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Mit Füßen getreten werden hier vor allem Grundrechte, meint der Anwaltverein. Allerdings handelt es sich bisher nur um einen Testlauf mit über 200 Freiwilligen.

© Mike Wolff

Neue Überwachungskameras in Berlin: Testphase für Gesichtserkennung spaltet die Öffentlichkeit

Am Südkreuz werden neue Videokameras erprobt. Der Deutsche Anwaltverein sieht eine "verfassungsrechtlich brisante Kombination" mit Sicherheitsgesetzen.

Von Fatina Keilani

Der Mann mit der Leuchtweste, der auf dem Weg zur Arbeit ist, hat eine klare Meinung. „Das ist nur ein Placebo“, sagt er. „Mich überzeugt es erst, wenn dadurch wirklich mal ein Straftäter gefangen und von einer funktionierenden Justiz verurteilt wird.“ Die Rede ist von der Gesichtserkennung, Ort des Geschehens der Bahnhof Südkreuz. Seit diesem Dienstag läuft hier ein Pilotprojekt, das, grob gesagt, eine Antwort auf die Frage bringen soll, ob bekannte Gesichter in einer Menschenmenge gefunden werden. Das Pilotprojekt wird mit 300 Freiwilligen gemacht; es soll sechs Monate dauern und wird getragen von Bundesinnenministerium, Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Deutscher Bahn.

Im Erfolgsfalle wäre zu prüfen, ob mithilfe dieser Technik potenziell auch Gefährder schon vor einer Tat gefasst werden könnten. So deutlich will Jens Schobranski, Sprecher der Bundespolizei, das jetzt aber nicht sagen. „Angenommen, ein Kind wird vermisst, dann könnten Fotos von ihm eingespeist werden und die Kameras würden das Kind vielleicht finden“, erklärt er auf die Frage, wofür die Technik gut sei. Jedenfalls könne ein Mehr an Videotechnik auch ein Mehr an Sicherheit bringen.

Das sieht der Deutsche Anwaltverein (DAV) ganz anders. Für eine flächendeckende Gesichtserkennung in Deutschland gebe es zwar die Technik, aber nicht die Rechtsgrundlage. Deswegen hat sich auch der DAV heute hier mit mehreren Mitgliedern postiert. „Die Gesichtserkennung und die jüngsten Sicherheitsgesetze stellen eine verfassungsrechtlich brisante Kombination dar“, sagt DAV-Präsident Ulrich Schellenberg.

Passanten interessieren sich für das Pilotprojekt kaum

Er verweist auf das neue Pass- und Personalausweisgesetz, das es den Behörden erlauben soll, biometrische Passbilder abzurufen. Der DAV sieht die Freiheitsrechte in Gefahr, bei absehbar geringen Erfolgen: „Was machen wir denn, wenn ein Gefährder auf dem Bild erkannt wird?“, fragt Schellenberg. „Fahren wir dann los und sprechen ihn an? Er hat ja das Recht, sich frei zu bewegen.“ Die Überwachung erzeuge ein einschüchterndes, unfreiheitliches Klima. Der DAV hat außerhalb des Bahnhofs ein weißes Zelt aufgestellt und führt darin die Technik vor. Tatsächlich erkennt die Kamera die zuvor eingespeicherten Personen, auch zum Beispiel mit Sonnenbrille.

Passanten interessieren sich für das Pilotprojekt kaum. Manche verlangsamen ihren Schritt, um die auf den Boden aufgeklebten Schilder mit der Aufschrift „Erkennungsbereich“ und „keine Gesichtserkennung“ kurz zu lesen, gehen dann aber weiter. Lara H. ist auf dem Weg zu ihrer Schicht im Erdbeerstand von Karl’s. Sie werde am Stand durchaus öfter darauf angesprochen, sagt die 19-Jährige. „Manche fragen sich auch, welchen Eingang sie nehmen sollten“, sagt sie. Man werde ja nicht aufgeklärt. Ihre persönliche Meinung sei, dass die Gesichtserkennung eine gute Sache sein könne, wenn sie wirklich dabei helfe, Gefährder zu fassen.

Durch dieselbe Tür, durch die sie zum Erdbeerstand geht, betritt Abdarhman H. den Bahnhof. Der 26-Jährige ist ein Flüchtling aus Syrien, seit zwei Jahren hier, spricht schon gut Deutsch und kommt gerade vom Abschlusstest des Orientierungskurses. „Ich bin auch gegen Terrorismus“, sagt der 26-Jährige. Die meisten Flüchtlinge seien keine Terroristen. „Ich bin hier, weil ich für Freiheit, Gleichheit und Demokratie bin“, sagt er. Zur Gesichtserkennung habe er keine dezidierte Meinung, sagt er, und dann: „Ich bin eher dafür.“

Gezielt Individuen gesucht

Jens Schobranski von der Bundespolizei lotet aus, was die Technik in Zukunft potenziell noch kann – kann sie vielleicht erkennen, wenn jemand auf dem Bahnhof komisch herumschleicht und sich irgendwie atypisch verhält? „Wir von der Bundespolizei sind ja ständig auf Bahnhöfen, mit geschultem Auge können wir sehr schnell erkennen, wer sich normal verhält und wer auffällig.“ In die Software müsse das erst eingespeist werden.

Der Testlauf diene jetzt aber erstmal dazu, festzustellen, wie gut die Technik sei und was sie schon könne. Dann müsse man dem Gesetzgeber Gelegenheit geben, aktiv zu werden. Auf die Frage, ob die Technik zur Terrorabwehr tauge, weicht er aus. „Auch das wäre denkbar, aber da sollten Sie lieber den Minister fragen“, sagt er. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will sich am 24. August die Technik im Bahnhof ansehen und das Projekt dann offiziell vorstellen.

Anders als bei der Videoüberwachung, wo der gesamte Ort aufgenommen wird, Menschen aber nicht individualisierbar sind, werden bei der Gesichtserkennung Gesichter gescannt und gezielt Individuen gesucht. Bundesweit werden etwa 900 Bahnhöfe mit mehr als 6000 Videokameras überwacht.

Der Mann in der Leuchtweste jedenfalls bleibt skeptisch. „Nirgends wird die Bevölkerung so gut überwacht wie in England, und dort ist es auch nicht sicherer“, sagt er. Im Falle einer echten Gesichtserkennung würden die betreffenden Personen eben nicht mehr hier vorbeikommen, sagt er und grinst: „Ich habe auch immer einen großen Bogen um das Bauerngut gemacht, wo ich mit der Tochter des Bauern ein Techtelmechtel hatte.“

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