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Bitte nicht rumzicken. Mirko Zimmermann organisiert Führungen mit Ziegen rund um Altreetz/Oderaue im Oderbruch. Etwas Zeit muss man den Tieren dabei schon lassen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Neues Brandenburg-Magazin vom Tagesspiegel: Die besten Brandenburg-Trips: Wie wäre es mit Ziege?

Endlich Land in Sicht - mit dem neuen Brandenburg-Magazin des Tagesspiegels. Lesen Sie hier eine Reportage aus dem Heft - über zwei Männer, für die Meckern zum Geschäft gehört. Der eine bietet Wandertouren mit Ziegen an, der andere macht in Käse und Milch.

Das neue Brandenburg-Magazin der Tagesspiegel-Reaktion ist da - mit 500 Tipps und Terminen für die besten Ausflüge, Restaurants und Veranstaltungen. Das Heft für 8,50 Euro gibt es im Zeitschriftenhandel, im Tagesspiegel-Shop im Verlagshaus am Askanischen Platz 3 (Anhalter Bahhnof) oder direkt online unter dieser Adresse.

Hätte man das vorher gewusst! „Die mit Ziegen zu tun haben, sind alle nicht ganz dicht“, sagt Michael Rubin. Er schaut dabei etwas zerknittert aus seiner weißen kragenlosen Käseherstellerjacke, denn eben war er noch in seinem kleinen Käsereikabäuschen neben dem Ziegenstall, wo er aus der Milch seiner Tiere Frischkäse und Quark macht. In Handarbeit. Aber da hat Mirko Zimmermann ihn rausgeklingelt. Zimmermann, der Ziegenwanderungen veranstaltet. Jetzt stehen die beiden Ziegen-Männer in Rubins Hofladencafé einander gegenüber. Also: Alle nicht ganz dicht? Rubin lacht laut – und Mirko Zimmermann sagt: „Du vielleicht nicht.“

So herzlich-rustikal geht es dann weiter. Seit drei Jahren habe er seine Wanderziegen jetzt, sagt Zimmermann. „Drei? Wie zählst du denn? Eins, drei, sechs?“ ruft Rubin dazwischen. Aber nun klingelt Zimmermanns Mobiltelefon, so dass er nicht parieren kann.

Wer mit Zimmermann und seinen Ziegen wandert, etwa die Tour am Oderdeich entlang, landet irgendwann auf dem „Ziegenhof Zollbrücke“ von Michael Rubin. Dann werden die Wanderziegen in einem eigenen Auslauf untergebracht und haben Aufmerksamkeitspause, denn dann dreht sich kurz mal alles um die kleinen, weißen deutschen Edelziegen.

Zimmermann und Rubin sind das Ziegenteam vom Oderbruch. Zwei Seiten einer Idee. Sie wollten „die Ziege in ihrer Vielfalt“ bekannter machen, hatte Zimmermann gesagt, bevor es losging, sie aus der Grauzone herausholen. Denn: Wer wisse denn etwas von Ziegen? Schafe – vielleicht. Aber Ziegen? Nö.

Das Oderbruch: weites, plattes Land

Der Reihe nach. Mirko Zimmermann, 35 Jahre alt, groß und sportlich, ist ein Kind der Region. Aufgewachsen zwischen dem Oderdeich im Osten und einem weiten Nichts im Westen. Er kann auf seinem Hof die hintere Stalltür öffnen und von dort bis zum Horizont schauen. „Hier kann man am Sonntag sehen, wer am Montag zu Besuch kommt“, sagt er und schweigt seinen Worten versonnen hinterher. Ein paar Kopfweiden stehen in der Ferne, aus denen das biegsame Flechtwerk für die hier typischen Weidenkörbe gewonnen wird. Linker Hand wellt sich eine niedrige Hügelkette dem zartblauen Himmel entgegen – „ist das nicht schön?“ Es ist schon Polen. Einen direkten Weg dorthin, ins Nachbarland, gibt es hier allerdings auf zig Kilometer nicht.

Das neue Brandenburg-Heft.
Das neue Brandenburg-Heft.

© Tsp

Nachdem Zimmermann eine Kochlehre in Reinbek bei Hamburg absolviert hatte, zog ihn die Sehnsucht zurück ins Oderbruch. Er pachtete in Altreetz das Restaurant „Zur alten Bäckerei“, richtete die Küche auf regionale und saisonale Produkte aus und überlegte, wie er Gäste verführen könnte, raus zu ihm, an den Rand des Landes zu kommen. Bei einem eigenen Ausflug in die Schweiz fiel ihm die Idee quasi vor die Füße, als er durch eine „Geißwanderung“ stolperte. Ziegenpeter und so weiter: Wer je „Heidi“ gelesen hat, weiß gleich, wie so etwas aussieht.

Zurück in Brandenburg knipste Zimmermann das Internet an und recherchierte. Welche Ziegen eignen sich, wo bekommt man die, wie bildet man die aus, was braucht es an Gepäckzeug? Die wertvollsten Hinweise kamen allesamt aus der Schweiz. Wie auch die Ziegenart, für die Zimmermann sich schließlich entschied: die Pfauenziege.

Zwei lange Hörner

Vor drei Jahren dann kaufte er drei Exemplare. Artur, Aragon und Steffen. Schwarzweiße Böcke, breit stehende Zehen, also perfekt für schwieriges Gelände, alle kastriert und erstaunlich groß. Bis knapp einen Meter Rückenhöhe, und recht stattliche Hintern haben sie auch. Aber zunächst recken zwei der drei ihre schmalen Köpfe aus dem Stall heraus, unterm Kinn hängt ein dünner Bart, und obendrauf sind je zwei lange Hörner gewachsen. Die Hälse werden länger, und die weichen Mäuler stupsen an Hände. Zungen umschlecken Finger. Könnte ja eine Leckerei drinstecken.

Zimmermann greift nach den kleinen Ziegenhalftern, die am Türrahmen hängen, zieht eins davon Artur über den Kopf und geht mit ihm in den Garten. Der ist darüber offenbar hoch erfreut, jedenfalls macht er allerlei Bocksprünge, die ihn aus dem Stand in die Luft hebeln, wobei er sich noch dreht und windet. Und das mit gut 60 Kilogramm Gewicht!

Wenn er alle drei Böcke gleichzeitig rausließe, würden die erst mal davonflitzen, sagt Zimmermann, die würde er nicht halten können. Und auch nicht halten wollen. Basis der Zusammenarbeit mit Wanderziegen sei das Vertrauen.

Auf dem Hof steht ein Tieranhänger. Wenn die Ziegen hören, wie der über das Kopfsteinpflaster rumpelt, wissen sie schon, was los ist: Anhänger heißt Auto heißt Abfahrt zum Wandern – und sie drängeln zum Boxentor.

Die Brücke hat keinen Boden

Bei der Oderdeichwanderung geht es an der Europabrücke los. Das war mal eine Eisenbahnbrücke, aber an Land liegen keine Schienen mehr, da ist jetzt ein Radweg. Seit 2014 kann man per Draisine über den Fluss, aber nicht zu Fuß, was auch für die Ziegen gilt, denn die Brücke hat nur Schienen, keinen Boden. Es wäre für heute ohnehin die falsche Richtung.

Die Gepäcktaschen, die Zimmermann im Haus aufbewahrt hat, liegen nach wenigen Handgriffen weich und filzunterlegt auf den Tierrücken, in den beidseitigen Taschen wird die Picknickverpflegung verstaut. Dann geht es los. Südwärts. Links vom Deich, der 1997 nach dem Jahrhunderthochwasser breiter und höher wurde, plätschert die jetzt friedliche Oder. Rechts zeigen die tierischen Deichbauer, was sie so draufhaben. Der Biber, seit den 80ern per Wiederansiedlungsprogramm im Oderbruch beheimatet, hat sich gut eingelebt und wird von manchem längst als Plage empfunden. Er setzt Wiesen unter Wasser, durchlöchert die teuer gebauten Menschenreiche und nagt Bäume um. Süß ist er trotzdem. Und vorerst auch geschützt.

Ziegen sind Entschleunigungstiere

Was die Ziegen alles nicht schert. Langbeinig staksen sie des Wegs, wenig zielgerichtet, mal hin, mal her gehen sie, sie sind nicht angeleint, sondern kommen so mit. Eine Glocke um jeden Ziegenhals untermalt den Spaziergang mit einem leisen Bimmeln. Mal leiser, mal lauter, wenn die Tiere zu den Menschen hindrängeln, ihnen direkt vor die Füße laufen, als wollten sie diese zu einem Tätscheln auffordern. Lustig ist das, oder wie hatte Zimmermann formuliert: „Die Ziegen zaubern den Menschen immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht.“ Es sei denn, die Menschen haben es eilig. Dann hätten sie sich die falsche Begleitung ausgesucht. „Ziegen sind Entschleunigungstiere“, sagt Zimmermann. Damit passen sie, obwohl sie aus kargen Bergen stammen, hervorragend ins platte Oderbruch. Eine ganz besondere Landschaft, 60 Kilometer lang, 20 Kilometer breit, nur wenig höher als die Oder, der man das Land im 18. Jahrhundert entwendete, indem man Deiche baute und es trockenlegte. Der Deich ist jetzt quasi der Höhenzug, auf dem Ziegen und ihre Wanderer unterwegs sind. Und was sind das für kontemplative Aussichten von hier oben!

Lesen Sie weiter: Was alles so aus Ziegenmilch gemacht wird

Da biste platt. Landschaft bis zum Horizont im Oderbruch...
Da biste platt. Landschaft bis zum Horizont im Oderbruch...

© Kitty Kleist-Heinrich

Anfangs hat Zimmermann die Wandersleute allein mit den Ziegen losgeschickt, so wie es die uckermärkischen Wanderesel-Verleiher machen. Aber die Esel haben offenbar mehr Zeit- und Raumgefühl als die Pfauenziegen. Jedenfalls wurden ihm die Anrufe der Verirrten und Orientierungslosen irgendwann zu viel, seither geht er selbst mit. Was den Vorteil hat, dass man von ihm viel über die Gegend erfahren kann. Beispielsweise beim Picknick nach ungefähr zwei Kilometern, der Hälfte der Strecke, etwas unterhalb des Deichs.

Da kann Zimmermann, malerisch in kariertem Hemd und Schäferweste, ins Erzählen kommen. Wie es früher war, als die Kühe noch auf den Oderwiesen grasten, als es noch Meisterschaften im Pferdepflügen gab, an denen er mit einem eigenen Kaltblut teilnahm, oder von seinen Ziegen, den kleinen auf dem Hof, und den drei Wandergesellen, die sich inzwischen auch für die Wandergäste sehr deutlich voneinander unterscheiden. Steffen hat viel Weiß im schwarz-weißen Gesicht und ist eher verhalten, Aragon hat zwei „Glöckchen“ unterm Kinn, kleine funktionslose Hautausstülpungen, die wie Weihnachtsbaumkügelchen hinter dem Bart baumeln. Und Artur ist eben einfach der Dritte.

Die Tiere knuspern an, was die Natur am Wegesrand für sie bereithält. Weniger Gras – sie sind ja keine Schafe – als Schilf oder anderes Hartholz. Sie sind Wiederkäuer, ein Magen, sieben Vormägen. Zimmermann hat sie entweder im Auge oder ihr Bimmeln im Ohr, während es aus ihm heraussprudelt, wenn es darum geht, wie man diese schöne Gegend attraktiver machen könnte. Durch seinen „Ziegenpakt“ etwa: Er wandert zum Ziegenhof, vom Ziegenhof gibt es später Frisches und Handgemachtes aus der Hofkäserei im Zimmermannschen Restaurant „Zur alten Bäckerei“. So ist jeder für jeden da, toll, oder?

Das Bimmeln der Glöckchen im Ohr

Mit Blick auf die Oder erzählt er von weiteren Wanderungen: mit den Ziegen zum Deich wandern, dort in ein Kanu umsteigen, über die Oder schippern und von der Anlegestelle mit dem Planwagen zurück zur „Alten Bäckerei“ und dort etwas Gutes essen. Dann stupst ihn schon wieder eine der Ziegen an, und weiter geht es frischen Schrittes, das Bimmeln im Ohr.

Wenn der Ziegenhof sich nähert, werden die Schritte noch etwas frischer und das Bimmeln noch munterer, allmählich haben Artur, Aragon und Steffen ein Gespür für die Distanzen entwickelt, wittern können sie die näher kommende Rubinsche Ziegenherde nicht. Zu Verbrüderungen zwischen den Ziegenarten darf es aus Seuchenschutzgründen nicht kommen, wie Zimmermann erzählt. Also bleiben die Großen unter sich und die Kleinen auch. Kein Problem. In Rubins Hofcafé hängt ein Holzschild mit dazu passendem Spruch: „Hier wird nicht gemeckert.“

Rubin war in den 1980er und 1990er Jahren lange Bürgermeister im Oderbruch und hat sich 2014 noch einmal aufgemacht, den Posten zu erobern. Er trat für die Vereinigung „Weitblick Oderaue“ an, die den Touristikern in der Region mehr Gewicht gegenüber den Landwirtschaftlern verleihen wollte, scheiterte aber knapp. Also Vollzeit Ziegen. Damit sei man auch mehr als ausgelastet, denn bei den Ziegen sei immer irgendwas, sagt er. Und zwar immer dann, wenn man gerade etwas vorhabe. Rubin lacht laut. So schwer scheint er das nicht zu nehmen. Oder wie war das mit „nicht ganz dicht“? Ja, sagt er, das seien die ersten Reaktionen auf ihre Ziegenpläne gewesen. Bis heute zieren Banken sich, wenn die Ziegenmänner Geld für Investitionen brauchen.

Quark und Eis aus Ziegenmilch

Ja, da nicken sie sich zu, Rubin und Zimmermann, der Alte und der Junge, zwei von hier, und sind sich ganz einig. Aber da kommt Rubins Frau um die Ecke und sagt: „Und, gibt’s hier auch noch etwas Positives?“ Ach ja! Die Ziegenprodukte! Frischer Frischkäse. Quark und sogar Eis aus Ziegenmilch. Und während die Gäste die Auswahl beratschlagen, wandert Zimmermanns Blick aus dem Fenster zum Horizont. Gleich werden die Wanderer zu ihren Autos an der Europabrücke zurückgebracht, die Ziegen im Hänger zum heimischen Hof transportiert. Solche Tage sind gute Tage.

Die Uckermark ist berühmt geworden, dabei ist da auch nur Landschaft. Warum sollte ihnen das mit dem Oderbruch nicht auch gelingen?

Mirko Zimmermann, Märkisch Oderland Oderaue/OT Altreetz, Mittelstr. 11 Tel. (0157) 54191935. Diverse, auch individuelle Touren und ihre Preise auf Anfrage.

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