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Neue Ausstellung in Berlin: Zerkratzte BVG-Fenster als Kunstobjekte

Zerstörte Fenster, genervte Fahrgäste, Millionenkosten: Die Schäden in Bussen und Bahnen sind enorm. In der Bötzow-Brauerei sind sie nun Teil einer Kunstausstellung. Die BVG ist nicht gerade begeistert.

Rein in die Straßenbahn, vorbeidrängeln an anderen Fahrgästen, einen Sitzplatz ergattern. Jetzt erst mal die Zeitung lesen und Musik hören. Ab und zu ein Blick auf den kleinen Bordmonitor. Nächste Station: Hufelandstraße. Gut zu wissen, denn ein Blick aus dem Fenster hätte darüber kaum Auskunft geben können. Denn dicke Kratzer trüben die Sicht. Auch durch die anderen Scheiben sind die vorbeiziehenden Häuser nur schemenhaft zu erkennen.

Kratzer werden Kunst

Kaum vorstellbar, dass aus diesem Alltagsärger Kunst werden könnte. Doch die französische Künstlerin Dominique Auerbacher sieht in den Kompositionen, die aus den Kratzern an den Tramfenstern und dem vorbeiziehenden Stadtbild entstehen, Nachfolger der Malerei. Wie Bilder, bei denen sich der Hintergrund verändert, erscheint ihr der Blick aus den Scheiben. Sie hat die Fensterkratzer fotografiert. Ab heute sind die Bilder in der Galerie „Bötzow Berlin“ zu sehen.
Dominique Auerbacher steht in dem Ausstellungsraum, einer Halle in der ehemaligen Bötzow-Brauerei an der Prenzlauer Allee. Sie trägt eine schwarze Lederjacke, Jeans und rote Turnschuhe. An den Wänden rings um sie herum hängen gerahmte Fotografien. Auf den ersten Blick: Kratzereien, dreckige Scheiben, verschmierte Ausblicke.

Per Zufall entdeckt

Die Bilder entstanden 2009, erzählt sie. Am Alexanderplatz stieg sie planlos in die M4, Richtung Weißensee. Unterwegs sind ihr die zerkratzten Fensterscheiben der Tram aufgefallen. „Ich war von den Kratzern sofort begeistert“, sagt die französische Künstlerin. Der Plan für den Urlaub stand schnell fest: ein BVG-Liniennetz besorgen, die An- und Abfahrtszeiten der Bahnen heraussuchen, Kamerabatterien kaufen und losfahren.

„Scratches“ hat Auerbacher die Kratzkompositionen getauft. Den Begriff hat sie der DJ-Sprache entnommen. Auch ihre „Scratches“ sind für sie ein Ausdruck der Subkultur, Streetart. Sie erzählt, wie sie stundenlang auf der Suche nach Motiven aus den Fenstern der Berliner Verkehrsmittel geschaut hat. Meist war es dann eine Farbe, ein Auto oder ein Fahrradfahrer, die sich mit den Kratzereien auf den Scheiben zu einem Bild verbunden haben. BVG-Gelb, S-Bahn-Rot und BSR-Orange hinter einem Kratzschleier: „Das ist für mich typisch Berlin.“

Keine Kunst, sondern Vandalismus

Die BVG und viele Fahrgäste sehen das ein bisschen anders. Für sie ist das nicht Kunst, sondern Vandalismus. Vier Millionen Euro Schaden entstehen der BVG allein durch das Zerkratzen der Fensterscheiben. Die Kosten werden auch dadurch verursacht, dass die Bahnen aus dem Verkehr gezogen werden müssen, wenn die Scheibenfolien ausgetauscht werden. „Überlegen Sie sich mal, wie viele Ausstellungen man davon finanzieren könnte“, sagt Petra Reetz, die Sprecherin der BVG. Berlin habe so schöne moderne Straßenbahnen. Und die wirken durch die Kratzereien schnell verwahrlost. Das sei mehr als ärgerlich und überhaupt „hat sich noch nie ein Fahrgast über zerkratzte Scheiben gefreut“.

Dunkle Folien und Gittermuster schützen die Scheiben

Klare Fensterscheiben, die einen Blick nach draußen ermöglichen, gehören zum Straßenbahnfahren dazu, sagt sie. Deshalb bekämpft die BVG den Vandalismus vehement. Die Züge werden mit Kameras überwacht. Auf Anzeigen zahlt die BVG Belohnungsprämien. Großflächige Werbefolien an den Fensterscheiben der Bahnen sorgen dafür, dass die Kratzereien subjektiv in den Hintergrund treten. Aus dem Grund wurde damals im September 2008 an den U-Bahn-Fenstern das Gittermuster „Brandenburger Tor“ angebracht. Und in den Straßenbahnen schaut man durch dunkelgrüne Folien wie durch eine Sonnenbrille nach draußen.

Scratches auf Bötzow“, 22. März bis 25. Mai 2014; Do bis Sa 15–20 Uhr, So 14–18 Uhr, im Atelierhaus in der ehemaligen Bötzow-Brauerei, Prenzlauer Allee 242, der Eintritt ist frei.

Anna Polze

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