungen werden auf der Homepage angeboten wie Theateraufführungen, jeder kann Tickets für 18 Euro online erwerben, es gibt eine Broschüre mit allen Veranstaltungen des Halbjahres, viele Vortragende sind prominent – das eigentlich halböffentliche Format „Salon“ ist hier ganz öffentlich geworden, findet teilweise in Privatwohnungen statt, teilweise aber auch in Unternehmen.

Seit 2014 hat das Salonfestival-Team, bestehend aus acht Frauen mit Sitz in Köln, über 350 Veranstaltungen in ganz Deutschland organisiert. Zuletzt sprachen etwa Ranga Yogeshwar in Bad Homburg über „Computer und Mensch“, der Politologe Marcel Lewandowsky in Hohenstein über den Erfolg des Rechtspopulismus oder die Wirtschaftspsychologin Sarah Dieffenbach in München über „Digitale Depression“. Die meisten Salons sind schnell ausgebucht – nur in Berlin nicht, sagt Nele Kister: „Hier ist einfach zu viel anderes los.“

Auf öffentliche Gelder verzichten die Organisatorinnen bewusst

Gast beim Salonfestival zu werden ist einfach; die Gastgeber dagegen müssen sich stärker engagieren, als wenn sie auf herkömmliche Weise einladen. Sie stellen nicht nur den Veranstaltungsraum, Essen und Getränke, sondern leisten auch einen finanziellen Beitrag an das Salonfestival, der in die Honorare der Vortragenden und die Organisation fließt. Auf öffentliche Gelder verzichten die Organisatorinnen bewusst, sie sehen das Festival als Netzwerk einer „Bürgergesellschaft, die sich zeigt“. Der Literaturkritiker Denis Scheck, der im Beirat sitzt, nennt das „Agora“: Was in der Antike auf dem Marktplatz stattfand, das geht heute auch im Wohnzimmer auf Klappstühlen.

Die nächsten Veranstaltungen des Salonfestivals in Berlin: 19. März mit Wilhelm Schmid, 4. April mit Omar Akbar und Johannes Kister, 20. April mit Jörg Asmussen. Tickets unter www.salonfestival.de

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