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Eileen Moritz ist die neue Beauftrage für Menschen mit Behinderung in Steglitz-Zehlendorf.

© Anett Kirchner

Neue Behindertenbeauftragte in Steglitz-Zehlendorf: Eigentlich wollte sie Schiffsköchin werden

Sie setzt sich ein für Wertschätzung und Chancengleichheit: Eileen Moritz, die neue Beauftrage für Menschen mit Behinderung in Steglitz-Zehlendorf.

Im ganzen Bezirk Steglitz-Zehlendorf gibt es offensichtlich nur ein Hotel mit barrierefreien Zimmern. Diese Erfahrung hat Eileen Moritz kürzlich gemacht, als sie ein Zimmer für einen Rollstuhlfahrer suchte, der nach einer Veranstaltung hier übernachten wollte. Seit Anfang des Jahres ist Eileen Moritz die neue Beauftrage für Menschen mit Behinderung in Steglitz-Zehlendorf. „Behindertenfreundliche Zimmer gibt es mehrere, barrierefrei nach DIN-Norm sind sie aber meist nicht“, erläutert sie, die selbst körperlich beeinträchtigt ist.

„Moment bitte, ich schaue schnell nach“, sagt Eileen Moritz, dreht ihren Rollstuhl um 90 Grad nach links, fährt flink quer durch das Büro zum Schreibtisch und schaut in den PC: „Es ist die DIN 18040-1 für barrierefreies Bauen.“ Darin seien Maße wie etwa die Breite von Türen oder der stufenlose Zugang zu einer Dusche in einem Hotelzimmer geregelt.

Neben ihr unter dem Schreibtisch auf einer blauen Decke schlummert indessen Joschi, ein neun Jahre alter Golden Retriever. Er hebt den Kopf. „Alles gut“, beruhigt ihn Eileen Moritz. Er kneift die Augen zusammen und senkt den Kopf wieder. Joschi ist ein ausgebildeter Behindertenbegleithund und immer an ihrer Seite. Er hilft zum Beispiel beim Öffnen von Türen, bringt Dinge, die zu Boden gefallen sind oder schaltet das Licht im Raum an. Und einmal assistierte sogar sie ihrem Assistenzhund, wie sie schmunzelnd verrät. Denn vor einigen Jahren war Joschi beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue geladen und „ich begleitete meinen Hund.“

Ihr Ziel: dass das Thema Behinderung endlich normal wahrgenommen wird

Eileen Moritz kehrt zurück zu der Sitzecke gegenüber vom Schreibtisch. Hier empfängt sie auch regelmäßig Bürger, die über ihre Schwierigkeiten aus dem Alltag berichten. Jeweils donnerstags von 10 bis 12 Uhr lädt sie zur Sprechstunde. Ihr Büro ist im Erdgeschoss des Rathauses Zehlendorf, im Raum A 27/28 „Bei den Sprechstunden erfahre ich, welche konkreten Probleme die Menschen mit Beeinträchtigung in unserem Bezirk haben“, schildert sie und ihr fallen Beispiele ein wie: hohe Bordsteine an Kreuzungen, Werbeaufsteller vor Geschäften mitten auf dem Gehweg, unüberwindbare Stufen zu öffentlichen Gebäuden.

Sie hört viel zu, möchte die Lebensrealität der Menschen kennenlernen, besucht soziale Institutionen und Vereine, will herausfinden, welche Netzwerke existieren und welche nicht. Ihr langfristiges Ziel: dass das Thema Behinderung endlich selbstverständlich als gesamtgesellschaftliches nicht mehr als gesondertes Thema wahrgenommen wird. Etwa beim Organisieren eines öffentlichen Festes, beim Verlegen von Rohren und Kabeln oder beim Errichten einer Baustelle.

Um später so viel wie möglich bewirken zu können, übt sich Eileen Moritz derzeit in der „Klaviatur der Verwaltung“. Welche Richtlinien und Normen sind entscheidend? Wer ist für was im Bezirksamt zuständig? Zwar bringt die 52-Jährige reichlich Erfahrung im behindertenpolitischen Bereich mit, in einer Verwaltung hat sie jedoch bislang nicht gearbeitet.

Eileen Moritz ist 1964 in Hamburg geboren und dort mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Weil sie von Geburt an körperlich beeinträchtigt ist, besuchte sie zunächst eine Förderschule, machte dann über Umwege den Haupt- und Realschulabschluss. Eigentlich wollte sie Schiffsköchin werden. Ihr Vater war Schiffsbaumeister, die Brüder fuhren zur See. So lockte auch sie der Traum von der weiten Welt der Ozeane. Doch damals sei noch die „Seemannsweisheit“ verbreitet gewesen, dass Frauen auf Schiffen Unglück bringen. Eine für sie seltsame Erfahrung, denn „ich durfte diesen Beruf nicht erlernen, weil ich eine Frau, nicht weil ich etwa körperlich beeinträchtig bin.“

Sie setzt sich ein für Gerechtigkeit und Wertschätzung

Und wie sooft im Leben kam sowieso alles anders. Mit 18 Jahren verliebte sie sich in einen Berliner und zog Hals über Kopf ins damalige West-Berlin. Als diakonische Helferin bei einem Freiwilligen Sozialen Jahr entdeckte sie ihr Interesse an der sozialen Arbeit, holte das Abitur nach und studierte Sozialpädagogik an der Alice-Salomon-Fachhochschule (damals noch in Schöneberg). In dieser Zeit habe sich ihr Verständnis von Inklusion entwickelt. „Denn ich war immer die Ausnahme, quasi allein in einer Mehrheitsgesellschaft“, erinnert sie sich und deshalb sei sie überzeugt davon, dass die Unsicherheiten zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung womöglich daher kämen, dass sie nicht zusammen, stattdessen in zwei Welten lebten.

Weil Eileen Moritz aufgeschlossen für Neues ist und sie als junge Sozialpädagogin nicht auf den Bereich Behinderung reduziert werden wollte, probierte sie sich auch in anderen Tätigkeitsfeldern aus. Beispielsweise arbeitete sie acht Jahre lang in einem Wohnprojekt für HIV-infizierte und an AIDS erkrankte Menschen. Als dann 2009 in Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Kraft trat, begann sie sich intensiv mit dem Übereinkommen auseinanderzusetzen. „Und ich verstand plötzlich, dass das unmittelbar etwas mit mir zu tun hat“, beschreibt sie.

Gerechtigkeit, Wertschätzung, Respekt, Chancengleichheit waren fortan die Werte, für die sich Eileen Moritz einsetzte. Sie entwickelte Bildungsangebote zu Themen wie Inklusion als Menschenrecht oder Barrierefreiheit. Denn sie sagt, dass Menschen mit Beeinträchtigung die Gesellschaft bereichern, vorausgesetzt, man gibt ihnen die Chance dafür.

Etwas ganz konkret und vor Ort bewegen, das mag sie

Ihre Wahlheimat Berlin kennt Eileen Moritz inzwischen mehr als gut. Sie wohnte schon in Frohnau, in Wedding und Moabit, Neukölln und zwölf Jahre in Steglitz. Heute lebt sie zwar in Heiligensee, ist dem Bezirk aber weiterhin sehr verbunden. Ein besonderer Ort, den sie hier gern mag: das Adria Filmtheater. „Das ist so schön, weil es komplett aus der Zeit gefallen zu sein scheint, dabei aber ganz modern, zumindest im Eingangsbereich zugänglich ist“, erklärt sie.

Was sie an ihrem neuen Job reizt: etwas konkret und vor Ort bewirken zu können. Als Beauftragte für Menschen mit Behinderung ist sie dem Bezirksstadtrat für Soziales, Frank Mückisch (CDU), unterstellt und arbeitet eng mit dem Beirat für Menschen mit Behinderung zusammen. Zu ihrer Aufgabe gehört auch, dafür Sorge zu tragen, dass die Belange der Menschen mit Beeinträchtigung bei geplanten Projekten des Bezirksamtes berücksichtigt werden.

Am 27. April ist Eileen Moritz 100 Tage im Amt. Das möchte sie nutzen, bei einem Empfang im Rathaus Steglitz eine erste Bilanz zu ziehen sowie neue Strategien vorzustellen. Und in welche Richtung sich ihre Arbeit später entwickeln und bei allem, was sie planen und umsetzen wird, ihr großer Schatz ist, wie sie sagt: Lebenserfahrung. „Denn ich teile die Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung, die Menschen mit Behinderung machen.“

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