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Olga und Martin Strauss, 44 und 48, haben das Friedhofsgebäude auf dem Friedrichswerderschen Friedhof als Café eingerichtet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Neueröffnung in Kreuzberg: Wiener Café auf dem Friedhof

In einer alten Aufbahrungshalle auf dem Friedrichswerderschen Friedhof wird seit kurzem Kuchen serviert. Ein Ehepaar hat dort Berlins zweites Friedhofscafé eröffnet – ein Ort, an dem auch die Lebenden Ruhe finden.

„Wir sind hier auf dem Friedhof“, ruft ein Gast in sein Telefon. Vor ihm steht ein Teller mit Schnittchen und ein Bio-Bier. Obwohl es schon früher Abend und etwas kalt ist, sitzen mehrere Gäste auf der hölzernen Caféterrasse unter den Ziegelsäulen der einstigen Aufbahrungshalle. Zwei Gäste haben ihre Tablet-Computer ausgepackt und arbeiten. „Wir genießen die Ruhe“, sagt eine Besucherin. Ihre Begleitung ergänzt: „Hier kann man in Frieden sitzen.“ Und ruhen. Das Café Strauss hat in dieser Woche auf dem Friedrichswerderschen Kirchhof in der Bergmannstraße in Kreuzberg eröffnet.

Es ist nach dem Café Finovo in Schöneberg das zweite Friedhofscafé der Stadt. Die Betreiber Olga und Martin Strauss, 44 und 48, haben das Friedhofsgebäude als Café eingerichtet. Zuvor hatte Martin Strauss in einem der Verwaltungsgebäude seinen Arbeitsplatz. Er ist Architekt und Baubetreuer des kirchlichen Verwaltungsamts. Die vier Friedhöfe auf 20 Hektar Fläche machen diesen Abschnitt der Bergmannstraße ungewöhnlich ruhig. Er hat nichts von der Bergmannstraße ein Stückchen weiter Richtung Westen, über den Marheinekeplatz, wo das Gewusel beginnt. Im Gästebuch hat einer der Eröffnungsgäste das Café Strauss als „eine Oase der Ruhe“ in der Bergmannstraße bezeichnet. Alle Seiten profitieren von der Idee: Die Cafégäste genießen die friedliche Stille und der Friedhof kann ein bisschen Leben gut gebrauchen. Zur Eröffnung war es den ganzen Tag rappelvoll, sagt Martin Strauss. Die Gäste mussten schon auf den Friedhofsbänken und auf dem Terrassenboden Platz nehmen.

Als eine der letzten Renovierungsmaßnahmen wollte Martin Strauss die Pumpe der Espressomaschine wechseln. Dabei ist ihm ein Schraubenzieher ins Gesicht gefallen. Nun hat der Architekt ein Veilchen rund ums Auge, Zeuge der Anstrengungen des vergangenen Jahres. Olga Strauss sagt: „Als wir meinen Eltern vor einem Jahr das Gebäude gezeigt haben, waren sie schockiert, wie viel Arbeit das noch war.“ Und tatsächlich dauerten die Umbauarbeiten länger als geplant. Schließlich steht das Gebäude unter Denkmalschutz.

Mitte des 19. Jahrhunderts war es als Aufbahrungshalle entstanden. Damals mussten Tote drei Tage lang aufgebahrt werden, aus Angst, man könne sie wegen Scheintods lebendig begraben. „Da lag hier wohl ein Toter neben dem anderen“, sagt Martin Strauss – und fügt gleich hinzu, dass das bestimmt schon hundert Jahre her ist. Dort, wo heute die Toilette ist, saß damals ein Wärter als Aufpasser. An die Toten knüpfte man einen Bindfaden, an dessen Ende ein Glöckchen saß. Der Wärter hätte jede Bewegung gehört. „Ich weiß nicht, ob das je gebimmelt hat“, sagt Martin Strauss.

„Man kann doch kein Café eröffnen, ohne in Wien gewesen zu sein“, sagt Martin Strauss.

„Ist ja wie in Wien hier“, ruft der Gast mit den Schnittchen. Er freut sich über die Auswahl an der Essensauslage. Da liegt er richtig. Olga Strauss erzählt, ihr Mann habe ihr eine Reise nach Wien geschenkt, um dort die Kaffeehäuser zu besichtigen. „Man kann doch kein Café eröffnen, ohne in Wien gewesen zu sein“, sagt Martin Strauss. Dort hat sich seine Frau die Schnittchen abgeguckt. Heute zum Beispiel gibt es welche mit Eiaufstrich und Rote Bete. In Sachen Kaffee aber kann man Olga Strauss nichts vormachen. „Den können die Wiener nicht so gut“, sagt sie.

Olga Strauss hatte die Idee zum Friedhofscafé – damals arbeitete sie in einer Kaffeerösterei. Im Café Strauss steht heute neben dem Eingang ein mannshohes, verglastes Gehäuse mit Trichter, Schläuchen, Röhren und Glaszylinder. Es ist ein Heißluft-Kaffeeröster. In den nächsten Wochen kommt eine Ladung Rohkaffee aus Hamburg und dann röstet Olga Strauss ihren eigenen Kaffee. Dann kommen auch die alten Waagen zum Einsatz, die Kaffeemühle und das große Regal mit den so genannten Kaffeeschütten zum Aufbewahren der Bohnen. „Märchenhaft“ finden die Besucher die Atmosphäre. Selbst Tiere schauen vorbei. „Wir haben hier Eichhörnchen, die fressen uns aus der Hand“, sagt Olga Strauss. „Der Fuchs ist der Beste“, ergänzt ihr Mann. Der lege sich am liebsten auf das Blechdach der Mausoleen, weil das so schön warm wird und beobachte von oben die Trauerfeiern. Und er halte die Kaninchen fern, die sonst immer die schönen Blumen abknabbern.

Für das Ehepaar Strauss ist der Friedhof so etwas wie eine zweite Heimat geworden. Martin Strauss kann das erklären: „Ich denke, wir leben bewusster, weil wir hier immer daran erinnert werden, dass das Leben endlich ist.“ So sieht es auch eine Cafébesucherin. „Wenn ich auf dem Friedhof bin, bin ich immer froh, dass ich noch lebe.“ Grabesstimmung kommt also gar nicht erst auf.

Café Strauss, Bergmannstr. 42, Kreuzberg. Geöffnet Dienstag bis Sonntag ab 9 Uhr. Die Schließzeiten sind abhängig von den Friedhofsöffnungszeiten, von Mai bis August bis 20 Uhr, Tel. 69 56 44 53. www.cafestraussberlin.de

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