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Graffiti spiegelt sich an der Fassade beim Eingang der Schiller-Bibliothek in der Müllerstraße 149. Eröffnet wurde der Neubau am 10. Juli.

© Melanie Berger

Neubau der Schiller-Bibliothek: Hinter der gläsernen Fassade

Die neue Weddinger Zentralbibliothek ist eröffnet. Noch weht Baustellenstaub durch die Bücherregale hinter der Glasfassade. Unsere Autorin hat sich trotzdem schon mal umgeschaut und auch kritische Stimmen gehört.

Sucht man sie nicht, ist sie nicht allzu leicht zu finden, die neue Weddinger Zentralbibliothek. Dabei liegt sie doch eigentlich direkt an der Nord-Süd-Achse Müllerstraße. Ein einziges kleines Hinweisschild Ecke Schulstraße, der Eingang versteckt zwischen İşbank und Simit Evi Café. Hausnummer 149. Ein paar Schritte weg von der Hauptstraße ist das Namensschild zu sehen, auf der schimmernden Glasfassade steht: "Schiller Bibliothek".

Der Neubau, mit einem halben Jahr Verspätung eröffnet, ersetzt den alten Betonbau nebenan, in den jetzt das Arbeitsamt einzieht. 1800 Quadratmeter gibt es jetzt für Bücher und Besucher statt wie früher nur 300 – Baukosten: insgesamt 6,4 Millionen Euro. „Das ist allerdings erst Ausbaustufe eins“, sagt Stefan Rogge, Leiter der Stadtbibliothek Mitte, stolz. Mehr Arbeitsplätze und insgesamt 66.000 „Medieneinheiten“, dazu zählen neben 45.000 Büchern auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch auch DVDs, CDs, Brettspiele und Computerspiele. Eine einheitliche Anlaufstelle, dort wo der Wedding laut und gedrängt ist. Eine kleinere Kiezbibliothek wurden geschlossen.

Eine Baustelle voller Bücher

Vorbei an Fahrradständern, Graffitiwänden und einem Baustellenzaun geht es zum Haupteingang. Es riecht noch alles neu, nach Plastikverpackungen. Im Erdgeschoss die Kinderbibliothek, rote Sitzpolster, bunte Bücher. In den Regalen stehen "Das Durchschlafbuch", Bibi-Blocksberg-Bände und die japanische Animeserie „Dragon Ball Z“. Am Infotisch sitzt eine freundliche junge Frau, sie hat noch Probleme mit der Telefontechnik, die natürlich auch neu ist.

Alles was an dem Gebäude nicht Glas oder Stoff ist, ist aus hellgrauem Beton. Nahtloser Übergang zwischen Wänden, Decke, Stufen. Der Boden aus Fliesen und Holz, das Treppenhaus ist kalt und grau. In den Bibliotheksetagen selbst wird es hell, die Farben sind wärmer und es riecht nach Buchseiten. Schlicht bleibt es trotzdem. Schnörkellos mit klaren Linien.

„Also schön ist es ja hier nicht“, sagt eine Frau zwischen den Bücherregalen zu einer Bibliothekarin. „Ein bisschen mehr Farbe hätte man schon machen können, sieht ja aus wie 'ne Baustelle.“ Nun, gut. Ist ja auch noch eine Baustelle, zum Teil jedenfalls. Im ersten Stock in der Erwachsenenbibliothek ist ein Akkuschrauber zu hören. Eröffnung war am 10. Juli, und alles ist noch ein bisschen unfertig. Die Beine eines Handwerkers schauen unter einem Tisch hervor. Ein paar Meter weiter verkabelt ein Bibliotheksmitarbeiter einen Drucker. Eine feine Schicht Baustellenstaub liegt auf Tischen und Fensterbänken. Bis Ende August soll alles fertig sein, versichert Stefan Rogge.

Besucher sind trotzdem schon ein paar da, an einem Montagnachmittag um 14 Uhr. Zwei junge Männer machen Deutsch-Hausaufgaben. Ein junges Mädchen mit rotem Kopftuch ruht sich kurz aus, müder Blick aus dem Fenster. Bücher über Philosophie und Gedächtnistraining liegen ausgebreitet vor einem Jungen mit Kopfhörern. Ein alter Mann blättert in einem dicken Band voller Schwarzweißbilder. Papierrascheln. Stille. Nur unterbrochen von den lauten Sirenen von der Müllerstraße drüben. Das Geräusch passt nicht in die Bibliothek und dann passt es doch wieder zum Leo und zur Müllerstraße.

Anteil der Jugendlichen im Wedding besonders hoch

Einen Stock höher soll es bald sogar Spielkonsolen für die Schulkinder geben, für die "Jugendlichen", damit meint man hier allgemein die 13- bis 25-Jährigen. Die Konsolen werden noch geliefert, es sei eben alles noch im Werden. Jugendliche sind der Schwerpunkt, sagt Rogge. Man will sie von der Straße holen, aus den Einkaufscentern und weg vom Kirchenvorplatz am Leo. Man will sie auffangen, bevor der Spaß am Lesen ganz erlischt, sobald man es für die Schule nicht mehr so sehr braucht. "Leseknick", nennt Rogge das. Der Anteil der Jugendlichen sei im Wedding besonders hoch.

Also hoch in den zweiten Stock, in die Jugendbibliothek, wo Gelb und Orange dominieren. „@hugo Jugendmedienetage“, heißt die Abteilung offiziell, bis April hatte sie noch einen eigenen Standort, die Hugo-Heimann-Bibliothek im Brunnenviertel. Seitdem steht der Flachbau in der Swinemünder Straße 80 Nähe U-Bahnhof Voltastraße leer. Ein neuer Bibliotheksstandort für den Kiez mit immerhin 20.800 Bewohnern ist nicht geplant. Wer von dort zu den Büchern will, muss jetzt entweder die Badstraße runter zur Bibliothek am Luisenbad oder bis fast zum Rosenthaler Platz zur Philipp-Schaeffer-Bibliothek. Oder eben mit dem Bus oder mit S- und U-Bahn hoch zur Schiller-Bibliothek.

Ein Zentralisierungstrend, den man in den Kiezen kritisch sieht. "Jedes Quartier verliert etwas, wenn es seine Bibliothek verliert, wenn es so einen Ort voller Geschichten verliert", sagt Katja Niggemeier vom Quartiersmanagement Brunnenviertel. Vor allem Kinder im Grundschulalter könnten jetzt nur noch in Begleitung eine Bibliothek erreichen. Hausaufgaben- und Lernhilfen müssten jetzt anderswo untergebracht werden, lägen nicht mehr so günstig direkt in der Fußgängerzone der Swinemünder Straße. Der kleine Bücherbus hält zwar jeden Montag von 9.30-12.00 Uhr an der Vineta-Grundschule, Bibliotheksersatz ist der allerdings nicht und in den Ferien fährt er gar nicht.

Weniger Bibliotheken, weniger Mitarbeiter

"Junge Menschen sind mobil", sagt dagegen Stefan Rogge von der Stadtbibliothek Mitte lakonisch. Er sieht keine Probleme durch den Umzug an den Standort Leopoldplatz. Ein größerer Standort könne mehr Auswahl bieten, länger öffnen und das alles mit weniger Personalaufwand als viele Kleinbibliotheken. Der Trend ist klar: 1997 gab es 206 Bibliotheksstandorte in Berlin und 1185 Mitarbeiter, 2013 waren es nur noch 84 Standorte mit 695 Mitarbeitern.

Bereits 2011 hat das Brunnenviertel das Diesterweg-Gymnasium verloren, an das die Hugo-Heimann-Bibliothek angeschlossen war. Auch ein Grund, warum man den Standort als nicht haltbar empfand und ihn jetzt geschlossen hat. "Wir können nicht noch mehr verlieren. Das war die letzte formale Bildungseinrichtung", klagt Katja Niggemeier. Die neue Großbibliothek am Leopoldplatz hat in ihren Augen auch negative Auswirkungen. Kleinere Bibliotheken seien für Jugendliche überschaubarer, und je öfter man an ihnen vorbeilaufe, auf dem Weg zur Schule oder zu Freunden, desto mehr wachse das Interesse, irgendwann mal reinzugehen. Das gibt es nun in dieser Gegend an der Müllerstraße, in der außer großen Wohnblöcken sonst zumeist Wettbüros und Casinos das Bild prägen, nicht mehr.

Was wohl Hugo Heimann, der Verleger und Wohltäter der Arbeiterbewegung, dazu sagen würde? Er ist nur noch stummer Zeuge. In der Schiller-Bibliothek hängt im Erdgeschoss, zwischen Infotisch und „Durchschlafbuch“ und „Bibi Blocksberg“, eine steinerne Tafel, ein Mitbringsel aus dem Brunnenviertel. Darauf heißt es: "Im bewahrenden Geiste seiner uneigennützigen Tätigkeit für die arbeitende Bevölkerung Berlins erhielt diese Bücherei den Namen Hugo-Heimann-Bücherei".

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