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Neuer Regierender Bürgermeister: Was macht Michael Müller jetzt aus Berlin?

Der BER und die Mieten, die Partei und die Stadt: Michael Müller steht in der Hauptstadt vor großen Aufgaben. Welche muss der als Zauderer beschriebene zukünftige Regierende sofort anpacken?

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Was ist Michael Müller für ein Typ?

Der 49-jährige SPD-Politiker ist durch und durch Parteisoldat. Erst Bezirksverordneter in seinem Heimatkreis Tempelhof-Schöneberg, dann Parlamentarier im Abgeordnetenhaus, Fraktionschef, Parteivorsitzender, Stadtentwicklungssenator und bald Regierender Bürgermeister. Müller arbeitet solide, seriös, ist verlässlich und umgänglich. Er musste Querschüsse aus der eigenen Partei und den Sturz als Parteichef vor zwei Jahren wegstecken. Das fällt ihm nicht leicht, er ist sensibel, kein Haudrauf-Politiker – und er kann nachtragend sein. Wenn ihm etwas missfällt, ist er zu scharfem Sarkasmus fähig. Und er hat einen charmanten Hang zur Selbstironie, was bei einem zur Verschlossenheit neigenden Typus besonders auffällt. Müller ist kein visionärer Politiker, er ist pragmatisch, mitunter aber zu zögerlich. Nicht ausgeschlossen, dass er sich als Regierender Bürgermeister mit Richtlinienkompetenz aber „freischwimmt“ und deutliche Linien im Senat vorgibt. Zuzutrauen wäre es ihm.

Was bedeutet die Wahl Müllers zum Regierenden Bürgermeister für die aktuelle Koalition und zukünftige Bündnisse?

Die CDU erwartet von Müller eine Geschlossenheit in der SPD, um die rot- schwarze Koalition bis zum Wahljahr 2016 möglichst geräuschlos weiterzuführen. Denn Interesse an Neuwahlen hat die CDU mangels potenziell anderer Bündnispartner nicht. Mit Müller hat die Union wieder einen Ansprechpartner für Inhalte, die ihr wichtig sind. Und Müller war auch in der Union der Lieblings-Kandidat. CDU-Parteichef Frank Henkel und Müller kennen sich viele Jahre aus dem Abgeordnetenhaus. Michael Müller zog 1996 ins Abgeordnetenhaus ein, Henkel fünf Jahre später. Beide haben den Bruch der großen Koalition erlebt, die rot- grüne Übergangsregierung unter Tolerierung der PDS, die Bildung einer rot-roten Koalition und die Wiederauflage einer neuen großen Koalition. Müller und Henkel müssen sich beim politischen Taktieren nichts vormachen. Sie sind beide verlässliche Partner in einer Koalition. Müller sieht Koalitionen als pragmatische Bündnisse. Das eint Müller und Henkel: Sie betonen, im Grundsatz keine ideologische Politik zu machen. Sollte es in Berlin nach der Wahl anstelle einer großen Koalition zu einer rot-grünen oder rot-rot- grünen Mehrheit reichen, würde Müller diese Koalitionsoptionen deutlich unter inhaltlichen und vor allem stabilen Koalitionsverhältnissen abklopfen.

Welche Themen sind Müller wichtig?

Michael Müller will eine „solidarische Stadt mit bezahlbarem Wohnraum für alle“. Da zählt für ihn vor allem der Wohnungsbau. „Investitionen in Beton“ will er vorantreiben. Für ihn ist die Schaffung von Arbeitsplätzen ebenso wichtig wie eine adäquat bezahlte Arbeit, damit die Menschen davon „gut leben“ können, wie er sagt. Den Ausbau von Infrastruktur will er im Energie-, Bildungs-, Gesundheits- und Verkehrsbereich vorantreiben. Müller ist ein Befürworter der Rekommunalisierung der Energienetze. Müller hat aus seiner Niederlage beim Volksentscheid zum Tempelhofer Feld und der Ablehnung seiner Pläne gelernt: Es wird keine weiteren Großprojekte ohne Bürgerbeteiligung geben.

Welche Themen stehen für Berlin oben auf der Tagesordnung?

Viele, die auch Müller als Prioritäten nennt. Also mehr Geld für den Wohnungsbau, die Fertigstellung des BER, Schaffung von Arbeitsplätzen, dazu die Rekommunalisierung, das Verhältnis zwischen Land und Bezirken und der an seine Grenzen gekommene Stellenabbau im Öffentlichen Dienst, der Umgang mit der Historischen Mitte, Flüchtlingspolitik, Liegenschaftspolitik, die Diskussion über den Länderfinanzausgleich, in der Müller sich gegenüber den anderen Ministerpräsidenten erst noch bewähren muss. Die Liste ist lang – und viele der anstehenden Themen hat Müller bereits als Senator oder zuvor auch als Partei- und Fraktionschef behandelt. Ganz oben steht nicht nur für ihn derzeit die staatliche Unterstützung von mehr Wohnungsbau. „Da haben alle die Entwicklung unterschätzt“, sagt ein hochrangiger Genosse selbstkritisch. Zwar habe Müller als Senator „die Kurskorrektur zu einer neuen Wohnungsbaupolitik eingeleitet – aber er wurde zu lange vom Finanzsenator ausgebremst“. Mit dem angekündigten Rückzug Ulrich Nußbaums und Müllers Aufstieg an die Senatsspitze „erwarten wir jetzt eine neue Dynamik“, heißt es in der SPD. „Der Tanker wurde schon gedreht, aber jetzt muss er Fahrt aufnehmen.“

Auch die Wahlverlierer bleiben der Berliner SPD an wichtiger Stelle erhalten

Was wird aus Raed Saleh und Jan Stöß?

Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh landete beim SPD-Mitgliederentscheid mit 18,7 Prozent der Stimmen auf Platz drei. Obwohl nur 2008 von rund 11000 abgegebenen Stimmen auf ihn fielen, hat das für Saleh keine politischen Folgen. Er bleibt unangefochten Chef der Fraktion, die hinter ihm steht. Mit 37 Jahren hat er auch noch Zeit, zu höheren Ämtern greifen zu wollen. Während des parteiinternen Wahlkampfs ist Saleh inhaltlich und rhetorisch gewachsen. Er konnte verbal angreifen, hat Ehrgeiz gezeigt, aber auch trotz der Niederlage ein Gespür dafür, was von ihm nun verlangt wird. Dass er Müller nach dessen Wahlerfolg am Sonnabend mehrfach die Loyalität seiner Person und der Fraktion versichert hatte, ist kein Zufall. Müller und Saleh können gut miteinander arbeiten – und wer weiß, welche politischen Optionen sich 2016 auftun werden. SPD-Landesparteichef Jan Stöß ist auf Platz zwei mit 20,9 Prozent der Stimmen gelandet. Für die Machtarithmetik zwischen Senat (Müller), Fraktion (Saleh) und Partei (Stöß) war dieser Platz für den Parteichef enorm wichtig. Saleh und Stöß, die noch vor zwei Jahren eine Allianz gegen den damaligen Parteichef Müller geschmiedet hatten, haben sich längst zu Konkurrenten entwickelt, die beide noch auf einen weiteren Karriereschritt warten. Niemand stellt in der SPD zurzeit die „Vertrauensfrage“ gegen Stöß als Parteichef. Forderungen, er müsse Konsequenzen nach dem Wahlergebnis ziehen, sind nicht zu vernehmen. Stöß bleibt Parteichef. Wie lange? „Das werden die nächsten Monate zeigen“, sagt ein hochrangiger SPD-Politiker.

Welche Veränderungen stehen nun im Senat an?

Es obliegt jetzt dem künftigen Regierenden Bürgermeister Müller, sich Gedanken über die Besetzung der SPD-geführten Ressorts zu machen. Zunächst sein eigenes Mammutressort Stadtentwicklung und Umwelt: Die beiden Staatssekretäre Engelbert Lütke Daldrup und Christian Gaebler sind potenzielle Nachfolger. Bau-Staatssekretär Lütke Daldrup gilt als erfahrener und kompetenter Stadtplaner mit ziemlicher Durchsetzungskraft und ausgeprägtem Selbstbewusstsein. Gaebler ist ein ausgewiesener Verkehrsexperte und zählt zu den engsten Vertrauten Müllers. Im Gespräch ist Gaebler auch als künftiger Chef der Senatskanzlei. Müller sagte bereits, dass alle bisherigen Senatoren im Amt bleiben werden. Doch in welchem Amt? Würde zum Beispiel die bisherige Arbeitssenatorin und frühere Haushälterin Dilek Kolat das Finanzressort übernehmen, wäre ihr Ressort vakant.

Würde Müller seinem „Widersacher“ Stöß selbiges Ressort tatsächlich anbieten und ihn in den Senat holen? In der SPD ist man sehr zögerlich, diese Frage mit Ja zu beantworten. Obwohl Müller und Stöß Burgfrieden geschlossen haben, ist zwischen beiden eine deutliche Distanz zu spüren. Die beiden werden nicht miteinander warm, eine Zusammenarbeit könnte sich schwierig gestalten. Möglich wäre, dass alle Senatoren ihre Ressortverantwortlichkeit behalten und Müller auf eine „Außenlösung“ für das Finanzressort setzt. Nicht wenige Sozialdemokraten betonen, dass Wowereit sowohl mit Thilo Sarrazin als auch mit Ulrich Nußbaum als Finanzsenatoren nicht auf Berliner SPD-Gewächse gesetzt hat, sondern zunächst nicht-Berlin-affine Politiker mit dem wichtigsten Schlüsselressort betraut hat. Damit ist Wowereit gut gefahren: Sowohl Sarrazin als auch Nußbaum mussten auf keine SPD-internen Machtspiele Rücksicht nehmen. Auf der anderen Seite waren sie von der Gunst des Regierenden abhängig. Solche Überlegungen könnte sich derzeit auch Michael Müller machen.

Was macht Müller mit dem BER?

Als Regierender Bürgermeister wird Müller in den Aufsichtsrat gehen. „Das gehört zu einem Regierenden dazu“, sagte Müller kürzlich. Ob er den Vorsitz übernimmt, wird zwischen den Gesellschaftern Bund, Brandenburg und Berlin besprochen werden müssen. Müller spricht von einer „irren Situation beim BER“. Die könne man nicht „schönreden“. Für ihn ist eine „Perspektive“, also ein zeitlicher Fahrplan entscheidend. Ihm ist zudem wichtig, dass mehr Fachleute im Aufsichtsrat des Flughafens sitzen, die Politikern wie ihm bei der Kontrolle des Projekts helfen. Unter Parteifreunden Müllers geht man davon aus, dass der Noch- Stadtentwicklungssenator keine Probleme haben wird, fachkundige Unterstützung aus der Bauverwaltung zu rekrutieren. Auch erwartet Müller eine stärkere Rolle Brandenburgs – dem stehe der Aufsichtsratsvorsitz zu, betont er. Wichtige Unterstützer Müllers in der Berliner SPD erwarten ebenfalls, dass er „darauf achten wird, dass Brandenburg im Aufsichtsrat eine größere Rolle spielen wird, damit nicht alles an Berlin hängen bleibt“.

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