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Das Gefängnis in Moabit ist 130 Jahre alt

© IMAGO

Neue Leiterin der JVA Moabit: "Wir sind noch nicht am Kollaps"

Anke Stein ist die erste Leiterin der Justizvollzugsanstalt Moabit. Doch ein hoher Krankenstand, unbesetzte Stellen und Gefangene mit bedenklichem Frauenbild erschweren ihre Arbeit.

Auf der Fensterbank des Büros von Anke Stein jagt ein Fahrradfahrer auf eine kniehohe Mauer zu. Ein Hinweisschild zeigt die Richtung: "JVA Moabit" steht darauf. Es ist auch klar, woher der Radfahrer kommt, er hat gerade ein Ortschild passiert. "JVA Heidering" steht drauf, diagonal und rot durchgestrichen. Ortsende.

Eine nette Spielzeug-Anordnung, passend natürlich für Anke Stein, die 47-jährige Juristin. Sie hat vier Jahre lang die Justizvollzugsanstalt (JVA) Heidering in Brandenburg geleitet, seit September führt sie die JVA Moabit. Die einzige Frau, die in Berlin eine JVA leitet. 130 Jahre alt ist der wuchtige Bau, hier sind überwiegend Untersuchungshäftlinge untergebracht. Die Fenster in Anke Steins Büro sind vergittert.

Jetzt sitzt sie an einem Tisch, Radfahrer und Gitter im Rücken, und hält ihre Hände flach und parallel in der Luft. Dann geht die linke Hand leicht nach unten und die rechte leicht nach oben, wie bei einer Waage. Anke Stein möchte zeigen, was passiert, wenn die Balance nicht mehr stimmt. "Wenn es Menschen zu eng wird, entsteht Stress. Auch Haft bedeutet am Anfang Stress, die Leute wissen ja nicht, was sie erwartet." Und was passiert, wenn ein Besucher nicht kommt und dann auch noch das Essen schlecht ist? "Das bedeutet auch Stress."

Anke Stein zeigt viel Verständnis

Anke Stein, heißt das alles, hat viel Einfühlungsvermögen, sie hat Verständnis, sie hat einen Blick für schwierige Situationen. Sie sagt viele Sätze, die mit Empathie zu haben, aber gleichzeitig professionelle Distanz zu den Gefangenen signalisieren. "Unsere Aufgabe ist es, so viel wie möglich den Druck zu minimieren. Was bringt es einem Richter, wenn er nicht verhandeln kann?" Weil jemand nicht verhandlungsfähig ist, meint sie damit.

Den Druck können diverse Dinge minimieren. Eine Arbeit, ein Freizeitangebot, gesprächsbereite Beamte, Verlässlichkeit in der Aussage. "Ein Ja bedeutet ein Ja, ein Nein ein Nein. Und wenn mal der Umschluss ausfallen muss, wird das begründet." Anke Stein ist zu kurz in Moabit, als dass sie schon erste Bilanz ziehen könnte. Sie will es auch gar nicht. "Außerdem bin ich nicht hier und sage, jetzt wird alles anders und trägt meinen Namen." Aber dieses Verständnis für Probleme ist ein Charakteristikum ihrer Arbeit, eine Form der Deeskalierung.

Nur ist sie auch eingezwängt in ein Gesamtkonstrukt. Und dort gelten nüchterne Zahlen und andere Formen von Emotionen. Sie sagt fast seufzend: "Wir sind auf Kante genäht. Aber wir sind noch nicht am Kollaps."

50 Stellen sind von vornherein nicht besetzt

Das heißt wohl: nicht weit davon entfernt. Anke Stein setzt sich an ihren Computer und rattert Zahlen herunter. "102 Prozent der U-Haft-Plätze sind regelmäßig belegt. Im Moment haben wir einen Krankenstand im allgemeinen Vollzugsdienst von 16 Prozent." Da weitere Mitarbeiter aus andere Gründen fehlen, sind "nur 80 Prozent der Dienstposten besetzt". 500 Bedienstete hat die JVA Moabit, 50 Stellen sind von vorneherein nicht besetzt. Die aktuellsten Zahlen zu den Gefangenen, die sie an dem Tag hat, lauten: 922 insgesamt in der JVA, 722 davon in U-Haft, der Rest sind Gefangene, die in andere Anstalten verlegt werden.

722 Untersuchungshäftlinge? "Eine sehr hohe Zahl." 16 Prozent Krankenstand? "Diese Quote gefällt mir nicht." 80 Prozent der Dienstposten nur besetzt? "Mit 80 Prozent können wir kurzfristig 100 Prozent Leistung bringen, aber das dient nicht der Gesundheit." 102 Prozent Belegung? "Das ist eine Belastung für Personal und Gefangene." Aber sie sagt auch: "Ich finde es hochprofessionell, was hier geleistet wird."

Verständnis und Empathie stoßen in Moabit natürlich auch an Grenzen. Im Spätherbst 2016 wurde in einer Frühbesprechung der JVA Tegel eine Nachricht aus der JVA Moabit vorgelesen. Inhalt: Diverse Gefangene in Moabit behandeln Vollzugspersonal, vor allem Frauen, ganz übel. Spucken, Beleidigungen, Nichtbefolgen von Anweisungen, das ganze Programm. "Es wurden ausschließlich Nordafrikaner genannt, die solche Probleme machen", sagt ein Tegel-Mitarbeiter, der in der Runde saß. "Wir sollten uns darauf vorbereiten, was passieren kann, wenn ein paar dieser Leute nach ihrer Verurteilung zu uns kommen."

Anke Stein führt mit Feingefühl und Konsequenz.
Anke Stein führt mit Feingefühl und Konsequenz.

© Thilo Rückeis

Anke Stein kennt das Problem natürlich, in Heidering gab es ja auch Vorfälle. "Mehr als 70 Prozent der Gefangenen in Moabit haben einen nicht-deutschen Pass", sagt sie. Und 30 Prozent der Bediensteten in Moabit sind Frauen. "Wir nehmen Diskriminierung nicht hin." Notfalls gebe es Anzeigen. In Heidering hat sie einen Gefangenen wegen Beleidigung mal angezeigt. "Wir haben zunehmend Sprachbarrieren. Aber wenn es kulturelle Unterschiede gibt, dann müssen wir die Chance einräumen, dass wir uns verstehen." Andererseits: "Das ist mit geringem Personalstand nicht einfach.2

Und mit mehr Personal würden dann auch andere Probleme verringert. 2016 wurden in Moabit 33 Gramm Kokain, acht Gramm Heroin und 1,5 Kilogramm Haschisch und Marihuana gefunden. Auch dieses Problem kennt Anke Stein gut. In Heidering wurden 2016 insgesamt 15 Gramm Heroin und 1,5 Kilogramm Haschisch und Marihuana entdeckt. Aber völlig unterbinden lässt sich Drogenhandel sowieso nicht.

In ihrem Amtszimmer, hinter dem Radler und den Gittern, redet Anke Stein inzwischen von ihrer Vision. "Ich möchte, dass Gefängnisse nicht am Rand einer Stadt liegen, sondern mittendrin. Die Menschen hier sind Teil der Gesellschaft. Das muss die Gesellschaft verstehen." So gesehen kann sie jetzt zufrieden sein. Die JVA Moabit ist umgeben von pulsierendem Leben.

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